Allein 1,2 Millionen Kunstwerke sollen sich im Genfer Zollfreilager befinden. Die Künstlerin des kommenden Double Features, Maeve Brennan, begleitet sogenannte forensische Archäolog*innen in ihrem Berufsalltag zwischen Detektivarbeit und der Rekonstruktion zerstörter Raubkunst.
Es klingt nach einer passablen Prämisse für einen Heist-Movie: „Das Zollfreilager St. Gotthard befindet sich in einem ehemaligen Bunker inmitten eines Bergmassivs aus Granit. Es verfügt über kugel- und explosionssichere Türen“, rühmt sich der Betreiber des großen Lagers in der Schweiz. Solche Zollfreilager, in denen Waren unversteuert und unverzollt (zwischen-)gelagert werden, sind ebenso intransparente wie auch sagenumworbene Orte. Allein 1,2 Millionen Kunstwerke (darunter auch NS-Raubkunst) sollen sich im Genfer Zollfreilager befinden – die Filmkünstlerin Hito Steyerl sprach von „Tausenden Picassos“, die dort gebunkert werden. Geführt wird das Zollfreilager seit 2020 passenderweise von einer Kunsthistorikerin und Juristin in Personalunion. Denn schon seit längerer Zeit gerät der Standort immer wieder in den Fokus der Strafermittlungsbehörden, die dort in Razzien wiederholt Raubkunst sicherstellten. So auch 2014, als italienische Carabinieri in 45 Kisten zehntausende von geraubten archäologischen Artefakten größtenteils etruskischer Provenienz sicherstellten, die von dem mittlerweile in Ungnade gefallenen Antiquitätenhändler Robin Symes offenbar unter dem Label „Dekorationsmaterial“ dort eingelagert worden waren.
Einblicke in die forensische Archäologie
Jener aufsehenerregende Fall steht am Anfang von „An Excavation“ (2022), der neuen Arbeit der irischen Künstlerin Maeve Brennan. Drei jener beschlagnahmten Kisten landeten schließlich bei den forensischen Archäolog*innen Dr. Christos Tsirogiannis und Dr. Vinnie Norskov, die seinerzeit an der Aarhus Universität tätig waren. Eine der entwendeten und soweit wie möglich rekonstruierten Vasen zeigt der Film direkt zu Beginn in verschiedenen Einstellungen. Die Kamera tastet sich behutsam immer näher an das Artefakt heran und zeigt deren Bruchstellen, während auf der Tonspur sphärische Kanun-Klänge ertönen. „Ich mochte immer schon Detektiv-Geschichten", sagt Dr. Christos Tsirogiannis, was ihn offenbar auch in die forensische Arbeit geführt hat. Gemeinsam mit Dr. Vinni Norskov sortiert er sorgfältig die einzelnen Bruchstücke der Artefakte, zumeist jahrtausendalte Vasen, die beide nun anschließend peu à peu rekonstruieren und auch andere Beweisstücke wie Polaroids oder Verpackungsmaterial auswerten.
Die Arbeit von Tsirogiannis und Norskov stellt ein wichtiger Baustein im Kampf gegen den illegalen Kunstraubmarkt dar, der, wie man in „An Excavation” lernt, fester Bestandteil des Antiquitätenhandels ist. Während ihrer Arbeit an „The Drift” (2017) – einer Videoarbeit, in der Maeve Brennan drei unterschiedliche Biografien rundum archäologische Artefakte, Restauration und (Denkmal-)Pflege im Libanon miteinander verknüpft - wurde sie vor Ort auf Kunsträuber*innen aufmerksam. Diese teilten ihr beiläufig mit, wo genau die Fundstücke in der Regel landen: größtenteils in Museen in London.
2017 wurde Brennan dann auf Dr. Christos Tsirogiannis aufmerksam, der in einem aufsehenerregenden Fall gerade zwei griechische Vasen auf der Londoner Frieze Masters Kunstmesse als Raubkunst identifiziert hatte. Seit 2018 arbeiten beide zusammen an dem fortlaufenden Projekt „The Goods“, das sich aus dem über 30.000 Bilder umfassenden Archiv des Archäologen speist und die gestohlene Kunst auf Plakatwände brachte.
„An Excavation“ bietet einen faszinierenden, sehr eindringlich gefilmten Einblick in die Arbeit der forensischen Archäologie. Im Hintergrund schwingt aber stets die Frage nach Restitution und strukturellen Problemen des Kunstmarkts im Gesamten mit. Auf der von Brennan und Tsirogiannis gemeinsam betriebenen Internetseite (illicitantiquities.net) kann man dies an ganz konkreten Beispielen nachvollziehen. Dort lassen sich die verschiedenen Handelswege der illegal entwendeten Artefakte nachvollziehen, und wie jene am Ende in Londoner oder New Yorker Galerien und Museen landen. Ein Kampf gegen Windmühlen, wie es scheint. Maeve Brennans Film, der der Form nach an einen dokumentarischen Essay erinnert, porträtiert diesen Kampf ähnlich, wie sich die Arbeit der forensischen Archäolog*innen auch selbst darstellt: ruhig und einfühlsam, aber beharrlich.
Samira Makhmalbafs „Takhté siah“
Als weiteren Film hat sich Maeve Brennan „Takhté siah“ (engl.: Blackboards) der iranischen Regisseurin Samira Makhmalbaf ausgesucht. Der 2000 erschienen Film, der streckenweise nahezu dokumentarische Züge annimmt, begleitet zwei Wanderlehrer im Grenzgebiet zwischen Irak und Iran zu Zeiten des ersten Golfkriegs. Beide Männer, die eigentlich auf der Suche nach Schüler*innen sind, denen sie Lesen und Scheiben beibringen können, treffen im Laufe des Films auf kurdische Flüchtlinge, denen sie sich auf ihrem beschwerlichen Weg in den Iran anschließen. Die entsetzliche historische Realität, vor der „Takhté siah“ sich abspielt – dem Giftgasangriff des irakischen Militärs auf die Stadt Halabdscha, die als Zentrum des kurdischen Widerstands galt, fielen 5000 Menschen zum Opfer – liegt wie ein bleierner Schleier über dem Film.
Samira Makhmalbaf, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Films gerade einmal 20 Jahre alt, schrieb das Drehbuch mit ihrem Vater Mohsen Makhmalbaf, seinerseits international gefeierter Regisseur. Der vollständig in Kurdisch gedrehte und von Laiendarsteller*innen gespielte Film eröffnet in seiner Erzählung einen bewegenden Einblick in von Flucht und Armut geprägte Leben und entfaltet im Laufe seiner Spielzeit immer wieder philosophisch-poetische Qualitäten.
Sowohl die Arbeit von Samira Makhmalbaf als auch die von Maeve Brennan verweisen jedoch auf den Mangel an juristischer Aufarbeitung: Restitutionsforderungen aus mediterranen oder ehemals kolonialisierten Ländern wird, wenn überhaupt, nur zögerlich nachgegeben. Und auf die juristische Aufarbeitung des Giftgasanschlags unter Saddam Husseins Führung warten die Opfer heute noch vergeblich – nicht nur hinsichtlich der irakischen Verantwortlichen, sondern ebenso der europäischen Firmen, die dem Regime seinerzeit die technischen Voraussetzungen für die Giftgasproduktion lieferten.