Zu Bruce Naumans Umgang mit dem Atelier als Ort künstlerischer Produktion
Unter allen – im allgemeinen nicht wahrgenommenen und erst recht nie befragten – Rahmen, Hüllen und Grenzen, die das Kunstwerk umschließen und es 'machen' [...] gibt es eine Sache, von der nie gesprochen und die noch seltener befragt wird, die aber unter allem, was die Kunst umgibt und bedingt, an erster Stelle steht, nämlich: das Atelier des Künstlers.
Mit diesen Worten beginnt der französische Konzeptkünstler Daniel Buren seinen 1970/71 geschriebenen Text "Funktion des Ateliers". Im Nachfolgenden differenziert er mehrere Funktionen: Erstens sei das Atelier der Ursprungsort der Kunstwerke, zweites sei es ein privater und damit auch von der Realität quasi entrückter Ort und drittens sei es ein fester Ort für die Produktion notwendig transportabler Dinge. Denn das Atelier definiert sich auch dadurch, dass das in ihm Geschaffene aus ihm hinaus und hinein in die Öffentlichkeit tritt.
Im Raum der Rezeption
Auf diesen Transfer vom Atelier in den Ausstellungsraum konzentriert sich Bruce Nauman, als er drei Jahre zuvor – also 1967 – in einem Interview die Frage, ob er das, was er mache, für Kunst halte, wie folgt kontert: "Wichtig ist, daß jemand die Arbeiten sieht." Diese Antwort erscheint ausweichend. Statt darzulegen, was ihm als Kunst gilt, verweist er auf den naheliegenden Wunsch, für das eigene Schaffen einen Rezipienten zu finden. Dieses Sichtbarwerden der Kunst setzt gemeinhin eine Ortsveränderung voraus. Das Werk wechselt vom privaten und geschlossenen in den öffentlichen und zugänglichen Raum. Es verschiebt sich von dem Raum der Produktion in den Raum der Rezeption, vom Atelier in das Museum oder die Galerie.
Daniel Burens Interesse an den Funktionsmechanismen des Ateliers entsprangen seinem Wunsch, alle Rahmenbedingungen zu analysieren, die in ein Kunstwerk einfließen und es bestimmen. Doch sind diese Bedingungen keine historischen Konstanten. Sie unterliegen insbesondere im 20. Jahrhundert umfassenden Veränderungen. Hierbei kommt Marcel Duchamp, dem großen Befreier der Kunst, eine besondere Rolle zu. Denn indem er das Kunstwerk von seiner Herstellung durch den Künstler löste, wurde das Atelier als Rahmen und Ort des künstlerischen Schaffens obsolet.
Urinoir und urinieren
Im Gegenzug fiel dem Ort des Ausstellens eine umso entscheidendere Rolle zu. Denn ob ein Urinoir als Gebrauchsobjekt oder als Kunstwerk fungiert, erwies sich ausschließlich als eine Folge des Ortes, an dem es in Erscheinung tritt. Weit mehr als die Intention des Künstlers, bestimmt also der Ort, an dem wir ein Objekt wahrnehmen, wie wir es wahrnehmen. "Das Museum", so fasst Buren in dem obengenannten Text zusammen, "kann nach Belieben alles aufwerten, was sich in ihm präsentiert, auch das, was a priori keinen (ästhetisch-kommerziellen) Wert hat".
Buren kritisiert Marcel Duchamp dafür, diesen Machtzuwachs des Museums unter dem Deckmäntelchen der Befreiung der Kunst von ihren bisherigen Voraussetzungen betrieben zu haben. Der deutsche Fluxus-Künstler Wolf Vostell wirft Duchamp dagegen vor, in dieser Befreiung nicht weit genug gegangen zu sein. “Wenn das Urinoir ein Kunstwerk ist, dann muß urinieren auch Kunst sein”, so seine lapidare Forderung. Es ist ein Schritt, den er und andere in den 1960er-Jahren nachholen. Doch auch sie benötigen für die Verwandlung einer alltäglichen in eine künstlerische Handlung das Museum. Es ist der unerlässliche Rahmen, der Nichtkünstlerisches in Künstlerisches transformiert.
Umhergehen ist Kunst
Auch Bruce Nauman vollzieht in den 1960er-Jahren diesen Schritt: Gehen, Sitzen, Liegen und Kaffeetrinken erprobt er in ihrem Wert und ihrer Wirkung als künstlerische Handlungen. Damit ist er also keineswegs alleine. Bezeichnend ist jedoch, dass er die transformatorische Kraft, die Alltägliches zu Künstlerischem erklärt, nicht im Museum verortet, sondern im Atelier. "Ich hatte", so sagte er 1988, "die Vorstellung, daß alles, was ich tat, wenn ich mich im Atelier aufhielt, Kunst war: zum Beispiel das Umhergehen." Das im Atelier Getätigte ist also genau deshalb von künstlerischer Natur, weil es im Atelier geschieht.
Der Raum, hier in seinem funktionellen Sinne verstanden, bestimmt das Wesen seines Inhalts. Als der Ort in dem Kunst produziert wird, ist er zugleich der Ort, der Kunst produziert. Ob es sich dabei um die Produktion eines Objekts oder die Durchführung einer Tätigkeit handelt, ist für Nauman zweitrangig. "Der Zusammenhang besteht für mich darin, daß ich ins Atelier gehe und dort etwas tue. Manchmal schließt dieses Tun ein, daß ein Produkt entsteht, und manchmal ist das Tun selbst das Produkt", so kommentiert er sein Schaffen im Frühjahr 1970. Spitzt man Naumans Haltung in diesen frühen Jahren zu, so ist also alles, was im Atelier gemacht wird, deshalb Kunst, weil es im Atelier gemacht wird.
Die Kraft des Ateliers
Obwohl Nauman mit seinen künstlerischen Experimenten der 1960er-Jahre im Zentrum der Entgrenzung der Kunst angesiedelt ist, arbeitet er mit dieser Haltung und Überzeugung also einer Schwächung oder gar Abschaffung des Ateliers, wie sie anderorts konstatiert und in der Post Studio Practice sogar namensgebend wird, entgegen. Ganz im Gegenteil macht er das Atelier zu dem Ort, der die Entgrenzung der Künste durch die ihm innewohnende Kraft gerade ermöglicht.
Entsprechend hätte Nauman also die eingangs erwähnte Frage danach, ob er das, was er mache, für Kunst halte, kurz und knapp mit dem Verweis auf das Atelier als dem Ursprungsort dieser Handlungen positiv beantworten können. Stattdessen wandte er sich mit seiner Antwort aber jenem Aspekt zu, der ihm – aus dieser Haltung resultierend – zu damaligen Zeitpunkt die größere Schwierigkeit bereitete. Zwar galt ihm – anders als Duchamp oder Buren – das Museum nicht als formative Instanz, aber eben doch als notwendiger Raum um seine Arbeiten einem Publikum zu zeigen.
Raumtausch
Entsprechend sah er sich der Notwendigkeit gegenüber, eine von ihm im Atelier vollzogene Handlung in den Ausstellungsraum zu transferieren. Bekanntlich nutzte er hierzu zunächst vor allem die noch blutjunge Videotechnik. Später transferierte er die Handlungen selbst in den Galerieraum, indem er sie von den Besuchern in seinen sogenannten Performance Korridoren nachmachen ließ. Diese Übertragung einer räumlichen Struktur aus dem Atelier in den Ausstellungsraum kann als die Übertragung jener formativen Kraft des Ateliers verstanden werden, die aus einer alltäglichen Handlung und Erfahrung eine künstlerische macht.
Insofern wirkt Bruce Naumans drei Jahrzehnte später entstandene und viel besprochene raumfüllende Videoarbeit "Mapping the Studio I (Fat Chance John Cage)", die er noch in einer weiteren Variante realisierte (beide 2001), als ein Wiederaufgreifen und Weiterführen dieser Übertragung des Atelierraums in das Museum. Auf sechs wandfüllenden Projektionen entlang der Wände des Ausstellungsraumes sind mehrstündige Aufnahmen des nächtlichen, leeren Ateliers zu sehen. Die Kameras sind statisch, der Künstler ist abwesend, das Licht ist gelöscht, die Bilder entstehen mittels Infrarottechnik. Keine der Aufnahmen zeigt das Atelier in Gesamtansicht, vielmehr bildet jede Kamera einen Raumausschnitt ab und überträgt ihn auf die Ausstellungswand.
Der Raum ist Kunst
Wir sehen Segmente von Boden und Wand, gemeinsam mit Teilen des Mobiliars und herumliegender Dinge. Hier und da huscht eine Maus durch's Bild. Die wandfüllenden Projektionen, die bündig am Boden abschließen, geben die Raumausschnitte in ihrer tatsächlichen Größe wieder; es scheint, als könnten wir das Atelier betreten. Auf diese Weise verschwindet der Ausstellungsraum buchstäblich hinter dem Atelierraum. Der eine wird durch den anderen unsichtbar.
Das Werk mag daher als der überfällige Ausgleich der im Regelfall umgekehrten und von Buren eingangs angemahnten Situation wirken, nämlich dass das Atelier als Ursprungsort der Kunst in jenem Moment in Vergessenheit gerät, in dem die Kunst das Museum betritt. Doch geht Nauman mit "Mapping the Studio" noch einen Schritt weiter. Anders als die frühen Videos seiner im Atelier getätigten Handlungen, oder die Verschiebung seiner räumlichen Vorrichtungen in das Museum, geht es hier nicht um den Transfer einer Handlung aus dem Atelier in den Ausstellungsraum. Die großen Projektionen sind weder Dokumentation einer im Atelier vollzogenen Tätigkeit, noch Bühne oder Rahmen für eine von uns zu vollziehende Tätigkeit. Nauman lässt vielmehr jenen Ort, der für ihn in der Vergangenheit das in ihm Getätigte als Kunst definierte und also Kunst produzierte, zum Kunstwerk werden. Sein Transfer in das Museum mag dabei dem Anliegen geschuldet sein, "daß jemand die Arbeit sieht."