Tekla Aslanishvili beschäftigt sich in ihrer Videoarbeit „A State in a State“ mit der Gleichzeitigkeit von Krieg, politischen Umbrüchen und wirtschaftlichen Faktoren. Entlang der BTK-Zugstrecke begibt sich die Künstlerin auf eine Spurensuche und legt die sozioökonomischen Implikationen der Bahnverbindung offen.

Während der russische Angriffskrieg auf die Ukraine seit Februar 2022 die Weltöffentlichkeit in Schockstarre versetzte, machte im Juni eine weitere Schreckensnachricht wiederholt Schlagzeilen: Die Getreidelieferungen aus der Ukraine, dem sogenannten Brotkorb der Welt, wurden durch die Bombenangriffe auf die Hafenstadt Odessa praktisch verunmöglicht und drohten in der Folge eine weltweite Hungerkrise zu verursachen. Im Hintergrund wurde bereits an Alternativen gearbeitet, das Getreide sollte auf Zuggleisen über Rumänien außer Landes gebracht werden. Eine seit Jahrzehnten ungenutzte, verwilderte Bahnroute, die noch die in den ehemaligen Sowjet- und Ostblockstaaten breitere Spurweite nutzt und ins rumänische Galati führt, wurde in kürzester Zeit wieder fahrbereit gemacht. Der rumänische Transportminister versprach zeitgleich eine weitere Modernisierung der Transportinfrastruktur und Geschäftsleute witterten neben der konkreten Hilfe gute Chancen für neue Businessmöglichkeiten.

Eine ähnliche Gleichzeitigkeit von Krieg, politischen Umbrüchen und wirtschaftlichen Faktoren zieht sich auch durch Tekla Aslanishvilis Arbeit „A State in a State“ (2022), in der sie die diffizilen Prozesse einer ganz anderen Zugstrecke – gemeint ist die neue Seidenstraße im Ländereck zwischen Georgien, Armenien und der Türkei – genauer beleuchtet.

Tekla Aslanishvili, A State in a State, Filmstill, 2022 © the artist

TEKLA ASLANISHVILI. INTERVIEW

Searching for traces along the Silk Road

Ein fortwährender Fluss unzähliger Güterzüge

„How Azerbaijan, Georgia, And Turkey Subverted Russia And Isolated Armenia With New Railway”, betitelte das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes 2017 einen Artikel, der über die Eröffnung eines neuen Bahnabschnitts zwischen den drei Ländern berichtete. Die prägnant BTK genannte Zugverbindung vom aserbaidschanischen Baku über Georgiens Hauptstadt Tiflis bis ins türkische Kars, die das Kaspische Meer mit den Toren Europas verbindet, lotete neue Handelswege aus, um hierdurch die russische Vormachtstellung in der Region zu unterminieren, derweil Armenien von wirtschaftlichen Entwicklungen ausgeschlossen werden sollte. Die Idee nahm bereits 1993 erste Züge an, als der lange Zeit schwelende Bergkarabach-Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan in kriegerischen Auseinandersetzungen eskalierte. Als politische Unterstützung für Aserbaidschan legte die Türkei seinerzeit eine vergleichbare Streckenverbindung, die jedoch durch Armenien führte, still. Mit Aufnahmen des Güterbahnhofs in Tiflis eröffnet die georgische Künstlerin Tekla Aslanishvili sodann auch ihren experimentellen Dokumentarfilm „A State in a State“, während sie aus dem Off über den fortwährenden Fluss der unzähligen Güterzüge, die die georgische Hauptstadt passieren, reflektiert.

Tekla Aslanishvili, A State in a State, 2022, Filmstill, © The Artist
Tekla Aslanishvili, A State in a State, 2022, Filmstill, © The Artist
Tekla Aslanishvili, A State in a State, 2022, Filmstill, © The Artist
Tekla Aslanishvili, A State in a State, 2022, Filmstill, © The Artist

Der Film ist eine Art Spurensuche entlang der BTK-Zugstrecke, der sich an die diffizilen politisch-gesellschaftlichen Verflechtungen der postsowjetischen Staaten herantastet und mithilfe diverser Gesprächspartner*innen – Journalist*innen, Gleisarbeiter*innen und Forscher*innen – einzufangen sucht. Wie auch bei anderen filmischen Arbeiten Aslanishvilis fußt das Projekt auf einer umfangreichen Forschungsarbeit, die die Künstlerin gemeinsam mit Dr. Evelina Gambino, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der englischen Cambridge Universität, durchgeführt hat.

Bereits in vorigen Arbeiten verfolgte Tekla Aslanishvili einen ähnlichen Ansatz: in „Transparent Cities“ forschte sie im Rahmen einer Artist Residency zu einem verlassenen Haus, in „Trial and Error“ beschäftigte sich die Künstlerin eingehend mit der georgischen Planstadt Anaklia, deren Umsetzung seit über 20 Jahren immer wieder scheitert. In dokumentarischen wie auch filmisch sorgsam inszenierten Aufnahmen spürt die Arbeit so einerseits den wirtschaftlichen Implikationen rundum den Streckenbau nach und nimmt hierbei auch die regionale Subventionspolitik in Augenschein. Zeitgleich fokussiert „A State in a State“ aber auch die konkreten Auswirkungen auf die multiethnische Bevölkerung vor Ort und zeichnet die transnationale Solidarität zwischen Gleisarbeiter*innen nach. In ihrer Arbeit verschafft Tekla Aslanishvilis so, auch mittels eines ausgeklügelten Sounddesigns, einen eindrucksvollen Einblick in die Region zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer.

Tekla Aslanishvili, A State in a State, 2022, Filmstill, © The Artist
Tekla Aslanishvili, A State in a State, 2022, Filmstill, © The Artist
Zwischen Kulturimperialismus und Ideologie-Export

Als weiteren Film hat sich Tekla Aslanishvili „Red Africa“ (2022) des russischen Regisseurs Alexander Markov ausgesucht. Markov war in einem Filmarchiv auf zahlreiche Archivaufnahmen gestoßen, die zu Zeiten des Kalten Kriegs in unterschiedlichen afrikanischen Ländern zwischen 1960 und 1990 gedreht worden waren. Das Propagandamaterial, das das Wirken der Sowjetunion in den sich gerade vom Kolonialismus befreiten Staaten dokumentierte, verwebt der Regisseur in „Red Africa“ in einer aufwändigen Montage zu einer Reflexion über Kulturimperialismus und Ideologie-Export. Das Bildmaterial zeigt unkommentiert einen kontinuierlichen Strom russischer Delegationen, die den Staatsführern der just entstandenen Nationen Besuche abstatten, derweil sowjetische Waren vor Ort neue Abnehmer*innen finden und Wirtschaftszweige erschlossen werden. Die lokale Bevölkerung erhielt zeitglich die Möglichkeit an russischen Universitäten zu studieren, und so dokumentiert das historische Filmmaterial auch das Aufeinandertreffen von Individuen, die kurz zuvor noch Welten voneinander trennten.

Das jener kulturelle Austausch allerdings nahezu ausnahmslos einseitig von der UdSSR hin zu den afrikanischen Staaten verläuft, ist den Ausschnitten unverkennbar eingeprägt. Der letzte Teil des Films rekurriert auf den Anfang von „Red Africa“, der die feierliche Stimmung in den neugegründeten afrikanischen Staaten, die sich endlich dem westlichen Kolonialismus entledigt haben, in eindringlichen Bildern wiedergibt. Hier allerdings sind es Aufnahmen von Demonstrationen aus den Staaten des sowjetischen Binnenkolonialismus, jene kontinentale Expansion, die die UdSSR selbst jahrzehntelang verfolgt hatte und die in den frühen 1990er-Jahren sukzessive kollabierte. Sowohl Alexander Markovs Filmmontage als auch Tekla Aslanishvilis „A State in a State“ ermöglichen so Einblicke in komplexe Diskurse, denen lange Zeit wenig Beachtung geschenkt wurde.

Alexander Markov, Red Africa, 2022, Filmstill, Image via cineblogifilnova.fcsh

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