KONTEXT

GLAM – DER VOLLENDER

Der ambitionierte britische Sänger David Bowie hatte bereits viele Stile erfolglos ausprobiert, bevor er die diversen Ansätze des Glam bündelte und 1972 als Ziggy Stardust zum Superstar avancierte.

Von Markus Farr

Am 8. Januar 1947 in London geboren, zog es David Robert Jones schon früh auf die Bühne. Bereits mit 15 gründete der Sänger und Saxofonist seine erste Band, seine Lehre am Bromley Technical College – wo er Musik, Kunst und Grafikdesign studierte – brach er nach nur einem Jahr ab, um fortan unter dem Pseudonym David Bowie Popstar zu werden. Es folgten erste Veröffentlichungen mit diversen Rock’n’Roll- und Mod-Bands, aber auch eine Solo-Karriere als Schlagersänger endete 1967 so schnell wie erfolglos. Bowie schloss sich der Schauspielklasse des Pantomimen Lindsay Kemp an, wo er vom Avantgarde-Theater sowie in der Kreation von Bühnenpersonae unterrichtet wurde.

Bowies Musikkarriere war von Beginn an stilistisch wie visuell unbeständig, doch in der frühen Phase war dies vor allem Ausdruck einer ruhelosen Suche nach der eigenen künstlerischen Identität. Noch folgte Bowie den Trends statt sie zu setzen: 1969 hatte der blond gelockte Sänger der Mondlandung eilig die psychedelische Folk-Single „Space Oddity“ nachgeschoben, die immerhin die britischen Top 5 erreichte. Doch der schwerere Bluesrock des Nachfolgealbums „The Man Who Sold The World“ (1970) lag trotz des skandalträchtigen Covers, für das sich Bowie mit wallendem Haar und im Frauenkleid im Stil des Hollywoodstars Lauren Bacall zeigte, wie Blei in den Regalen. Für „Hunky Dory“ (1971) wiederum verwandelte sich Bowie in einen verträumten Spät-Hippie, der Folk-Weisen über seine Idole Bob Dylan und Andy Warhol darbot.

Letzterer war denn auch nicht besonders beeindruckt, als Bowie im September 1971 die Factory besuchte. Statt ein obligatorisches Polaroid vom Antlitz des Gastes zu machen, fotografierte Warhol lieber Bowies Stiefel. Der Zurückgewiesene revanchierte sich noch vor Ort mit einer Selbstentleibungs-Pantomime – die Aufnahmen sind in der GLAM-Ausstellung zu sehen – schnitt sich nach seiner Rückkehr die langen Haare ab und machte sich als erster an die Verbindung der britischen Glam-Szene mit dem cool-dekadenten Appeal New Yorks. Schon bald sollte Bowie „Transformer“, das zweite Solo-Album des Warhol-Protegés Lou Reed, produzieren, das mit „Walk on the Wild Side“ einen internationalen Glam-Hit abwarf. Noch faszinierter war Bowie von Iggy Pop, dem Sänger der Detroiter Prä-Punk-Band The Stooges und dessem legendären Hang zur Selbstzerstörung. Bowie war der erste, der die Linie zog zwischen Iggy Pops Skandalauftritten in goldener Ganzkörperbemalung und Gilbert & Georges Performance „The Singing Sculpture“ (1970), für die diese mit goldener Metallicfarbe bemalt und singend auf einem Tisch posierten und der Glam-Bewegung ihren künstlerischen Erweckungsmoment bescherten. Beides inspirierte Bowie bald zu dessen ambitioniertester Inkarnation: Aus Iggy wird Ziggy.

In der Figur des schillernden Sternenwesens Ziggy Stardust bündelte Bowie alles, was im Swinging London der beginnenden 70er-Jahre hip und angesagt war. Vor allem vom glamourösen Geschehen an den britischen Kunsthochschulen pickte sich Bowie ruchlos die Rosinen heraus: Den extravaganten Kleidungsstil, die performativen Ansätze, die sexuelle Uneindeutigkeit. Erst in deren Assemblage, einem undurchdringbaren Zitat-Mix, fand Bowie das Credo seiner Karriere und war erstmals seiner Zeit voraus. Das Resultat inklusive der ikonischen roten Mähne als schönste Vokuhila der Musikgeschichte stellte Bowie alias Ziggy erstmals am 14. April 1972 in der TV-Sendung „Top of the Pops“ vor.

Bowies weltweiter Durchbruch vollzog sich augenblicklich. Da dieser aber vornehmlich auf die Nennung seiner Quellen verzichtete, eilte ihm angesichts des immensen Erfolges schon bald der Ruf des kreativen Vampirs vorweg. Vor allem bei Glam-Pionier Bryan Ferry und dessen Konzeptband Roxy Music bediente sich Bowie wiederholt hemmungslos, während er seinem Kumpel Marc Bolan dessen Produzent Tony Visconti abwarb.

Bis heute wendet Bowie erfolgreich das Glam-Prinzip an

Mit dem plötzlichen Erfolg ging Bowie in der Rolle des zunehmend exzentrischer agierenden Ziggy Stardust mehr und mehr auf, bis irgendwann nicht mehr ersichtlich war, wo genau die Trennung zwischen Person und Kreation verlief. In einem legendären Interview gab Bowie zu, schon immer bisexuell gewesen zu sein, nur um noch Jahre später darauf hinzuweisen, da habe allein Ziggy gesprochen. 1973 zum Höhepunkt der Ziggy-Mania trieb Bowie seine Glam-Performance auf die Spitze, als er überraschend ein weiteres Alter Ego erschuf: Aladdin Sane sah Ziggy zum Verwechseln ähnlich, war aber als destruktiv-schizophrener Charakter durch den epochalen rot-blauen Blitz im Gesicht zu erkennen, den Bowie auch auf dem Cover des gleichnamigen Albums trägt.

Doch irgendwann schien selbst dem Autor nicht mehr ganz klar gewesen zu sein, ob er selbst noch Herr über seine Mutationen war oder diese über ihn. Im Herbste des Glam, als bereits Popstars wie Elton John und Teenie-Acts wie Gary Glitter und The Sweet auf den Zug aufgesprungen waren, zog Bowie die Reißleine: Bei einem Konzert am 3. Juli 1973 im Hammersmith Odeon Theatre in London verkündete er den geschockten Fans wie seiner uneingeweihten Band seinen Abschied von der Bühne. Mit dem im Frühjahr 1974 veröffentlichten „Rebel Rebel“ schickte Bowie seinen Fans noch eine letzte Glam-Hymne hinterher – nicht ohne im Videoclip noch einmal den ewigen Konkurrenten Bryan Ferry zu zitieren, der bereits vorher mit Augenklappe aufgetreten war.

Nach dem Bühnentod Ziggy Stardusts sollte Bowie eine Weile noch etwas richtunglos nach neuen Ufern suchen. Eine geplante Vertonung von George Orwells Roman „1984“ scheiterte am Veto von dessen Erben; Bowie nahm stattdessen das düstere Album „Diamond Dogs“ (1974) als Abgesang auf die Glam-Ära auf und ging mit einer theatralischen Bühnenshow auf US-Tournee. Inmitten dieser entdeckte er den Soul Detroits für sich, rekrutierte lokale Funk-Musiker als neue Backing Band und gab nun in quietschbunten Yves Saint Laurent-Anzügen und orangener Föhn-Tolle den neu erweckten Soulboy. Doch die nächste Häutung als „thin white duke“ mit seinem minimalistisch-strengen Stil stand als Reaktion auf den Überschwang des Glam bereits vor der Tür.