Hier versucht eine Libelle einem Oktopus zu entkommen, dort wird ein Glühwürmchen von einer bedrohlichen Riesenschlange verfolgt. Vor der Kulisse brutalistischer Bauten, erzählen Driant Zenelis Filme Geschichten, in denen die vermeintlich Schwachen ihrem Schicksal nicht zwingend ausgeliefert sind.

Betrachtet man die Architektur einer Stadt als eine Art historischen Flickenteppich, in dem geschichtliche Epochen und das reale Erleben seiner Einwohner*innen mit eingewebt sind, so ist der Brutalismus weltweit eindeutig mit der Nachkriegszeit verknüpft. Die architektonische Stilrichtung war nicht nur in der Wahl ihrer Baumaterialien, dem namensgebenden Roh-Beton, brachial, sie gab sich auch keiner illusorischen Ästhetik hin und folgte oftmals einem utilitaristischen Ideal. Im Stile des Brutalismus wurde so nicht nur erschwinglicher Wohnraum gebaut, sondern auch Universitäten, Bibliotheken, Kirchen, institutionelle Regierungsgebäude und Krankenhäuser – in Demokratien wie Diktaturen, Ost wie West, Nord und Süd.

Um die imposanten, polarisierenden Gebäude, die Prinz Charles einst als „grässlichen Bauschutt” bezeichnete, ist in den letzten Jahren eine neue Debatte entfacht. Während immer mehr in die Jahre gekommenen Gebäude der Abrissbirne zum Opfer fallen, regt sich zunehmend Widerstand, der nicht allein die ästhetischen Besonderheiten der Bauwerke, sondern auch den Erhalt einer spezifischen kulturgesellschaftlichen Geschichte anmahnt – mit all ihren Idealen und Utopien, mögen sie im Einzelnen auch gescheitert sein.

Nationalbibliothek in Pristina, Kosovo, Image via commons.wikimedia.org

Kämpfe gegen übermächtige Antagonisten

Drei brutalistische Bauten stehen auch im Zentrum von Driant Zenelis Filmtrilogie „The Animals. Once upon a time… in the present time”. Zenelis filmischen Arbeiten liegt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Themen wie Scheitern, Utopien und Träumen zu Grunde. „No wise fish would escape without flying (2019)” nutzt die Nationalbibliothek des Kosovo in Pristina als historisch aufgeladene Bühne. Der Bau, 1982 eröffnet, spiegelt auch architektonisch die bewegte Geschichte des Landes wider und umfasst sowohl byzantinische als auch islamische Stilelemente, eingefasst durch ein markantes Metallgitter. Zeneli zeigt Innenaufnahmen von Archiv- und Kellerräumen, an denen bereits der Zahn der Zeit nagt, während es auf der Tonspur ungut rumort.

Den titelgebenden Fisch, liebevoll aus bunter Pappe zusammengesetzt, erfasst die Kamera zunächst nur beiläufig in den düsteren Kellergängen.  Es entspinnt sich ein Katz-und-Maus-Spiel: Ein bedrohlich dreinblickender Hai (in Form eines großen Luftballons) macht Jagd auf den kleinen Fisch, der schließlich mithilfe einer Drohne auf das Dach des Gebäudes flüchtet und entkommen kann. Den Film hat Driant Zeneli in Zusammenarbeit mit ortsansässigen Kindern konzipiert und gedreht. Das Metallgitter, das die gesamte Nationalbibliothek wie ein Schleier umspannt, wird in der Imagination der jungen Kreativen zu einem Fischernetz, das dem Meeresbewohner zunächst die Flucht verunmöglicht.

Driant Zeneli, The Animals. Once upon a time...in the present time, filmstill © Driant Zeneli

Driant Zeneli, No wise fish would escape without flying, 2019, filmstill, Image via artribune.com

Auch „How deep can a dragonfly swim under the ocean?” (2019) und „The firefly keeps falling and the snake keeps growing” (2022) nutzen die brutalistischen Gebäude als Kulisse für kleine Geschichten, die an Fabeln erinnern und von der Flucht vor einem übermächtig erscheinenden Antagonisten handeln.

Hier versucht eine Libelle einem Oktopus zu entkommen, dort wird ein Glühwürmchen von einer bedrohlichen Riesenschlange verfolgt. Die künstlerische Zusammenarbeit war auch bei diesen Filmen integraler Bestandteil. Für „How deep can a dragonfly swim under the ocean?” baute Rilond Risto, der über 20 Jahre in albanischen Gefängnissen inhaftiert war, die titelgebende Libelle als mechanische Apparatur, die trotz ihrer rotierenden Flügel nicht so recht zu fliegen vermag. Flucht vor Unterdrückung, Gefangenschaft oder der Kampf ums nackte Überleben – vor der Kulisse der historischen Bauten, denen gerade in den ehemals sozialistischen Staaten deutlich negative Konnotationen innewohnen, breiten Driant Zenelis Filme so neue Geschichten mitsamt eigener Gegenwart aus, in der übermächtige Antagonisten nicht automatisch die Oberhand behalten und die vermeintlich Schwachen nicht zwingend ihrem Schicksal auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind.

Driant Zeneli, The Animals. Once upon a time...in the present time, filmstill © Driant Zeneli
Driant Zeneli, The Animals. Once upon a time...in the present time, filmstill © Driant Zeneli
Driant Zeneli, The Animals. Once upon a time...in the present time, filmstill © Driant Zeneli

DRIANT ZENELI. INTERVIEW

Brutalism as setting for fables

„View from Above“

Als weiteren Film hat sich Driant Zeneli „View from Above“ (2017) des kurdischen Installationskünstlers Hiwa K ausgesucht, der erstmalig auf der Documenta 14 zu sehen war. Aus dem Off erzählt ein Mann die Geschichte eines irakischen Deserteurs, der sich in den 1990ern in einem Schengen-Land um Asyl bemüht. Sein Antrag wird jedoch abgelehnt, da er gemäß EU-Bestimmungen aus einer sogenannten „safe zone“ kommt, in die bedenkenlos zurückgeführt werden kann. Im Wissen darüber, was ihm in seinem Herkunftsland im Falle einer Abschiebung blüht, flieht der Mann in ein anderes Schengen-Land. Dort lässt er sich vom Erzähler der Geschichte die genaue Kartographie einer Stadt, die innerhalb der EU als „unsafe zone“ gilt, schildern, um beim erneuten Antrag den Sachbearbeiter, der jene Gebiete durch Karten nur aus der Vogelperspektive kennt, von seinem Asyl-Anspruch zu überzeugen. Das Unterfangen gelingt und dem Mann wird innerhalb von 20 Minuten Asyl gewährt, während andere Bewerber*innen, die tatsächlich aus der „unsafe zone“ kommen, aber die Stadt nicht aus der Vogelperspektive kennen, abgelehnt werden.

Hiwa K, A view from above, 2017, Filmstill, Image via fluentum.org

Die Kamera zeigt während der eindringlichen Erzählung ein Trümmermodell, das die Zerstörung der Stadt Kassel im Rahmen des Zweiten Weltkriegs darstellt. Die Stadt erscheint in Hiwa Ks Film so zeitgleich in zwei Versionen existent: einmal in der Wahrnehmung ihrer Einwohner*innen, die sich auf dem Boden durch sie hindurchbewegen, sie beleben und der Stadt überhaupt erst zu ihrer Existenz verhelfen. Und dann wiederum aus der Vogelperspektive, die hier zur bürokratischen, göttlichen Sicht wird, die über Einzelschicksale entscheidet, aber nichts von deren Lebensrealität weiß. Die unterschiedlichen Blickwinkel auf gleiche Szenarien, die bei Hiwa K über Leben und Tod, Hoffnung und Leid entscheiden, lassen sich in ganz anderer Form dann auch in Driant Zenelis Arbeiten entdecken, die der historischen Materialität neue Erzählungen abtrotzen, die ihrerseits gen Himmel streben.

Driant Zeneli, The Animals. Once upon a time...in the present time, filmstill © Driant Zeneli

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