IDENTITÄT UND SOZIALE NETZWERKE
Der Berliner Kurator und Künstler Robert Sakrowski über den Einfluss multinationaler Konzerne auf unsere kulturelle Wirklichkeit.
Von Robert SakrowskiDie Infrastrukturen, die diese Sozialen Netzwerke ermöglichen, treten uns als scheinbar neutrale Medien entgegen.
Soziale Netzwerke sind Abbildungen gesellschaftlicher Strukturen in Software. Sie stellen Institutionalisierungen kultureller Praxen dar, in denen soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital generiert und zwischen den einzelnen sozialen Feldern konvertiert bzw. verhandelt wird.
Identität ist eines der Grundkonzepte unserer Kultur. Identität bedingt Struktur. Identität ermöglicht, etwas aus dem Ununterscheidbaren wahrzunehmen. Mit der Nennung und der Unterscheidung von Etwas aus Allem beginnt unsere Kultur. Innerhalb der Kultur, dem geregelten Zusammenleben von Einzelnen in der Gemeinschaft, ist Identität zum Beschreiben und Benennen des Einzelnen konstitutiv, da nur aus dem Miteinander von Einzelnen Gemeinschaft entstehen kann. Das Miteinander von verschiedenen Gemeinschaften wiederum erschafft Gesellschaft.
Nur wenn die Regeln, die eine Gemeinschaft organisieren, auch adressierbar sind, lässt sich ihr ordnender Charakter zur Anwendung bringen. Das Ordnen ist ein ins Verhältnis-Setzen der jeweiligen Individuen, welche durch ihre Identität als Teil der Gemeinschaft bestimmbar sind.
Attribute wie Sprache oder Geburtsort dienen sowohl der Identifikation eines Individuums als Teil der Gemeinschaft als auch der Bestimmung von Identität. Entscheidend dabei ist, dass die Identität bezeugt wird, um die Zugehörigkeit zu einer entsprechenden Gemeinschaft nachzuweisen. Jedoch schon in einer kleinen Gemeinschaft von Individuen können nicht alle Beziehungen ununterbrochen realisiert werden. Ab dem Zusammenschluss mehrerer Gemeinschaften zu einer Gesellschaft wird es unmöglich, bezeugende Beziehungen zu allen einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Daraus entwickelt sich notwendigerweise ein System der Repräsentation. An die Stelle direkter Zeugenschaft tritt beispielsweise die institutionalisierte Zeugenschaft.
Repräsentation ist immer auch Subsumtion. Durch die Verkettung von Repräsentationen, d.h. wenn Repräsentanten von Repräsentanten gewählt werden, entstehen pyramidenartige Verschiebungen von „sozialer Potenz“, die im Beziehungsgeflecht der Gesellschaft Positionen erschafft, die mit enormen Handlungsspielräumen ausgestattet sind. Bemerkenswert daran ist, dass es unwichtig ist, wer diese Positionen besetzt. Vielmehr ist ihre alleinige Existenz entscheidend, da sie die netzwerkartigen Beziehungen innerhalb einer Gesellschaft strukturieren.
Notwendigerweise sind „Top“- Positionen in der Gesellschaft knapp, woraus sich ein starker Wettbewerb entwickelt. In der kapitalistischen Gesellschaft überträgt sich auf diesen Wettstreit die Idee des fairen Wettbewerbs. Das Konzept des Wettbewerbs und dessen fairer Entscheidung spiegeln sich auch innerhalb der Sozialen Netzwerke wider. So interpretieren ihre Teilnehmer die quantifizierten Abbildungen gesellschaftlicher und gemeinschaftlicher Beziehungen als mathematische bzw. logische Abbildungen, die grundsätzlich objektiv sind und deshalb eine wertfreie und Interessen unabhängige Bestimmung von dem, was wahr oder falsch bzw. „top or down“ ist, gewährleisten. Der Mythos der Aufklärung findet in der Faszination und Begeisterung für die Darstellung von Zahlen und Mengen als eine Anzahl von Views, Clicks, Friends, Likes, Links, Quotes, Votes etc., die als vermeintlich objektive Abbildungen sozialer Realität gelesen werden, seine abergläubigsten Follower.
Die Veröffentlichung der permanenten Selbstreflexion, der ununterbrochenen Dokumentation von Ereignissen, erschafft durch das Teilen im Sozialen Netzwerk eine Form der Zeugenschaft, die die eigene Präsenz und Existenz in der Welt beglaubigen soll. Der eigentliche Event, das Dokumentierte bzw. der Inhalt spielt dabei keine wirkliche Rolle. Das Ereignis ist austauschbar, einzig als Medium oder Dokument bedeutsam für die im Teilen angestrebte Zeugenschaft. Die Anderen und ihre zum Teilen bestimmten Welten werden auf diese Weise zum konstitutiven Bestandteil des sogenannten "Real Life" des Einzelnen. Ist der Einzelne bereit, die Funktion der Zeugenschaft für die Anderen zu leisten, kann er eher erwarten, dass diese auch ihm gegenüber erbracht wird.
Die Beziehungen, die sich in permanenten Austauschakten des Kennens und Anerkennens vollziehen, generieren soziales Kapital, welches gegebenenfalls für eine nächst höhere Position innerhalb des Sozialen Netzwerks eingetauscht werden kann. Dabei sind die Identitätsstiftenden Momente der Zeugenschaft gegenüber der Anzahl der bezeugenden Beziehungen fast bedeutungslos. Und auch die geteilten Identifikationen, die Beziehungen zu den Repräsentanten, werden durch komplexe Verkettungen immer ferner, sodass die Position des Einzelnen der Unheimlichkeit und Unsicherheit anheimfällt. Die Netzwerkteilnehmer spüren dies in einem sich verstärkenden Druck der Auflösung des Individuellen im ununterscheidbaren Ganzen.
Problematisch ist die Macht, die die Sozialen Netzwerke hinsichtlich ihrer Einschreibung in unsere kulturelle Wirklichkeit besitzen. Der performative Charakter der Netzwirklichkeit hat eine Bedeutsamkeit erlangt, die diejenige der traditionellen und institutionalisierten Entscheidungsprozesse übersteigen kann. Der Netzraum ist nicht nur ein Raum neben vielen anderen sozialen Räumen wie der Familie, der Religion, der Politik oder der Kunst, vielmehr überlagert er sämtliche und die Positionen, die in ihm eingenommen werden, schreiben sich in alle anderen Räume mit ein.
Für die Teilnehmer problematisch wird ihre Beziehung zu den Sozialen Netzwerken dann, wenn deren Abbildungen als vermeintlich objektive Beschreibungen und nicht als von Interessen gesteuerte Interpretationen unserer ökonomischen, sozial-politischen und kulturellen Wirklichkeit wahrgenommen werden. Soziale Netzwerke sind ebenso wenig objektiv wie Presse, Radio oder Fernsehen. Die Infrastrukturen, die diese Sozialen Netzwerke ermöglichen, treten uns als scheinbar neutrale Medien entgegen. Als solche verschleiern sie die Interessen Ihrer Eigentümer, deren externe Positionen und Interessen die Sozialen Netzwerke beherrschen. Diese Positionen sind niemals Teil des Wettbewerbs. Dennoch sind gerade sie in der Lage, mittels technischer Kontrolle über die Sozialen Netzwerke in einem bisher unbekannten Ausmaß von Macht, Einfluss auf die soziale Realität zu nehmen.
ÜBER DEN AUTOR:
Robert Sakrowski ist Magister der Kunstgeschichte und arbeitet freiberuflich als Kurator und Künstler in Berlin. Von 1999 – 2003 kuratierte und organisierte er im Rahmen des Projektes netart-datenbank.org Ausstellungen und Vorträge zur Netzkunst. Von 2007 bis 2009 arbeitete er freiberuflich am “Netzpioniere 1.0” Forschungsprojekt am Ludwig Boltzmann Institute Media.Art.Research in Linz. Seit 2007 setzt er sich unter dem Namen CuratingYouTube.net intensiv mit den web.video Phänomenen auseinander und stellt mit gridr.org (2012) ein eigens dafür konzipiertes OnlineTool zur Verfügung. 2014 arbeitete er für das transmediale festival 2015 „capture all“ als Gast Kurator. 2015 kuratierte er den Ausstellungsteil im newman festival in Litauen, die Ausstellung Library Rhythm in Stuttgart in der Gallerie B und nimmt mit seiner Archiv Arbeit Switch Off an der Tele-Gen Ausstellung im Kunstmuseum Bonn teil.