Das Jos-Plateau in Nigeria war einst berühmt für seinen Zinnabbau zur Zeit der britischen Kolonialherrschaft. In ihrer Videoarbeit „Plateau“ begleitet Karimah Ashadu die nigerianischen Arbeiter, die in dem Abbaugebiet noch immer einen Jackpot vermuten und animiert sie zu einer Selbstverortung, die über die koloniale Vergangenheit hinausreicht.
Gleich zu Beginn von Karimah Ashadus „Plateau“ (2021/22) gibt die Kamera den Blick frei auf das Jos-Plateau, ein Grashochland in Nigeria, und die Menschen, die dort arbeiten. Der Landschaft ist die koloniale Historie buchstäblich eingraviert: sie ist zerfurcht vom Zinnabbau, der während der britischen Herrschaft im industriellen Ausmaß erfolgte. Die Region rund um die Landeshauptstadt Jos ist reich an Bodenschätzen und wurde bereits ab 1904 systematisch ausgebeutet. Eine Zeitlang gehörte sie mit zu den größten Zinnförderungsstätten weltweit, doch nachdem Nigeria 1960 die Unabhängigkeit erlangte und kurze Zeit später der Bedarf an Schwermetall immer weiter zurückging, zogen sich die internationalen Firmen zurück.
In „Plateau” begleitet die in Großbritannien geborene nigerianische Künstlerin Karimah Ashadu die Menschen, die der Erde vor Ort in mühsamer Arbeit ihre noch letzten verbleibenden Zinnreste abtrotzen. “What we do now, is just remine the mines the whites left behind”, erklärt einer der Arbeiter. Die Kamera folgt den größtenteils jungen Männern und zeigt den physisch anstrengenden wie auch gefährlichen Vorgang des Zinnabbaus, der ohne die industriellen Maschinen der ehemals vor Ort tätigen Firmen komplett manuell durchgeführt werden muss. Barfuß klettern sie auf dem Geröll herum, schöpfen Wasser von einer Gesteinsebene auf die nächste und sieben die Erde. Die Kamera schweift zwischenzeitlich immer wieder auf das Abbaugebiet und verliert sich in dem geschundenen Landstrich. In abgetragenen Erdschichten haben sich kleine Teiche gebildet. Ein Mann schwimmt in der heißen Mittagssonne, andere halten kurz inne, schauen ihm auf Gesteinsvorsprüngen stehend zu.
Auf der Tonspur lässt Karimah Ashadu derweil Arbeiter, Landbesitzer und Bauern zu Wort kommen, die die komplexe, vielschichtige Lage vor Ort aus unterschiedlichen Blickwinkeln kommentieren. Ja, der Zinnabbau belaste die Natur immer weiter, sorge allerdings auch dafür, dass man seine Familien ernähren könne, erklärt ein Arbeiter. Man könne in dem Abbaugebiet einen Jackpot landen, erzählt ein Landbesitzer, der seinen Grund und Boden anderen verpachtet, um dort nach Zinn zu suchen. Ein junger Mann habe dort einen ergiebigen Fund gemacht und konnte sich anschließend ein Haus kaufen und seine Kinder auf die Schule schicken. Doch auch die koloniale Vergangenheit taucht in den Erzählungen der Arbeiter auf: ihre Eltern, die noch für Kolonialherren gearbeitet haben, hätten nichts von dem reichen Gewinn abbekommen und gerade genug für Nahrung verdient. Auch die eigene Regierung habe den Landbesitzern nicht vermittelt, dass sie deutlich mehr Geld von den internationalen Zinnfirmen hätten verlangen können.
Mehr als Subjekte der Kolonialgeschichte
In ihren Arbeiten beschäftigt sich Karimah Ashadu, die in Hamburg und Lagos lebt und arbeitet, immer wieder mit Lebens- und Arbeitsbedingungen, Vorstellungen von Unabhängigkeit im sozioökonomischen Kontexts Westafrikas, insbesondere Nigerias. In „Brown Goods“ (2020) begleitete sie den in Hamburg lebenden Nigerianer Emeka. Sein Aufenthaltsstatus in Deutschland erlaubt ihm kein reguläres Angestelltenverhältnis, stattdessen handelt er in Hamburg selbstständig mit gebrauchten Elektrogeräten, die schließlich die umgekehrte (eigene) Fluchtroute zurück nach Nigeria nehmen. Frühere, experimentellere Kurzfilme wie „King of Boys (Abattoir of Makoko)“ (2015), der das Treiben auf einem Schlachthof beleuchtet, entstanden hingegen in Lagos.
In einem Interview zu „Plateau“ erklärte die Künstlerin, dass es ihr in erster Linie nicht um eine starke politische Agenda gehe, die sie den Zuschauer*innen vermitteln möchte. Und so schwingt die koloniale Vergangenheit in Bild und Ton zwar stets im Hintergrund von „Plateau“ mit, vielmehr konzentriert sich Karimah Ashadu aber auf die Menschen vor Ort. Sie bietet ihnen eine Plattform, stellt sie selbst in den Mittelpunkt und versteht sie als handelnde Individuen statt lediglich als Subjekte der Kolonialgeschichte. Dies zeigt sich in „Plateau“ auch in der Selbstbeschreibung eines Protagonisten: Die Berom, die Indigene Bevölkerung der Region, seien eben wie die ansässigen Kakteen vor Ort: sie gedeihten bei Trockenheit wie Regen; sie überlebten, egal ob sie kämpfen müssen oder in Ruhe gelassen werden.
Wenn Vergangenheit und Zukunft für eine kurze Zeit keine Rolle spielen
Als weiteren Film hat sich Karimah Ashadu den 2002 erschienenen Film „Heremakono“ (Waiting for Happiness) von Abderrahmane Sissako ausgesucht. Der Film spielt in Nouadhibou, einem kleinen Ort an der mauretanischen Küste. Der 17-jährige Abdallah (Mohamed Mahmoud Ould Mohamed) macht dort noch einmal Zwischenstopp, um seine Mutter zu besuchen – mit dem Kopf ist er allerdings schon in Europa, wohin seine Reise eigentlich gehen soll. Er verbringt die Tage vor Ort in einem ziellosen Wartezustand, fühlt sich seinem Heimatort nicht mehr richtig verbunden und versteht auch den lokalen Dialekt kaum noch. Derweil geht das rege Treiben in dem kleinen Ort weiter, und zieht auch Abdallah im Laufe des Films zunehmend in seinen Bann.
„Heremakono“ bietet einen faszinierenden Einblick in den Alltag der westafrikanischen Kleinstadt. Abderrahmane Sissako begleitet dabei lose verschiedene Bewohner*innen, reiht für die Region typische Alltäglichkeiten aneinander und zieht seine Zuschauer*innen ähnlich wie den eigentlich nur auf Zwischenstopp befindlichen Abdallah in das lokale Geschehen hinein. Der Regisseur selbst lernte die Stadt ganz ähnlich kennen – seinerzeit war sie sein eigener Zwischenstopp, bevor er nach Russland aufbrach, um dort an einer Filmhochschule zu studieren: „Mich interessierte dieser Gedanke der Durchreise auf dem Weg zu einem Ort, den man vielleicht nie erreichen wird. Das Exil vor der Reise“. Sein Film animiert damit zu einer Feier des Augenblicks und zelebriert das Wahrnehmen eines spezifischen Moments, in der Zukunft und Vergangenheit für eine kurze Zeit keine Rolle spielen und das Leben ganz in sich selbst zu Hause ist.
Mich interessierte dieser Gedanke der Durchreise auf dem Weg zu einem Ort, den man vielleicht nie erreichen wird. Das Exil vor der Reise.