Welche Rolle spielen Empathie und Emotionen im Kulturbetrieb von heute und morgen? Im zweiten Teil der Interviewreihe verrät Karina Griffith, was sie sich für die Museen der Zukunft wünscht und wieso mehr Raum für Emotionen im deutschen Kulturbetrieb einer „kulturellen Revolution“ gleichkommen würde.

John Akomfrahs Filminstallationen setzen sich kritisch mit kolo­nia­len Vergan­gen­hei­ten, globa­ler Migra­tion oder der Klima­krise ausein­an­der, doch verliert der Künstler dabei nie die Empathie für alle Lebensformen aus den Augen. Wie blickt die deutsche Kulturlandschaft auf Emotionen und Empathie und welchen Ansprüchen und Transformationen sollten Kulturinstitutionen zukünftig gerecht werden?

Fragen wie diese bespricht Kuratorin Julia Grosse in der zweiteiligen Interviewserie mit Elisabeth Wellershaus und Karina Griffith. Im Gespräch mit der Künstlerin und Kulturschaffenden Karina Griffith erfahren wir, was sie sich für die Museen der Zukunft wünscht und weshalb mehr Raum für Emotionen im deutschen Kulturbetrieb einer „kulturellen Revolution“ gleichkommen würde.

Karina Griffith, Foto: Mikael Owunna

Museen und andere Kultureinrichtungen stehen heute unter großem Druck. Sie sollen nachhaltig geführte Räume für viele Stimmen bieten sowie programmatisch und strukturell diverser aufgestellt und dabei machtkritisch, selbstkritisch und vieles mehr sein. Elisabeth Wellershaus begründet die Notwendigkeit dieser Anforderungen mit unserer von politischen und klimatischen Krisen geprägten Gegenwart sowie dem erstarkenden Rechtsdruck und Populismus. Warum würdest du sagen, dass diese Transformationsprozesse notwendig sind?

Karina Griffith: Ich denke (ähnlich wie Elisabeth), dass die Antwort in der Frage liegt, was für uns auf dem Spiel steht. Ich glaube, dass die affektiven Beziehungen, die wir zu Museen haben, durch transformative und strukturelle Veränderungen beeinflusst und geformt werden können. Kennen wir das Museum als einen dynamischen Ort, als Studio, in dem wir verschiedene Arten des Zusammenseins und der Pflege unserer Kulturen auf nachhaltige, faire und gerechte Weise ausprobieren können? Wie lassen sich durch die Etymologie des Wortes „Museum”, das sich aus dem lateinischen Wort für „Studienort” und dem griechischen Wort für „Ort der Musen” zusammensetzt, neue intersektionale Bedeutungen finden? Und können wir produktive und politische Wege finden, um zu musealisieren; um eine Art des Nachdenkens zu fördern, die ebenso aktivierend wie erforderlich ist?

Glaubst du, dass Ausstellungshäuser in ein paar Jahren anders aussehen werden? Was wünschst du dir hier vielleicht sogar?

Karina Griffith: Diversität und Repräsentation werden eine viel größere Rolle und Sichtbarkeit in Einstellungsprozessen einnehmen müssen. Aber man kann einem Haus kein neues Aussehen geben, ohne das Fundament zu überprüfen.  Maßnahmen zur Förderung der Vielfalt müssen von institutioneller Rechenschaftspflicht, Unterstützung, Reflexion, angemessener Vergütung und strukturellen Veränderungen begleitet werden. Ich wünsche mir, dass sich die Menschen, die Vielfalt in die Museen bringen und dort praktizieren, darin auch wohlfühlen.

John Akomfrah. A Space of Empathy, Offener Leseraum in der Ausstellung, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2023, Foto: Norbert Miguletz

Akomfrahs Praxis ist am Ende des Tages inspiriert von einer Praxis des Zusammenkommens, Kümmerns und Heilens. Das Aushalten-Müssen des Faktes, dass zwischen der einen und anderen Perspektive unzählige Ebenen liegen und dass es am Ende ein Raum ist, den wir teilen müssen. Sollten wir für diesen Raum der Gleichzeitigkeit mehr kämpfen? Wie siehst du das?

Karina Griffith: Mir gefällt, wie du das formuliert hast, denn ich bin eine Liebende, nicht eine Kämpferin. Ich möchte nicht kämpfen, aber es gibt Zeitpunkte, während derer die Konfrontation die einzige gesunde Option ist. Ich kenne die Gleichzeitigkeit in der Musik; sie ist eine Metapher, die ich verkörpern kann. Harmonie und Dissonanz entstehen durch viele Akkorde, die gleichzeitig gespielt werden und nicht durch einen einzigen Ton, der geduldig darauf wartet, dass er an der Reihe ist, gehört zu werden. Können Museen Orte sein, an denen solche unbequemen, aber rhythmischen Sinfonien des Zusammenseins stattfinden?

John Akomfrah. A Space of Empathy, Installationsansicht The Unfinished Conversation, 2012, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2023, Foto: Norbert Miguletz

Karina, du kommst als Künstlerin und Kuratorin vom Film. Ich denke immer, dass der Film in der Kunst ein Medium ist, das die Menschen auf einer ganz anderen Ebene ansprechen kann, wenn es darum geht, etwas in uns auszulösen. Würdest du dem zustimmen? Und warum denkst du, ist das so?

Karina Griffith: Ich sage immer, dass ich keine Cinephile bin – ich liebe den Film nicht. Tatsächlich habe ich ziemliche Angst vor bewegten Bildern und dem Kinosaal im Allgemeinen, schließlich habe ich dort schon viele visuelle und akustische Gewaltakte erlebt... Ich respektiere das Kino eher für die Arbeit, die es leisten kann. Es fasziniert mich, dass ein Film eine Projektion ist, aber auch ein Ort, in den wir hineinprojizieren. Film wird zu einem mächtigen Werkzeug, wenn wir ihn als Konstrukt erkennen und diese Erkenntnis nutzen, um andere Konstrukte (z. B. „race“oder „gender“) zu zerstören, die ebenso zwingende, aber fiktive Geschichten erzählen.

Diskurse um Liebe, Emotionen und Empathie finden gerade in deutschen Kulturinstitutionen kaum statt. Warum würdest du argumentieren, dass diese Tendenzen in einem kulturinstitutionellen Kontext im Moment mehr als nötig sind?

Karina Griffith: Liebe erfordert Verletzlichkeit. Ich finde das im deutschen Kontext sehr schwierig, denn ich habe oft das Gefühl, dass Neugier, Positivität und Emotionen im Allgemeinen in Deutschland mit Naivität und Ignoranz gleichgesetzt werden. Es ist beunruhigend für mich, wie oft ich gefragt werde: „Warum lächelst du?" Eine heftige Frage, wenn man darüber nachdenkt – als ob flüchtige Momente der Freude verdächtig sind und hinterfragt werden müssen. Institutionen gründen sich auf Zweck und Praxis. Die Liebe zum Zweck einer kulturellen Institution zu machen, würde an einem historisch so verwundeten Ort wie Deutschland einer kulturellen Revolution gleichkommen.

JOHN AKOM­FRAH. A SPACE OF EMPA­THY

9. NOVEMBER 2023 – 28. JANUAR 2024

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