Peter Saul hat sich als „Chronist des irren Amerika“ mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung auseinandergesetzt. Mit dem Film „I Am Not Your Negro“ erzählt nun Regisseur Raoul Peck vom Rassismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Es sind Aufnahmen, die sich einbrennen wie Zigarettenglut in Löschpapier: Der haitianische Regisseur Raoul Peck montiert Szenen von den 2014er Krawallen in Ferguson in Folge des von der Polizei erschossenen Michael Brown zusammen mit Textfragmenten des 1987 verstorbenen Autors James Baldwin. 40 Jahre alt sind die Zeilen, die sich mit dem grassierenden Rassismus in Amerika auseinandersetzen, und sie haben nichts von ihrer Aktualität verloren. „Die Geschichte ist nicht das Vergangene, sie ist die Gegenwart“ lautet Baldwins treffende Analyse, die in Szenen wie diesen greifbar wird.
James Baldwin avancierte mit seinen Romanen und Essays, die sich mit Sexualität und der Identität von Schwarzen in einem von Weißen dominierten Amerika auseinandersetzen, zu einem der wichtigsten afroamerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Zur Vorbereitung eines neuen Romans mit dem Titel „Remember This House“ verfasste Baldwin ein 30-seitiges Manuskript mit messerscharfen Analysen zum Nebeneinander von weißer und schwarzer Gesellschaft in seinem Heimatland.
Gegen den Hass
Ausgangspunkt des Textes waren die Morde an drei seiner Freunde, die als Ikonen der Bürgerrechtsbewegung Geschichte schreiben sollten: Medgar Evers, aktiv in der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), ermordet 1963, Malcom X, Führer der Nation of Islam, ermordet 1965 und Martin Luther King, Stimme der Bürgerrechtsbewegung, ermordet im Jahr 1968.
Besagtes Manuskript diente dem Regisseur Raoul Peck als Vorlage für seine Dokumentation „I Am Not Your Negro“. Auf kongeniale Weise schafft es der Film, dem Bürgerrechtler und Autor James Baldwin eine Stimme zu geben, und das 30 Jahre nach dessen Tod. Mit collagenartig montierten Bildern von gewaltsamen Ausschreitungen gegen Schwarze, historischen Fotografien und umfangreichem Archivmaterial illustriert Peck die im Original von Samuel L. Jackson (in der Synchronfassung von Rapper Samy Deluxe) rezitierten Textfragmente.
Sklaverei und Zweiklassen-Gesellschaft
Die Analysen des Bürgerrechtlers finden in der Montage ihre Entsprechung und man hat das Gefühl, dem kritischen Baldwin regelrecht beim Denken zuzuschauen. Treffend etwa arbeitet er sich an dem evidenten Rassismus in klassischen Westernfilmen oder Dorris Day-Komödien ab, die als kulturelle Spiegel von den verzerrten Identitätskonstrukten in der amerikanischen Gesellschaft zeugen. In den Ausführungen, die auch seine erzählerischen Qualitäten unter Beweis stellen, spannt der Autor einen Bogen von der Sklaverei bis hin zur Zweiklassen-Gesellschaft. Ergänzt wird die Materialcollage durch Briefe an seinen Agenten Jay Acton sowie durch Originalaufnahmen von Baldwin in Talkshows und Diskussionsrunden.
Mehr als viele andere so benannte Filme verdient „I Am Not Your Negro“ dank seiner geschickten Konstruktion und seiner reflexiven Wucht das Prädikat Essayfilm. Peck leistet hier in mehrfacher Hinsicht Großes: einerseits erzählt er anhand des Portraits eines einzelnen von den Ungerechtigkeiten gegen große Teile der amerikanischen Bevölkerung im 20. Jahrhundert. Weiterhin reflektiert Peck diese Ungerechtigkeiten durch den scharfen Verstand eines Mannes, der zu Lebzeiten mittendrin war und zugleich als deren Chronist fungierte. Schließlich – und das entspricht leider dem pessimistischen und zurückhaltenden Ton Baldwins – zeigt „I Am Not Your Negro“, dass es auch heute, ein halbes Jahrhundert später, genug Grund zur Besorgnis gibt. Dass jetzt ein Donald Trump an der Macht ist, sorgt in dieser Hinsicht nicht eben für Entspannung. Wie beschreibt es Baldwin gleich zu Beginn des Films: „It’s not the question what happens to the negro here, to the black man here, (...) the real question is what’s gonna happen to this country.“