Hans Haacke lebt und arbeitet seit 1965 in New York City. Grund genug, seine Beziehung zum „Big Apple” einmal genauer zu beleuchten: Angefangen bei seinem Einfluss auf die New Yorker Kunstinstitutionen und Galerien bis zu seiner Lehrtätigkeit an der Cooper Union.
Hans Haacke hat das Verhältnis zwischen Kunst und Gesellschaft seit den 1960er-Jahren neu definiert und gilt als einer der Gründungsväter der künstlerischen Institutionskritik. Aktuell ist der Künstler in der SCHIRN Kunsthalle Frankfurt mit einer groß angelegten Retrospektive zu sehen, die sein einflussreiches und umfangreiches Oeuvre von 1959 bis heute zeigt.
1936 in Köln geboren, wanderte er in den 1960er-Jahren in die USA aus und lebt seit 1965 in New York City. Der „Big Apple” wurde damit zu einem Mittelpunkt seines Lebens und Schaffens. Grund genug, Haackes Beziehung zu New York einmal näher zu betrachten - etwa seine Verbindungen zu den New Yorker Kunstinstitutionen und Galerien sowie seine Zeit an der Cooper Union, an der er 35 Jahre lang lehrte.
Haacke & die New Yorker Museen
Als Hans Haacke 1965 final nach New York zog, traf er auf eine Stadt im Wandel, geprägt von sozialem Umbruch und kulturellen Revolutionen. Ein einschneidendes Ereignis beeinflusste seine Entwicklung als Künstler dabei erheblich und verstärkte seinen Fokus auf institutionelle Kritik: die Ermordung von Martin Luther King Jr. im Jahr 1968. In einem Brief an Jack Burnham schrieb Haacke:
„Kunst ist gänzlich ungeeignet als politisches Instrument. Kein Polizist wird sich davon aufhalten lassen, einen Schwarzen zu erschießen, bei all den weißen Räumen dieser Welt. Ich habe es bereits gesagt, ich wusste dies bereits seit einigen Jahren und war nie wirklich davon beeinträchtigt. Aber auf einmal macht es mir etwas aus. Ich frage mich, warum um Himmels willen arbeite ich eigentlich in diesem Feld. Nochmal, eine vernünftige Antwort darauf gibt es nicht und bisher hat es mich nicht wirklich gestört. Ich habe immer noch keine Antwort, aber jetzt ist mir nicht mehr behaglich zumute.”
Es war jenes Unbehagen, dass Haacke dazu veranlasste, Kunst als Medium für die Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Themen zu nutzen. Der Künstler tauchte tief in die Verstrickungen von Kunstinstitutionen und Sponsor*innen ein, angefangen mit der berühmten „MoMA Poll” von 1970. Im Geheimen - weder Kurator*innen noch der Museumsdirektor oder das Board wussten Bescheid - bereitete Haacke eine politisch geladene Umfrage vor, an der die Besucher*innen am Eingang des Museums teilnehmen sollten: „Wäre die Tatsache, dass sich Gouverneur Rockefeller nicht gegen die Indochina-Politik von Präsident Nixon ausgesprochen hat, ein Grund für Sie, im November nicht für ihn zu stimmen??” Rockefeller, zu dieser Zeit sowohl im Vorstand des MoMA als auch Gouverneurskandidat von New York, versuchte die Befragung direkt zu unterbinden. John Hightower, damaliger Direktor des MoMA, weigerte sich jedoch, der Aufforderung Rockefellers Folge zu leisten.
Erfreulicherweise hat Haacke für die Retrospektive in der SCHIRN eine neue Arbeit konzipiert, den „Frankfurt Poll“, an dem Besucher*innen der Ausstellung teilnehmen können.
Kurz nach „MoMA Poll” musste sich Haacke schließlich wirklich den Konsequenzen seiner institutionellen Kritik stellen, als seine Einzelausstellung im Guggenheim Museum 1971 kurzfristig abgesagt wurde. Auslöser dafür war die Arbeit „Shapolsky et al. Manhattan-Immobilienbesitz – Ein gesellschaftliches Realzeitsystem, Stand 1.5.1971”, für die der Künstler die Machenschaften hinter den Immobiliengeschäften der bekannten New Yorker Slumlords Harry Shapolsky und anderen aufgedeckt hat. Thomas Messer, damaliger Direktor des Guggenheims, sagte Haackes Ausstellung nur sechs Wochen vor der Ausstellungseröffnung ab, weil sich der Künstler weigerte, sich vom Museum zensieren zu lassen und drei seiner Werke aus der Schau zu entfernen.
Seither hat Hans Haacke den Pfad der institutionellen Kritik nicht mehr verlassen, wenngleich es ihn einen hohen Preis gekostet hat: Etwa 15 Jahre sollte es dauern, bis der Künstler wieder in einem US-amerikanischen Museum ausgestellt werden würde.
Haacke & und die New Yorker Galerien
Während ihn die großen US-Kunstmuseen mieden, wandte sich Haacke den New Yorker Galerien zu, die seine Arbeiten hingegen ausstellten und zu schätzen wussten. Seine allererste Ausstellung wurde von der Howard Wise Gallery gezeigt, gefolgt von einer langjährigen Zusammenarbeit mit der John Weber Gallery, die ihn von 1973 bis in die frühen 2000er-Jahre hinweg repräsentierte, bis schließlich 2005 die Paula Cooper Gallery übernahm, mit der er bis heute eng verbunden ist.
Paula Cooper, die die Paula Cooper Gallery 1968 gründete, erinnert sich lebhaft an ihr erstes Treffen mit Haacke im Jahr 1969 „als er vorbeikam, um seine Arbeit für „Number 7” (eine Gruppenausstellung, die von Lucy Lippard in meiner ersten Galerie im dritten Stock an der 96 Prince Street kuratiert wurde), zu installieren. Ich erinnere mich noch wie heute an das Werk - eine Umweltarbeit auf einem Podest, die einen Ventilator nutzte, um die Luft umzuleiten. Er hat zu dieser Zeit bei der Howard Wise Gallery ausgestellt und ich wusste von ihm, kannte ihn aber noch nicht persönlich."
Sie und Haacke begegneten sich dann immer wieder auf den großen Europäischen Gruppenschauen wie der documenta in Kassel, auf der Haacke mehrmals seine Werke zeigte - zum Beispiel auf der documenta 5 (1972), wo er das „Documenta-Besucherprofil” präsentierte, einen „Fragebogen mit 10 demographischen und 10 Meinungsfragen zu aktuellen sozialpolitischen Problemen”. Dazu zählten Fragen wie: „Sind Sie für die Freigabe von Schwangerschaftsunterbrechungen?” oder „Würden Sie für den Schutz und die Sanierung der Umwelt höhere Steuern und/oder höhere Preise in Kauf nehmen?” Cooper beschreibt, wie sehr sie von „der Vielseitigkeit seiner Arbeit beeindruckt war, von den Werken, die sich mit natürlichen Systemen auseinandersetzen, bis zu denen, die sich mit sozialen, politischen und ökonomischen Strukturen beschäftigten. Seine Arbeiten waren manchmal fast flüchtig und manchmal physikalisch sehr präsent."
Ihr Interesse und ihre Anerkennung haben sich wie eine „Konstante über die vielen Jahre hinweg durchgezogen", bis sie schließlich mit dem Künstler zusammenarbeiten konnte. „Unsere erste Soloausstellung mit Hans war „State of the Union” 2005 in der 534 West 21st Street. Die Arbeiten reflektierten die Nachwirkung des 11. September 2001: die Wunden eines Landes, das Handeln der US-Regierung und eine gespaltene, im Widerspruch gefangene Nation.”
Haacke & die Cooper Union
Während er in den New Yorker Galerien seine Arbeiten zeigte, trat Hans Haacke 1967 auch als Professor für Kunst eine Position an der Cooper Union an, die er für 35 Jahre bis 2002 innehatte. Die Cooper Union for the Advancement of Science and Art oder kurz Cooper Union wurde 1859 von Peter Cooper als privates College gegründet, das nach einem radikal neuen Bildungsmodell (für die USA) funktionieren sollte: „offen und frei für alle”. Die Schule sollte für alle, die sich qualifiziert haben, zugänglich sein – ganz unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion, Reichtum oder Status. Ein Modell, das die Schule mit ein paar Ausnahmen seit ihrer Gründung so beibehalten hat. Hans Haacke auf diesen Lehrstuhl zu berufen, scheint wie die Faust aufs Auge zu passen – eine perfekte Verbindung, die stimmiger kaum sein könnte.
Mit nur einer begrenzten Anzahl an Studienplätzen war die Konkurrenz an der Cooper Union jedoch von Anfang an groß: der Fotograf und Konzeptkünstler Kevin Clarke, der 1973 bis 1976 bei Haacke studierte, erinnert sich, dass „die Cooper Union als eine Eliteschule galt und die Studierenden als besonders herausragend. Jeder bekam ein Vollstipendium, ein absolutes Novum in den USA. Das hat schnell Rivalitäten erzeugt.”
Für ihn hatte Haacke „einen eher legeren Unterrichtsstil, der auf seinem Wissen rund um zeitgenössische Kunst mit einem Fokus auf Konzeptkunst sowie der Verschränkung von Kunst und sozialer Verantwortung basierte. Andere Professoren für Bildhauerei waren eher an Minimalismus oder romantischen und spirituellen Ideen als an Kunstgeschichte interessiert. Hans hat da definitiv eine eher strikte, sehr deutsche Philosophie vertreten. Deutsche Kunst in den 70er-Jahren unterschied sich stark von, sagen wir, Frankreich, Italien oder eben der New York oder Chicago School of Arts [...] In New York City lasen die Kunststudierenden stattdessen „The Fox”, „October”, Wittgenstein, Levi-Strauss und strukturelle Linguisten, alles beeinflusst von Professor Haacke.”
Das Studium unter Haacke veränderte Clarkes künstlerische Herangehensweise an Bildhauerei komplett: „Ich mochte große Arbeiten und hatte zudem einen technischen Hintergrund im Holzarbeiten von der Seite meines Großvaters. Ich wusste, wie man Dinge macht. Aber Hans fiel jede kleine Inkonsistenz in meinen Formen auf. Er brachte mich dazu, meine künstlerischen Entscheidungen, die meine Ideen vermitteln sollten, zu hinterfragen – warum war da diese Rundung? Warum jene Linie? Das machte mich unsicherer in meinen Entscheidungen, was etwas Gutes war.” Nach seinem Studium arbeitete er mit Joseph Beuys zusammen, den Haacke ihm während seiner Zeit an der Cooper Union vorgestellt hatte, und entwickelte sein „experimentelles Portrait-Projekt“ und seine „Arbeit mit DNA, die ohne Hans‘ Einfluss [...] wohl undenkbar gewesen wäre!"
Auch über zwei Jahrzehnte später hatten Haackes institutionelle Kritik und sein Einfluss auf junge Studierende nichts von ihrer Sprengkraft verloren: 1992 inspirierte seine Lehre sieben Doktorand*innen – Daniel McDonald, Patterson Beckwith, Sarah Rossiter, Craig Wadlin, Shannon Pultz, Gillian Haratani und Sobian Spring – zur Gründung des Kunstkollektivs ART CLUB2000. Gemeinschaftlich trugen sie die institutionelle Kritik bis an die Grenzen, weit über die Generation X hinaus. Obwohl sich das Kollektiv, wie bereits bei der Gründung angekündigt, im Jahr 2000 auflöste, beantworten sie Presseanfragen immer noch gemeinsam.
Shannon Pultz erzählt, dass Hans „ein großartiger Lehrer war! [...] Er hat uns durch seine Art, unser Denken im Studium anzuleiten, institutionelle Kritik nähergebracht. Und wir haben auch viel dadurch gelernt, dass wir uns seine Arbeiten jener Zeit ansehen konnten. Einer der Ausstellungsflyer, die er an der Schule aufgehängt hat, führte vielleicht sogar zu der Performance „May I Help You” von Andrea Fraser in der American Fine Arts, Co. Galerie – ein entscheidender Moment für uns alle, der stark geprägt hat, wie wir über Kunst denken. ART CLUB2000 hätte ohne Hans also vielleicht gar nicht existiert.” Nicht nur brachte er neue, alternative Denker*innen und Künstler*innen in seine Klasse wie Mark Dion, Lorna Simpson, Dorothea Rockbourne und Fred Wilson, „Haacke gab auch nach dem zweiten Jahr keine fertigen Forschungsideen mehr vor, was seine Studierenden dazu zwang, ihre eigene Stimme als einen wichtigen, ja kritischen Teil im Kreativprozess zu finden,” ergänzt Pultz. „Haacke hat uns nicht nur technische Fähigkeiten und künstlerische Methoden gelehrt, sondern in uns allen auch ein tiefes Bewusstsein für soziale Verantwortung, kritisches Denken und den Mut, den Status Quo in Frage zu stellen, verankert.” Sie beschreibt ihn als jemanden mit einer „großen Präsenz, der gleichzeitig ruhig und bedacht war. „Er fuhr normalerweise auf einem alten Cityfahrrad zur Schule. Wir sahen ihn oft durch die Lower East Side radeln.”
Haacke & das Westbeth
Es ist nicht überraschend, dass Haacke aufgrund seiner unerschrockenen künstlerischen Praxis, die Kunstinstitutionen und die Quellen ihrer Finanzierung ins Spotlight rückte, nie wirklich kommerziellen Erfolg hatte. Dies ist sicherlich einer der Gründe, weshalb er seit 1971 im Westbeth lebt - einem non-profit Wohnprojekt, das 1970 eröffnet wurde, um New Yorker Künstler*innen bezahlbaren Wohnraum und Studios zu bieten sowie einen Raum, um ihre Arbeiten zu zeigen. Diane Arbus lebte und starb berüchtigterweise im Westbeth und Keith Haring hatte dort eine seiner ersten Ausstellungen im ehemaligen Bell Labs Gebäude. Gerade in Zeiten von Immobilienkrisen und einem kontinuierlichen Anstieg der Mieten damals wie heute, ist es vielen Künstler*innen nicht möglich, die Energie der Stadt als Inspirationsquelle zu nutzen. Ohne die Förderung der Künste, die schon bald erneut auf dem Spiel stehen wird (und so vieles mehr), werden sich in Zukunft einige Künstler*innen eine vergleichbar freie, vom Kunstmarkt und seinen Akteur*innen losgelöste Perspektive nicht mehr leisten können.