Der Künstler Günther Förg ließ sich nicht festlegen – er agierte als Maler und Bildhauer, Fotograf und Zeichner stets zwischen allen Schubladen.

Kein künstlerisches Markenzeichen, keine leicht erkennbare Handschrift: Immer wieder versuchen Künstler, sich neu zu erfinden, um sich von Zuschreibungen und Erwartungen zu lösen. Gerhard Richter ist wohl der prominenteste Vertreter dieser Strategie. Aber auch das Œuvre des Künstlers Günther Förg (1952-2013) kann man unter der Perspektive des Ausweichens betrachten. Es umfasst Malerei und Fotografie, Skulptur und Zeichnung, Wandarbeiten und Werke im öffentlichen Raum.

Im Jahr 2008 präsentierte sich Förg mit einer leichtfüßig und beschwingt wirkenden Malerei. Die großformatigen Leinwände aus dieser Periode zeigen Anordnungen, Akkumulationen von Pinselgesten, die einerseits etwas Graphisches haben, da sie den Strich betonen, andererseits eine genuin malerische, an Farbwirkung orientierte Qualität aufweisen. Die Leinwände vibrieren förmlich, ein Orchester an Formen bietet sich dem Betrachter. Ihre ausgeprägte Spontaneität ist erstaunlich. 

Bekenntnis zum Unfertigen 

Förgs frühere Arbeiten wirken oft distanziert und sachlich. Sie sind hauptsächlich abstrakt, auf wenige Farbfelder reduziert. Barnett Newman und Blinky Palermo werden oft als Bezugspunkte dafür genannt. Besonders mit dem Beuys-Schüler Palermo hat sich Förg während seines Studiums an der Münchener Akademie beschäftigt. Seit den 1990er-Jahren entwickelte sich Günther Förgs Malerei hin zu einem lockereren Duktus. Viele seiner Arbeiten sind von Gitter- und Rasterstrukturen bestimmt. In einem Gespräch im Jahr 1997 bekennt sich Förg zum Unfertigen, zur Schnelligkeit als Methode.

Günther Förg, Wandmalerei Antwerpen, Ausstellung Galerie Micheline Szwajcer Antwerpen, 1985. Photo: Günther Förg, Image via hamburg.de

Figurative Bezüge zeigen sich bei Förgs Skulpturen. Sie sind zunächst, in den 1980ern, als Reliefs entstanden, noch nah am gezeichneten Bild. Dann kamen Körperteile wie (maskenhafte) Gesichter, Hände, Füße hinzu. Als Bildhauer arbeitete Günther Förg meist mit Bronzeguss. Den Reiz des für ihn neuen, unerprobten Mediums sah Förg im Unperfekten. 

Zwischen den Epochen 

Ebenfalls in den 1980er-Jahren entdeckte Förg während einer Italienreise sein Interesse für Architekturfotografie. Die Architektur des „Rationalismo“, einer neusachlich-modernen Strömung im faschistisch regierten Italien der 1920er- und 1930er-Jahre war der Auslöser. Förg interessierte sich dabei für die klaren Formen der Gebäude, die für ihn auch einen Übergang zu seiner Malerei ermöglichten. Die bisweilen flüchtig aufgenommenen Fotografien zeigte er oft zusammen mit seinen Wandmalereien. In den Folgejahren entstanden weitere Serien (meist schwarz-weißer) Architekturfotografien.

Günther Förg Maske, Bronze, 1990, Foto: Wolfgang Günzel, © Estate of Günther Förg Courtesy Privatsammlung, Image via art-in-duesseldorf.de

1995 weilte Förg zwei Wochen lang in Moskau und fotografierte dort Gebäude der sowjetischen Architekturavantgarde der 1920er- und 1930er-Jahre. Die radikal modernen Bauten wurden oft dem Verfall preisgegeben. 1996 lichtete Förg das ehemalige IG-Farben-Gebäude in Frankfurt ab, das 1931 nach einem Entwurf von Hans Poelzig fertiggestellt wurde. Von 1952 bis 1995 beherbergte der monumentale Gebäudekomplex das europäische Hauptquartier der US Army. Seit 2001 ist es Sitz der Goethe-Universität. Förgs Fotografien zeigen das heute selbstverständlich von Studierenden genutzte Gebäude leerstehend, zwischen den Epochen. 

Ein geisterhafter Fotograf 

Teil seiner Architekturserien sind auch die beiden Fotografien, die in der Ausstellung „ICH“ in der Schirn zu sehen sind. Zum einen begegnet man Förgs Fotografie „Treppenhaus München“ aus dem Jahr 1984. Ein Mann schreitet eine Treppe hinunter, sein Gesicht ist außerhalb des Bildes. Die Szenerie wirkt kühl und anonym, das Sakko korrespondiert farblich mit dem Grau der Treppenstufen.

Günther Förg, Treppenhaus München, 1984/98, Sammlung Deutsche Bank

Für ein weiteres Foto lichtete sich Förg durch die Spiegelung einer Glasscheibe des berühmten Barcelona-Pavillons von Mies van der Rohe ab. Das Gebäude entstand 1929 als deutscher Pavillon zur Weltausstellung und wurde danach abgerissen. 1986 wurde es rekonstruiert, in diesem Jahr reiste Förg dorthin. Das Gesicht des Künstlers ist indes von der Kamera verdeckt. Das Bild ist verschwommen, der Fotograf wirkt geisterhaft. Er möchte nicht erkannt werden. Das Gesicht ermöglicht immer auch eine Festlegung, eine Identifizierung. Genau dagegen hat der Künstler Günther Förg sein Leben lang angearbeitet.

Günther Förg, Barcelona Pavillon, 1986/98, Sammlung Deutsche Bank