Was für ein Ort ist der Ozean? Fragen wie diese stellte sich vor John Akomfrah bereits Heathcote Willams in seinem Gedicht „Whale Nation“. In den Reading Sessions sowie im SCHIRN BOOKCLUB treten Texte wie dieser mit Akomfrahs Werk in einen Dialog – und verraten so manches über seine Einflüsse und Arbeitsweise.

Mit der Ausstel­lung John Akom­frah. A Space of Empa­thy widmet sich die SCHIRN erst­mals drei Video­ar­bei­ten des Künst­lers und schafft dabei auch einen Raum für den Einfluss von Lite­ra­tur und Sach­t­ex­ten auf sein filmi­sches Oeuvre. Dieser Fokus wird bereits beim Betre­ten der Einzel­aus­stel­lung deut­lich, deren Eingang als Lese­raum ange­legt ist und um die 50 Titel umfasst – von Paul Gilroys „There Ain‘t No Black in the Union Jack“, über „How Forests Think“ von Eduardo Kohn bis zu Julian Warners „After Europe“ setzt sich dieser später auch in den klei­nen, schleu­sen­ar­ti­gen, Zwischen­räu­men der Ausstel­lung mit eini­gen Titeln fort. Und auch in den ausstel­lungs­be­glei­ten­den Reading Sessi­ons und dem SCHIRN BOOK­CLUB wird den Verbin­dun­gen zwischen Akom­frahs Werk, Sach­t­ex­ten und Lite­ra­tur nach­ge­spürt.

Everything’s connected

Akom­frah verwen­det für seine Filme sowohl eige­nes als auch histo­ri­sches und doku­men­ta­ri­sches Film­ma­te­rial, in Farbe und Schwarz-Weiß, verknüpft verschie­dene Zeit­ebe­nen, histo­ri­sche und poli­ti­sche Ereig­nisse und arbei­tet grund­sätz­lich immer mit mehre­ren Lein­wän­den – den roten Faden muss aber jede*r für sich selbst finden. Denn die über­ge­ord­ne­ten Themen­be­rei­che seiner Filme – etwa Kolo­nia­lis­mus, Klima­wan­del, Migra­tion oder Gesell­schaft, um nur einige wenige zu nennen – werden oftmals verschränkt und über­ein­an­der­ge­legt. Dabei bricht er mit der Idee und dem Glau­ben einer linea­ren Geschichts­er­zäh­lung und bietet mit den verschie­den bespiel­ten Lein­wän­den und Ausschnit­ten, unter­schied­li­che Anknüp­fungs­punkte und Zugänge zu diesen größe­ren Themen, die immer getrennt gedacht und disku­tiert werden, dabei jedoch stets mitein­an­der verbun­den sind.

John Akom­frah. A Space of Empa­thy, Offe­ner Lese­raum in der Ausstel­lung, © Schirn Kunst­halle Frank­furt 2023, Foto: Norbert Migu­letz
John Akom­frah. A Space of Empa­thy, Instal­la­ti­ons­an­sicht Vertigo Sea, 2015, © Schirn Kunst­halle Frank­furt 2023, Foto: Norbert Migu­letz

Diese beson­dere Heran­ge­hens­weise spie­gelt sich nicht nur in seinen Filmen, sondern auch in der Auswahl der Lite­ra­tur für den SCHIRN BOOK­CLUB zur Ausstel­lung wider. In diesem werden nicht nur die Themen der Filme vertieft, sondern auch Texte verschie­de­ner Genres ergrün­det, die für Akom­frah von großem Einfluss waren. Darun­ter „Whale Nation“ von Heath­cote Willams, ein Gedicht das 1988 erschien und bis heute ein Appell gegen die Walfang­in­dus­trie ist. In dem Gedicht, das das Leben der Wale besingt und diese im Einklang mit der Natur beschreibt, birgt sich zwischen den Zeilen der Protest Willi­ams, verlernt zu haben, die Tiere als das zu sehen, was sie sind.

„From space, the planet is blue.
From space, the planet is the terri­tory
Not of humans, but of the whale.
Blue seas cover seven-tenths of the earth’s surface,
And are the domain of the largest brain ever crea­ted,
With a fifty-million-year-old smile.
Anci­ent, unknown mamm­als left the land
In search of food or sanc­tuary,
And walked into the water.”

Heath­cote Willi­ams: Whale Nation, 1988, Image via goodreads.com

In einem umfas­sen­den Blick auf das Leben der Wale als Teil der Natur beschreibt das Gedicht, wie sie in ihr Nahrung und Schutz finden. Willi­ams stellt das Zusam­men­spiel zwischen dem Ozean und den Walen als eine sich ergän­zende Verbin­dung dar, in der sie sich ohne äußere Einwir­kun­gen und Stör­fak­to­ren schnel­ler entwi­ckeln konn­ten und somit zu den domi­nan­tes­ten Lebe­we­sen im Wasser wurden:

„Free from land-based pres­su­res:
Free from droughts, eart­h­qua­kes, ice-ages, volca­noes, famine,
Larger brains evol­ved, ten times as old as man’s…
Other crea­tu­res, with a larger cere­b­ral cortex,
Luxu­ri­antly folded, intri­ca­tely fissu­red,
Deep down, in another coun­try,
Moving at a diffe­rent tempo.”

John Akom­frah. A Space of Empa­thy, Instal­la­ti­ons­an­sicht Vertigo Sea, 2015, © Schirn Kunst­halle Frank­furt 2023, Foto: Norbert Migu­letz

Die Beschrei­bun­gen des Hindurchna­vi­gie­rens nicht vorbei an, sondern mit der Natur, erfasst die Größe und Erha­ben­heit der Wale als das Tier des Meeres. Der Rhyth­mus ihrer Bewe­gun­gen sowie ihr Wissen um die Tiefe („know­ledge of the deep“) und das Leben auf diesem Plane­ten, tragen sie durch ihre Gesänge über Meilen und Jahr­hun­derte an Gene­ra­tio­nen weiter:

„The minu­tiae of a shared conscious­ness;
Whale dreams;
The accu­mu­la­ted know­ledge of the past;
Rumours of ances­tors, the Archaeo­ceti,
With life-spans of two and three hund­red years;
Memo­ries of loss;
Memo­ries of ideal love;
Memo­ries of meetings…”

John Akom­frah. A Space of Empa­thy, Instal­la­ti­ons­an­sicht Vertigo Sea, 2015, © Schirn Kunst­halle Frank­furt 2023, Foto: Norbert Migu­letz

Willi­ams Protest Ende der 1980er-Jahre gegen die scho­nungs­lose Ausbeu­tung der Natur durch den Menschen erstreckte sich mit „Whale Nation“ und weite­ren Büchern, wie „Sacred Elephant“ (1989) und „Auto­ged­don“ (1992), auch auf die Frage nach der Vorge­hens­weise, wie diese Themen gedacht und bespro­chen wurden. Es war ihm ein großes Anlie­gen, die Form der Poesie als ein Mittel für den Diskurs anwen­den zu können und sie hier­für von ihrem Elfen­bein­turm herun­ter­zu­ho­len. Mit seinen lite­ra­ri­schen Werken hinter­ließ er dem Histo­ri­ker Peter Whit­field zufolge einen nach­hal­ti­gen Eindruck auf die aufstre­bende Umwelt­schutz­be­we­gung. Neben seinen Über­le­gun­gen zum Gebrauch von Spra­che in Diskurs und Protest zeich­nen sich seine Texte durch verschie­dene  Ansätze und Perspek­ti­ven zum Umwelt­schutz aus. So erwähnt er in „Whale Nation“ unter­schied­li­che Volks­grup­pen wie die Inuit, Kwaki­uti oder Nootka, die die Wale als ein Teil der Natur schät­zen und mit ihnen zusam­men­le­ben. Willi­ams schil­dert jedoch im glei­chen Atem­zug auch die Walfang­in­dus­trie und das west­li­che Verständ­nis von Walen als ausschließ­lich wirt­schaft­li­che Ressource:

„An accu­rate shot lands between the shoul­der-blades.
An inac­cu­rate shot is follo­wed up by two, three or four more.
At the end of the five-foot-long harpoon
A small serra­ted cup prevents rico­chet.
The tip strikes,
Follo­wed by a time-fused charge explo­ding three seconds later,
Splin­te­ring and lace­ra­ting the harpoon’s way into the whale’s side.”

 



John Akom­frah, Vertigo Sea, 2015, Drei­ka­nal-Video­in­stal­la­tion, 7.1-Sound, 48:30 Min., Film­still, © Smoking Dogs Films / Cour­tesy Smoking Dogs Films and Lisson Gallery
Vergleichbare Arbeitsweisen, verschiedene Medien

In einem Nach­ruf über Willi­ams, der 2017 verstarb, schrieb Whit­field über die Arbeit des briti­schen Dich­ters, Schau­spie­lers und Thea­ter­au­tors: „His poetry was not direc­ted inwards to the self, as most poetry is, but outwards to the world we live in, and to open the reader’s eyes to its tragic imper­fec­tions.”

Seine Beschrei­bung von Willi­ams' Arbeits­weise lässt sich auch auf die Filme von Akom­frah über­tra­gen. Auf drei großen Lein­wän­den greift der Künst­ler in „Vertigo Sea“ anhand von doku­men­ta­ri­schem Film­ma­te­rial, selbst gefilm­ten Land­schafts­auf­nah­men, aber auch Zita­ten und vorge­tra­ge­nen Frag­men­ten aus unter­schied­li­cher Lite­ra­tur, das Meer als einen Hand­lungs­ort von Welt­ge­sche­hen auf. Es werden verschie­dene Ausbeu­tungs­struk­tu­ren in Bezug auf das Meer thema­ti­siert, darun­ter sowohl die Walfang­in­dus­trie sowie die Verschlep­pung und Verskla­vung von Afri­ka­ner*innen, als auch Flucht und Migra­tion.

Die Bilder und Zitate werden dabei jedoch nicht zu einem harmo­ni­schen Ganzen, oder strin­gen­ten Erzähl­strang zusam­men­ge­führt, viel­mehr nutzt Akom­frah sie, um die unter­schied­li­chen Narra­tive und darin vorkom­men­den Iden­ti­tä­ten versetzt, unvoll­stän­dig, oder oftmals auch nur sequenz­haft zusam­men­zu­füh­ren. Neben den eindrucks­vol­len Land­schafts­auf­nah­men und Bildern des Ozeans in denen sich die Wale wie in Willi­ams Gedicht frei und schnell bewe­gen, wird das Meer auch als gewalt­vol­ler Ort und Grab­stätte erfahr­bar: „There is no diffe­rence between killing a man and a beast” blitzt einmal ein Zitat aus „Whale Nation“ auf.

John Akom­frah, Vertigo Sea, 2015, Drei­ka­nal-Video­in­stal­la­tion, 7.1-Sound, 48:30 Min., Film­still, © Smoking Dogs Films / Cour­tesy Smoking Dogs Films and Lisson Gallery

Beiden, Willi­ams und Akom­frah, geht es nicht darum die Schön­heit der Natur dem Schre­cken der mensch­ge­mach­ten Ausbeu­tungs­me­cha­nis­men und -struk­tu­ren gegen­über­zu­stel­len. Viel­mehr soll gezeigt werden, dass es eine Gleich­zei­tig­keit und Verbin­dung zwischen diesen Land­schaf­ten, verschie­de­nen Zeit­li­nien sowie den poli­ti­schen Ereig­nis­sen gibt, deren Bilder sich nicht in das Gedächt­nis der Welt­ge­mein­schaft einge­schrie­ben haben. So glei­ten auf den großen Lein­wän­den zwischen den einzel­nen Sequen­zen in „Vertigo Sea“ nicht nur die Wale durch das Meer, sondern auch Willi­ams Protest aus „Whale Nation“ – manch­mal sicht­bar, manch­mal unsicht­bar. Was für ein Ort ist der Ozean? Und was für ein Ort war er einmal?

Die Zusam­men­füh­rung verschie­de­ner Narra­tive auf den Lein­wän­den greift diese Fragen auf und bringt sie ins Gespräch – mitein­an­der, aber auch mit den Betrach­ter*innen. Wie auch die Reading Sessi­ons und der SCHIRN BOOK­CLUB, lädt sie dazu ein, die vermeint­li­che Unord­nung der Bilder, Themen und Zeit­li­nien in den realen Raum zurück­zu­ho­len und ihre Gesprä­che auf dieselbe Weise fort­zu­füh­ren.

John Akom­frah. A Space of Empa­thy, Offe­ner Lese­raum in der Ausstel­lung, © Schirn Kunst­halle Frank­furt 2023, Foto: Norbert Migu­letz

JOHN AKOM­FRAH. A SPACE OF EMPA­THY

9. NOVEM­BER 2023 – 28. JANUAR 2024

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