EINE LEIDENSCHAFT FÜR PFERDE
Théodore Géricault hatte eine ausgeprägte Leidenschaft für Pferde, die sich in zahlreichen Arbeiten über die edlen Vierbeinern widerspiegelt. Diese Liebe wird ihm jedoch zum Verhängis: er stirbt nach mehreren Reitunfällen an den Folgen.
Von Ekkehard Tanner1865 erinnerte sich Henri Moulin, Bürgermeister von Mortain in der Normandie, an die ungebremste Energie seines Vetters Géricault sowie an dessen Leidenschaft für Pferde. Diese Leidenschaft war es, die ihn zu seinem ersten Kunstlehrer, Carle Vernet (1758-1836) führte. Carle Vernet, Sprössling des im 18. Jahrhundert viel gepriesenen Landschaftsmaler Joseph Vernet, war ein anglophiler Dandy, der im Empire für seine Darstellungen napoleonischer Schlachtfelder den Orden der Ehrenlegion erhielt und ein genaues Auge für Anatomie, Bewegung und Natur des Pferdes hatte.
Ohne das Wissen seines Vaters, aber mit Unterstützung seines Onkels Jean-Baptiste Caruel und seiner Tante Alexandrine-Modeste Caruel de Saint-Martin, mit der er später eine leidenschaftliche Affäre haben sollte, schrieb sich der siebzehnjährige Géricault 1808 im Atelier von Vernet ein. Zwei Jahre lang lernte er dort, Pferde zu zeichnen und zu malen, wobei ihm das lebende Beispiel wichtiger als klassischer Vorbilder war.
Wissenschaftliche Forschung und Ästhetik
Weil Géricault jedoch der Ansicht war, dass die klassische Schule der Ausgangspunkt und die Grundlage einer soliden künstlerischen Ausbildung sei, wechselte er 1810 ins Atelier von Pierre-Narcisse Guérin (1744-1833). Guérin, ein klassizistischer Maler in der Art eines Jacques-Louis David (1748-1825), war das genaue Gegenteil Vernets. Es hätte aber auch keine größeren Gegensätze als jene zwischen Guérin und seinem Schüler Géricault geben können. Guérin erkannte Géricaults außergewöhnliche Begabung, bezeichnete aber dessen expressiven Umgang mit Form und Farbe als „realitätsfern". Die klassische Ausbildung konnte Géricaults Prägung durch Vernet nicht tilgen. Regelmäßig soll der angehende Künstler der Langeweile des Ateliers entflohen sein um zu den Kasernen von Courbevoie im Nordwesten von Paris zu gehen, wo er die Pferde in ihren Stallungen zeichnete. Aus dieser Zeit sind uns detaillierte anatomische Zeichnungen von Knochen- und Muskelaufbau von Pferden erhalten.
Meist orientierte sich der Künstler an Vorlagen, wie dem Stichwerk „The Anatomy of the Horses" von George Stubbs (1724-1806), dem vermutlich bedeutendsten englischen Pferdemaler, der seine eigene wissenschaftliche Forschung mit Ästhetik verband, seltener an anatomischen Präparaten.
Géricault wusste, wie man Pferde darstellt, geht aber über das bloß Deskriptive hinaus. In der Darstellung eines grauweißen Vollblüters zeigt er sich als Analytiker. Alle Fasern des Pferdes sind bis zum Äußersten gespannt. Die Augen sind weit aufgerissen, die Nüstern gebläht und beide Ohren sind aufgestellt. Das edle Tier zeigt eine ängstliche Aufmerksamkeit. Das Pferd steht hart an der Mauer, es kann nicht weiter. Die Körperhaltung ist gleichzeitig elegant, ängstlich und reserviert. Das Bild hat etwas Beunruhigendes, was durch die starken Hell-Dunkel-Kontraste verstärkt wird. Solche Chiaroscuro-Wirkungen bemängelte Guérin bei seinem Schüler, da es bei ihm den Eindruck hervorrief, als male Géricault nur bei Mondschein.
Géricault war ein Tatmensch, den Gefahr und Kraft, Gewalt und Risiko anzogen. Ein Werk zeigt dies besonders deutlich: ein kleines Gemälde, das Géricault bei seinem Italienaufenthalt 1817 malte. Es zeigt einen der Höhepunkte des römischen Karnevals, von dem bereits Goethe und Madame de Stael lebhafte Berichte schrieben: Das Rennen der Berberpferde. Wir sehen den Moment nachdem die wilden Pferde den Corso hinuntergetrieben wurden und nach ihrer Ankunft auf der Piazza Venezia wieder eingefangen werden. Der Kampf zwischen den ungezügelten Leidenschaften der Natur und dem zur Ordnung zwingenden Willen der Pferdeknechte wird hier lebendig.
Géricault wusste zwar, wie man Pferde darstellt, kümmerte sich aber nicht immer um anatomische Genauigkeit. So etwa im Gemälde „Der verletzte Kürassier zieht sich vom Schlachtfeld zurück", welches Géricault im Salon von 1814 zeigte. In der Ausstellung in der SCHIRN gibt es dazu eine sehr gute Vorstudie, die dem Original sehr nahe kommt. Dargestellt ist ein demoralisierter Soldat, der ein letztes Mal ängstlich zurückblickt, während er nach links aus dem Bild zu schlittern droht. Flankiert wird der Soldat von einem Pferd, das unter Schock steht und kaum zu bändigen ist. Oder vielmehr vom Vorder- und Hinterlauf eines Pferdes. Um den Effekt zu steigern ignoriert Géricault die korrekten Proportionen und unterschlägt den Pferdekörper. Auf diese Weise kann er das Bild hochrechteckig gestalten, was dessen unruhige Wirkung noch verstärkt. Gleichsam geht die Bewegung von rechts nach links, womit der Maler die übliche Leserichtung invertiert. Vom Vorwärtsdrängen in ein glorreiches Zeitalter geht es zurück, wohin man nicht gehen möchte. So antizipiert Géricault die reaktionäre Herrschaft der Restauration.
Die große Liebe zu Pferden und zum Reiten wird ihm zum Verhängnis
Der Künstler gehörte zu einer Generation, die im Glauben an die Unbesiegbarkeit Frankreichs und im Glanz der Grande Armée aufgewachsen war. Ein Glaube, der mit dem verheerenden Russlandfeldzug von 1812, als von 700.000 Soldaten nur 30.000 Mann zurückkamen, zu schwinden begann. Nach der Niederlage während der Völkerschlacht in Leipzig im Jahr 1813, als Preußen, Österreich, England und Russland gegen Napoleon obsiegten, trat endgültig das Bewusstsein des baldigen Zusammenbruchs in den Vordergrund.
Napoleon gegenüber war Géricault ambivalent. Mal verherrlicht er die Grande Armée, mal zeigt er das Leiden des Krieges. In einer kolorierten Lithographie glorifiziert er die napoleonische Artillerie, die im Galopp in die Schlacht zu fliegen scheint.
Auf einem anderen Blatt, der verendete Leib eines Pferdes in einer schneebedeckten Landschaft, dem sich bereits dunkle Vögel nähern -- eine Anspielung auf den Russlandfeldzug.
Darstellungen von und mit Pferden bilden einen Großteil von Géricaults Oeuvre. Die große Liebe zu Pferden und zum Reiten sollte ihm schließlich zum Verhängnis werden: 1812 hatte er drei Reitunfälle, die zu einem Abszess am Rücken führten, an dem der Künstler im Januar 1814 mit nur 32 Jahren nach schwerer Krankheit starb.