Mit ihrem Projekt M/L Artspace entwickeln Marie Karlberg und Lena Henke temporäre Hap-penings und fordern das gängige Format der Ausstellung heraus.
Eigentlich sind Marie Karlberg und Lena Henke M/L Artspace. Denn das Ausstellungsprojekt, das die beiden Künstlerinnen seit 2013 betreiben, ist an keinen konkreten Raum gebunden, sondern bewegt sich an verschiedenen Orten, manifestiert sich in diversen Formen und verschwindet meist nach wenigen Tagen wieder, manchmal schon nach einer Nacht. Statt im White Cube, der sich Zusammenhängen und Kontexten entzieht, wird lieber im Nagelstudio, unter einer Zugbrücke, im eigenen Schlafzimmer oder auf einer kalifornischen Ranch ausgestellt.
„Under the BQE“ findet am 28. September 2013 in New York statt, „from 5pm to dark“, so steht es in der Einladung zur Ausstellung. Die „guerilla gallery under the Brooklyn Queens Expressway“ wird nach Einbruch der Dunkelheit wieder geschlossen. Unter einer Zugbrücke, zwischen schweren Eisenpfeilern, im Kofferraum parkender Autos, auf dem Asphalt und inmitten der üblichen Ansammlung aus Stadtmüll (Plastiktüten, Glasscherben, Zigarettenstummel) werden Werke von Henke und Karlberg und ihren Zeitgenossen und Freunden gezeigt, darunter Nicolas Ceccaldi, Marlie Mul und Nora Schultz. „Under the BQE“ ist die leicht überspitzte, etwas zynisch formulierte Antwort auf die widersprüchliche Forderung, Kunst solle möglichst politisch, authentisch, jung, dreckig, aber bitte schön auch marktkonform und gut verkäuflich zu sein. „Art looks good when it comes from dirty places“.
Aus dem Rahmen gefallen
Kühler Steinboden, alte Fenster mit grünem Fliegengitter, schwere Holzmöbel. Für die Ausstellung „Please Respond -“, die drei Tage lang parallel zur Venedig Biennale 2015 zu sehen ist, stellt die italienische Kuratorin Marta Fontolan eine Privatwohnung zur Verfügung, die zuvor ihrer Großmutter gehörte. Im Hof des Häuserblocks verrenkt sich „Lady Unique on the train from Venice“, eine von Anna Uddenbergs figurativen Skulpturen, über einem Reisekoffer. Die Brüste des weiblichen Torsos werden nur knapp von einer grell-orangefarbenen Weste bedeckt, der typische Backpacker-Rucksack droht ihr von den Schultern zu rutschen. „PARASITES“, eine T-Shirt Edition von Marie Karlberg und Stewart Uoo, wird mit Wäscheklammern an einem Kabel befestigt, als hinge es in der venezianischen Sonne zum Trocknen. Adriana Lara drapiert eine Bananenschale auf den hellen Stufen, die vom Hof in die Wohnung führen. Manche der Werke in „Please Respond -“ gliedern sich ganz selbstverständlich in das alltägliche Szenario des Wohngebiets ein. Andere fallen bewusst aus dem kontextuellen Rahmen, wirken zufrieden deplatziert.
Wenn Karlberg und Henke in kommerziellen oder institutionellen Kontexten aktiv werden, dann nehmen sie in ihren Performances und Installationen auch auf ebenjene Bezug. Für die Performance „M/L Reads“ in der New Yorker Galerie Greene Naftali tragen die Künstlerinnen und die Performer weiße Strumpfhosen. Unter dem Bund prangt „M/L“ – Markentitel oder Größenangabe? – auf den Waden ist ein kurzer Text zu lesen – biographisch oder fiktiv? – über das entzaubernde Wiedertreffen mit dem Schwarm aus Kindertagen. Als Editionen werden 50 Strumpfhosen in kleine Schachteln verpackt, in denen man ebenso Nudeln aus einem chinesischen Imbiss vermuten könnte, und in einem Warenregal ausgelegt. Ready-to-wear.
Bedingungen offenlegen
Mit der Teilnahme an der 9. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst 2016 wird M/L Artspace erstmalig in eine institutionelle Großausstellung eingegliedert. In Karlbergs und Henkes Installation „In Bed Together“ können die Besucher es sich auf einem Himmelbett in verwühlten Laken gemütlich machen und sich gemeinsam ein „Home Video“ ansehen. Die eigens hierfür entworfenen Bettwäschekollektionen stellen eine Retrospektive für jeweils eines der in den letzten drei Jahren realisierten Projekte dar. Denn jedes Set aus pastellfarbenen Kissen und Bezügen wurde mit visuellen Dokumentationen und Texten der Ausstellungen, Happenings und Performances bedruckt.
Die Verschränkung von künstlerischer und kuratorischer Praxis ist nicht neu. Bereits 1855 eröffnete der französische Maler Gustave Courbet den „Pavillon du Réalisme“ in Paris als alternativen Ausstellungsraum zur parallel stattfindenden Weltausstellung. In den 1960er-Jahren gründeten sich Künstlerinitiativen, die als Protest gegen eine zunehmend kommerzialisierte Kunstwelt Ausstellungen in Lagerhallen oder leerstehenden Gebäuden umsetzten. Und auch heute gibt es zahlreiche von Künstlern betriebene, nicht-kommerzielle Ausstellungsräume. Doch erst in den letzten Jahren erhielt der Diskurs um die „artist-curators“ durch zahlreiche Publikationen und Symposien zum Thema öffentliche Relevanz. Exemplarisch für das zeitgenössische Künstler-Kuratoren-Hybrid ist beispielsweise das vierköpfige New Yorker Kollektiv DIS, Kuratoren der letzten Berlin Biennale. Wenn also Künstlerinnen wie Marie Karlberg und Lena Henke Ausstellungen konzipieren und somit Kontexte für die eigenen Werke schaffen, geschieht dies weniger in entschiedener Protesthaltung gegen den Kunstmarkt oder die Museen. Wenn die Rollen von Künstler und Kurator ineinander fallen, kann dies vielmehr als selbst-reflexive Praxis gesehen werden, durch welche die (ökonomischen) Strukturen und die (soziokulturellen) Bedingungen, in denen Kunst entsteht, gesehen und verkauft wird, reflektiert, offengelegt und herausgefordert werden können.