Jean-Michel Basquiats Schallplattensammlung soll rund 3.000 Exemplare umfasst haben. Insbesondere die Jazzmusik und der Bebop haben ihn geprägt.
Ganze Sachbuchreihen beschäftigen sich mit der Frage, welcher Künstler wen wie beeinflusste – und wer sich umgekehrt von wem oder was beeinflussen ließ. Während der englische Filmkomponist John Powell auf die Frage, ob er sich andere Filmmusik anhöre, lediglich „Ooh god, no!“ antwortete, geben sich andere deutlich ungezwungener fremden Einflüssen hin. So auch Jean-Michel Basquiat: Für ihn war Musik eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen.
Allein seine Schallplattensammlung soll zirka 3000 Exemplare umfasst haben; Freunde erzählen, dass in seinem Atelier ständig Musik lief - und wer die Ausstellung „Basquiat. Boom for Real“ in der SCHIRN besucht, wird noch vor dem Eintritt in die Ausstellungsräume Jazz-Musik gehört und den Filmausschnitt eines fröhlich tanzenden Basquiats gesehen haben. In unzähligen von Basquiats Werken lassen sich direkte Referenzen seiner Beschäftigung mit Literatur, Bildender Kunst und Wissenschaft entdecken, die zur Spurensuche jener Einflüsse einladen.
Einige Musiker begannen mit ausgefeilten Rhythmen zu experimentieren
So lassen sich dann auch in mehreren Arbeiten explizite Verweise auf Jazz sowie bekannte Musiker, die auf Basquiats intensive Beschäftigung mit jener neuen amerikanischen Musikgattung des 20. Jahrhunderts hindeutet, deren Einfluss auf die ihr folgende Musik kaum zu groß einzuschätzen ist. Die Ursprünge der Jazz-Musik gehen zurück auf das Ende des 19. und den Beginn des 20. Jahrhunderts, als vor allem Musiker im Süden der USA jene neue Musik mit Rückgriff auf den Blues und Ragtime kreierten.
Mit seinen rhythmischen und harmonischen Besonderheiten wird Jazz oft als amerikanisches Pendant zur europäischen klassischen Musik verstanden, wobei dieser sowohl auf die europäische als auch afrikanische Musikgeschichte rekurriert. Ähnlich wie Blues und Ragtime wurde die Jazzmusik hauptsächlich von afroamerikanischen Musikern gespielt, geprägt und weiterentwickelt. Dem New Orleans-Jazz folgte der Dixieland-Jazz, in den 1920er Jahren dann die Swing-Musik, deren typischer Beat explizit auf afrikanische Rhythmustechniken zurückzuführen ist.
Louis Armstrong lieferte die Definition: „If you don’t feel it, you’ll never know it.“ Erwachsen wurde der Jazz, als er sich schließlich, ausgehend von der Tanzmusik der großen Swing-Orchester der 1930er und 40er Jahre, weiterentwickelte: Einige Musiker, unter ihnen Charlie Parker, Dizzy Gillespie, Charlie Christian, Thelonious Monk und Max Roach, experimentierten, gelangweilt durch das Immergleiche der Swing-Musik, mit ausgefeilteren Rhythmen. Die Harmonien wurden komplexer, die Improvisation in den Vordergrund gestellt, die Musikerensembles kleiner. Geboren war der Bebop, Gründungsstein des Modern Jazz.
If you don’t feel it, you’ll never know it.
Während Jean-Michel Basquiat in seinen Werken auch Helden des alten Jazz, wie beispielsweise in seinem Werk „King Zulu“ Louis Armstrong und Bix Beiderbecke, auf die Leinwand hievt, tauchen insbesondere die Protagonisten des Bebop in seinen Arbeiten immer wieder auf. Und obgleich Miles Davis nach eigener Aussage sein Lieblingsmusiker war, findet sich in seinen Werken ein ganz anderer immer wieder: Charlie „Bird“ Parker. Der besondere Bezug, den Basquiat zu Parker hatte, wird auch an anderer Stelle klar: Er würde durchdrehen, hörte er nicht jeden Tag die Musik Parkers, zitiert Jennifer Clement den Maler in ihrem Buch „Widow Basquiat“. Zeitgleich stand eine ganze Kiste voll mit Ross Russells Charlie Parker-Biographie „Bird lives!“ in Basquiats Atelier – Ausgaben des Buches verschenkte er gerne an Freunde.
Basquiat würde ohne die Musik Parkers durchdrehen
Interessant die Parallelen, die man zwischen Modern Jazz, in seinen Ausprägungen Bebop, Hardbop, Modal Jazz und Free Jazz, und Basquiats Arbeitsweise ziehen könnte: das freie Improvisieren und Ausprobieren neuer Artikulationsmöglichkeiten, ausgehend von einer vorgegebenen Song- oder Melodiestruktur auf der einen Seite; auf der anderen die Bezugnahme auf vorgefundene „facts“, wie Basquiat Inspirationsquellen aus Büchern nannte, die in einen neuen Sinnzusammenhang gestellt wurden.
Der Bebop, der sich klar von der Tanzbarkeit des Swing distanzierte, verlangte durch seine komplexeren Harmonien ein genaues Hinhören, das nichts mehr mit dem von Armstrong in den Mittelpunkt gestellten „feeling“ des Swing gemein hatte. Auf der anderen Seite Basquiats text- und zeichenlastige Collagen und Werke, die sich offenbar nie komplett entschlüsseln lassen und oft den Kopf, losgelöst vom Körper, als Symbol für das Reaktionäre, in den Mittelpunkt stellen.
Oder, wie der amerikanische Schriftsteller Greg Tate feststellte: „He belongs to a black tradition, well established by our musicians, of making work that is heady enough to confound academics and hip enough to capture the attention span of the hip-hop nation.“ Und nicht zuletzt mag sich Basquiat den jungen Musikern des Bebop auch deshalb so nah gefühlt haben, da sie, ähnlich wie er selbst, zu den ersten Afroamerikanern gehörten, denen Anerkennung und Bewunderung auch von Weißen zuteil wurde, ohne dass sie dies vor konstanten rassistischen Benachteiligungen oder Anfeindungen ausgenommen hätte.
He belongs to a black tradition [...] of making work that is heady enough to confound academics and hip enough to capture the attention span of the hip-hop nation.