Welche Rolle spielen Empathie und Emotionen im Kulturbetrieb von heute und morgen? Im ersten Teil der Interviewreihe spricht Kuratorin Julia Grosse mit Elisabeth Wellershaus über ihr aktuelles Buch, John Akomfrahs Werk und Veränderungen in der Kulturindustrie.

John Akomfrahs Filminstallationen setzen sich kritisch mit kolo­nia­len Vergan­gen­hei­ten, globa­ler Migra­tion oder der Klima­krise ausein­an­der, doch verliert der Künstler dabei nie die Empathie für alle Lebensformen aus den Augen. Wie blickt die deutsche Kulturlandschaft auf Emotionen und Empathie und welchen Ansprüchen und Transformationen sollten Kulturinstitutionen zukünftig gerecht werden?

Fragen wie diese bespricht die Kuratorin Julia Grosse in der zweiteiligen Interviewreihe mit Elisabeth Wellershaus und Karina Griffith. Den Auftakt der Gesprächsreihe macht die Journalistin Elisabeth Wellershaus, die mit ihrem Buch „Wo die Fremde beginnt“ 2023 für den Deutschen Sachbuchpreis nominiert wurde.

Elisabeth Wellershaus (c) Juliette Moarbes

Museen und andere Kultureinrichtungen stehen heute unter großem Druck. Sie müssen ein nachhaltig geführter Raum für viele Stimmen sein, programmatisch und strukturell diverser aufgestellt, machtkritisch, selbstkritisch und vieles mehr sein. Warum würdest du sagen, dass diese Transformationsprozesse notwendig sind?

Elisabeth Wellershaus: Wenn Museen ein wandelbares Verständnis von Gesellschaft und Zusammenleben abbilden sollen, dann müssen auch sie sich der Selbstbefragung und den Transformationsprozessen anschließen, die uns in komplexen Umwelten und Zeiten begleiten. Gerade wenn populistische Verhärtung und rechtsextreme Gefahren dem Ringen um Teilhabe und Sichtbarkeit aus marginalisierten Gruppen gegenüberstehen, wenn die Natur vielerorts ums Überleben kämpft und sich Krisen in Kriege verwandeln, braucht es institutionelle Rahmen, in denen Kunst ungehindert kritisieren, inspirieren und aufrütteln darf. Es braucht offene Räume, in denen die Kultur Formate und Töne setzt. In denen sie nicht von geopolitischen oder gesellschaftlichen Verstrickungen getrieben wird – und wo sie sich von der Abhängigkeit hierarchischer Institutionsstrukturen lösen kann.

Glaubst du, dass Häuser in ein paar Jahren anders aussehen werden? Was wünschst du dir hier vielleicht sogar?

Elisabeth Wellershaus: Die südafrikanische Kuratorin Molemo Moiloa beschreibt in ihrer Arbeit sehr treffend, dass die Öffnung der Museen vor allem dort stattfindet, wo sie sich von der Objektfixierung weg und hin zu einer sozialeren Praxis bewegen. Der Grund, aus dem Menschen ins Museum gehen, ist ja nicht allein intellektuelle Neugier. Meist geht es doch auch darum, sich aus unterschiedlichsten Perspektiven berühren zu lassen. Was für ein schöner Gedanke, wenn diese Berührbarkeit sich auch auf ein Miteinander zwischen Publika, Künstler*innen, Museumsangestellten und Nachbarschaften rund um die Museen ausweiten würde.

John Akomfrah. A Space of Empathy, Offener Leseraum in der Ausstellung, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2023, Foto: Norbert Miguletz

Akomfrahs Praxis ist am Ende des Tages inspiriert von einer Praxis des Zusammenkommens, Kümmerns und Heilens. Dem Aushalten-Müssen des Faktes, dass zwischen der einen und anderen Perspektive unzählige Ebenen liegen und dass es am Ende ein Raum ist, den wir teilen müssen. Müssen wir für diesen Raum der Gleichzeitigkeit mehr kämpfen? Wie siehst du das?

Elisabeth Wellershaus: John Akomfrah erinnert mich auf eine wunderbare Weise daran, dass die Lesarten historischer Ereignisse immer individuelle sind. Und dass sie mit Karacho in die Wahrnehmungen der Gegenwart krachen können, wenn man die Perspektiven nur um ein paar Grad verschiebt. Die Flexibilität, die Dinge immer wieder in unterschiedlichen Konstellationen zu kontextualisieren, ist in diesen Zeiten so wichtig. Aber nicht nur deshalb könnte ich stundenlang in seinen Arbeiten eintauchen, sondern auch, weil sie einerseits in poetischer Langsamkeit verharren und andererseits dazu aufrufen, sich den rasanten Perspektivwechseln hinzugeben. Die Gleichzeitigkeit solcher Erzählungen auszuhalten, bedeutet auch, den Positionierungsreflexen der Gegenwart zu widerstehen.

John Akomfrah. A Space of Empathy, Installationsansicht Becoming Wind, 2023, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2023, Foto: Norbert Miguletz

Elisabeth, Akomfrahs Arbeit „The Unfinished Conversation“, eine Art Hommage an den späten Stuart Hall, berührt auf sehr poetische Art dessen lebenslanges Thema der Vielschichtigkeit von Identität, die sich laut Hall ständig im Fluss befindet. Dein Buch „WO DIE FREMDE BEGINNT“ argumentiert da in einer ziemlich ähnlichen Richtung, oder? Kannst du ein bisschen dazu erzählen?

Elisabeth Wellershaus: Ich glaube, die Sehnsucht nach Überschaubarkeit in einem heterogenen Umfeld der Vielen wächst derzeit rasant. Und dabei lässt sich allzu leicht übersehen, wie groß das Potenzial dieser Vielfalt ist. In meiner Erfahrung liegt unser gesellschaftliches Potenzial nicht in den romantisierenden Visionen einer restlos glücklichen Inklusionswelt. Sondern vielmehr darin, Aushandlungsprozesse auszuhalten, die anstrengend und auch schmerzhaft sein können aber bei denen echte Begegnung stattfindet. Vielleicht liegt es auch in der Bereitschaft, historische Gewissheiten, gesellschaftliche Allianzen und eingefahrene Gruppenzugehörigkeiten immer wieder neu zu denken – als Voraussetzung dafür, dass wir als Gemeinschaft der Vielen in Bewegung bleiben.

Elisabeth Wellershaus: Wo die Fremde beginnt, 2023 (C.H. Beck)

Diskurse um Liebe, Emotionen und Empathie finden gerade in deutschen Kulturinstitutionen kaum statt. Warum würdest du argumentieren, dass diese Tendenzen in einem kulturinstitutionellen Kontext im Moment mehr als nötig sind?

Elisabeth Wellershaus: Es kommt immer wieder vor, dass Kunst politisch vereinnahmt und ideologisch aufgeladen wird, sodass die Sprachen der Künstler*innen hinter manchen Debatten zu verschwinden drohen. Ich glaube, Entschleunigung ist in diesem Zusammenhang fast immer heilsam – um den Akt des Zuhörens in einer überreizten Gegenwart nicht aus dem Blick zu verlieren. Wenn Offenheit gegenüber den Positionen der „Anderen“ und Fürsorge Teil einer Praxis des Zuhörens sind, entwickeln sich aus der Differenz oft überraschende Verbindungsmomente. Gerade lese ich Corine Pelluchon und denke: Dort wo Raum für die unterschiedlichsten Erzählungen menschlicher Erfahrung entsteht, entsteht vielleicht auch Raum, um in den scheinbaren Unmöglichkeiten der Gegenwart wieder etwas Hoffnung zu entdecken.

JOHN AKOM­FRAH. A SPACE OF EMPA­THY

9. NOVEMBER 2023 – 28. JANUAR 2024

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