Der Künstler Daniel Richter bedient sich gerne Metaphern aus der Küche – warum er seine neue Bilderserie in der SCHIRN ausgerechnet nach dem Rezept für russischen Eintopf zubereitet hat, erklärt das SCHIRN MAGAZIN.
An Daniel Richter ist ganz offensichtlich ein Koch verloren gegangen. Wenn er über seine Bilder redet, bedient er sich häufig kulinarischen Vokabulars. Bisweilen scheint er sogar lieber über Essen zu sprechen, als über seine Arbeit. Am liebsten über Pralinés, sagt er, der Genussfaktor sei höher. Seine neuen Bilder seien nun außerdem keine Mehrgangmenüs mehr, sondern mehr so eine Art Borschtsch. Mit Dill. Dazu aber später. Eine langsam schon etwas fad gewordene Diskussion über das Wesen der Kunst wäre damit endlich gegessen: Kunst kommt von Kochen. Herzliche Einladung zum Augenschmaus in die Schirn. Dienstag bis Sonntag gibt es täglich warmen Borschtsch, Montag: Ruhetag.
Richters Kochstudio
In Daniel Richters Kochstudio hat Haute Cuisine ebenso ihren Platz wie russische Bauernküche. Das Studio ist groß, praktisch und funktional und der Küchenchef achtet auf den richtigen Grad zwischen Ordnung und einer Umgebung voll inspirierender Zutaten. Letztere bezeichnet er übrigens als Nahrung (siehe Ausstellungskatalog). In unterschiedlichen Töpfen warten die Farben darauf, gerührt und gemixt zu werden. Geheime Rezepturen und bewährte Kombinationen werden abgemischt. Große Köche der Vergangenheit werden zitiert, ihre Ideen eingelegt, gewendet und in neue Kreationen gegossen. Fusion Küche vom Feinsten. Die Herausforderung besteht in der richtigen Mischung der Zutaten. Aber nicht nur die Zutaten, auch die Garzeit spielt eine wichtige Rolle. Manche Gerichte müssen nur kurz köcheln, andere über mehrere Tage ziehen oder sogar richtig lange abhängen, bevor sie weiter bearbeitet werden können und ihren besonderen Geschmack ausbilden.
Richter arbeitet alleine in seinem Studio und beschäftigt keine Assistenten. Nicht eigentlich, wie er sagt, weil viele Köche den Brei verderben, sondern weil er es deprimierend findet, wenn lustlose Küchenjungen an Gerichten herumköcheln, die sie selbst nicht sonderlich interessieren. So ganz einsam ist Richter aber nie, denn zwei Katzen und allerhand namhafte Musiker in Form einer großen Plattensammlung leben im Studio. Bisweilen wird die one-man-Kochshow auch durch Besucher bereichert. Das können kulinarisch versierte Sammler sein, die eine der exquisiten Bildspeisen erwerben möchten, oder auch Kuratorinnen wie Katharina Dohm, in Vorbereitung des Festessens in der Schirn. Sie alle sind neugierig, manchmal auch kritisch. Richter begegnet dem mit sichtlicher Gelassenheit, er lässt sich gern in die Töpfe schauen und ist an seinem Arbeitsplatz auch keineswegs Kamerascheu.
Die Sache mit dem Dill
Im vorbereitenden Gespräch mit Katharina Dohm erklärt Richter, die früheren, figürlichen Bilder, seien eine Art Sieben Gänge Menü gewesen, die neuen Gemälde nun eher ein Borschtsch. "Das heißt, das Ganze kocht sechs Stunden, und am Ende kommt der Dill rein. Wenn der Dill schon zu früh drin ist, schmeckt alles labberig. (...) wenn du aus Versehen zu Koriander greifst statt zu Dill, ist alles ruiniert." Liebe Maler und die es werden wollen, eine Anweisung vom Meisterkoch: Don't mess with the Dill! Nur nicht zu früh und auf keinen Fall verwechseln mit Koriander, sonst droht die Katastrophe! Wie diese Anweisung im individuellen Falle umzusetzen wäre, muss an dieser Stelle offen bleiben.
Borschtsch also, ein Fleischgericht. Sorry Vegetarier, ja, es gibt nur den einen Gang, nein, keine Beilagen. Dabei hatte Richter erst etwas anderes im Sinn, sozusagen ultimate Fusion. Dann aber die Ernüchterung: "Es klingt erst mal gut zu sagen, ich verbinde vegetarische Küche und Fleischküche. Erst die Praxis zeigt die daraus resultierenden Probleme." War wohl eine Schnapsidee. Zum Glück sind auch die eingefleischtesten Vegetarier für gewöhnlich der Fleischeslust nicht abgeneigt, deshalb würzt Richter seine Version des Borschtsch mit erotisierten Bildsujets und sorgt so für visuellen Gaumenkitzel. Und noch eine Randbemerkung: Vielleicht ist es den Vegetariern ein kleiner Trost, dass zumindest eine der beiden Atelier-Katzen Tofu heißt. Richter ist offenbar nicht nur Koch, sondern er weiß auch wie das mit dem Karma funktioniert.
Das Auge isst mit
Es ist angerichtet: Hello, I love you! Richter serviert in der SCHIRN einen Borschtsch erster Güte, Mütterchen Russland wäre stolz. Zweiundzwanzig Kreationen hat die Kocharbeit von ungefähr zwei Jahren ergeben. Serviert wird in großen Portionen, in schlichten, bis zum äußersten Rand gefüllten Gefäßen. Die wiederum sind arrangiert auf blütenweißem Grund, ganz pur, keine unnötige Tischdekoration. Das Tageslicht im Speisesaal setzt die Gerichte bestens in Szene. Die Gäste strömen herbei, der Koch eröffnet das Buffet. Bon Appetit!
Jetzt ist es am Publikum zu goutieren. Schmeckt der Eintopf? Im besten Fall geht die Liebe durch den Magen und das Urteil lautet: pure love. Für den Kochkünstler ist dieser Moment der Abschluss einer mehrjährigen Arbeitsphase. "Dieser Abschluss bedeutet aber nur, dass das Zeug jetzt daliegt wie Gemüse, und jetzt muss ich mit dem Gemüse den nächsten Eintopf zubereiten." Während Richter sich also wieder in seine Studioküche zurückzieht, ist für das Publikum jetzt erst einmal Verdauungspause angesagt. Alternativ gibt es in der Schirn noch bis zum 17. Januar Nachschlag für all diejenigen, die sich noch nicht satt gesehen haben.
PS: Mit all dem Gemüse als Ausgangspunkt, stehen die Chancen nicht schlecht, dass der nächste Eintopf ein Gemüsecurry wird. Die Vegetarier würden sich freuen und am Ende käme dann doch auch noch der Koriander rein.