Die schwedische Künstlerin Nell Roslund prägte die STURM-Bewegung an der Seite ihres Mannes Herwarth Walden. Gleichzeitig ist ihre Kunst ohne den STURM nicht denkbar.
Wer ist die Schwedin, über die Alfred Flechtheim in seinem Vorwort für einen Ausstellungskatalog 1927 schrieb: „Keine Frau in Berlin ist so blond und hat solch weiße Haut, wie diese Schwedin, die seit 15 Jahren ungefähr in Berlin lebt und Else Lasker-Schülers Nachfolgerin gewesen ist, nicht sehr lange, aber lange genug, um aus Herwarth Walden und seinem ‚Sturm‘ eine europäische Angelegenheit zu machen. Selbst eine begabte Malerin: Blumen, Wasser, viel Wasser, ganz fraulich, keine Männerimitation, und eine Sammlerin, wie es wenige in der weiten Welt gibt“?
Mit nachdenklich geneigtem Kopf aber entschlossenem Blick fixiert Nell Roslund den Betrachter. Die Augen klar, der ganze Körper ist nach vorne gerichtet. Statt ebenfalls seine Aufmerksamkeit der Kamera zu widmen, wendet sich Herwarth Walden, der sich in der Fotografie aus dem Jahr 1916 neben Roslund aufgestellt hat, hingegen vollkommen seiner Partnerin zu. Sein Blick, er verharrt auf der jungen Schwedin, die damals nach Else Lasker-Schüler seine zweite Ehefrau, die Malerin, Journalistin, Übersetzerin, Sammlerin und vor allem eine der energischsten Kämpferinnen für die STURM-Bewegung war.
Mag das fotografische Porträt Nell Roslunds und des STURM-Gründers auch das Ergebnis einer Inszenierung sein, so steht die Aufnahme zugleich sinnbildlich für das besondere Beziehungs- und Bedeutungsgeflecht dieser beiden Kunstförderer, die sich vollkommen der Avantgarde verschrieben hatten. Wenn auch für kaum länger als ein Jahrzehnt an Waldens Seite, so sollte Nell Roslund schnell zu einem organisatorischen, gesellschaftlichen und künstlerischen Knotenpunkt im transnationalen Netzwerk des STURM werden.
Nell Roslund sicherte das finanzielle Überleben der Bewegung
Herwarth Walden ist die unbestrittene Schlüsselfigur dieser Bewegung, die sich in Deutschland zunächst für den Expressionismus und später für vielfältige Ausdrucksformen der Avantgarde einsetzt. Dass diese den Ersten Weltkrieg überlebte und sich in den Kriegsjahren sogar noch vergrößerte, war maßgeblich Nell Roslunds Verdienst, die dessen finanzielles Überleben sicherte. Außerdem wurde sie nicht nur eine der meist ausgestelltesten Künstlerinnen in der STURM-Galerie, sondern ebenfalls eine der wichtigsten Sammlerinnen der Kunst ihrer Mitstreiter.
1887 als Tochter eines Pfarrers im südschwedischen Karlskrona geboren, wurde Nell Roslund (ursprünglich Nelly Anna Charlotta Roslund) zunächst eine klassische bürgerliche Erziehung zuteil. 1908 hatte sie ihr Musikstudium als Organistin abgeschlossen. Reisen führten sie unter anderem nach Lübeck und Berlin, wo sie ihre deutschen Sprachkenntnisse vervollständigte. Als sie sich 1910 mit dem schwedischen Architekten Folke Bensow verlobte, schien ihre Zukunft als konventionelle Gattin und Hausfrau besiegelt. Doch die Begegnung mit Herwarth Walden im Haus ihrer Schwester im Jahr 1911 sollte alles ändern.
Die öffentliche Wahrnehmung der Avantgarde
Sie löste ihre Verlobung, überzeugte ihre Mutter, ihr eine Anstellung in Berlin zu vermitteln und schloss sich Anfang 1912 Herwarth Walden und seinem STURM-Kreis an. Mit ihrem gesicherten Einkommen als politische Journalistin und Übersetzerin im Pressehauptquartier der deutschen Obersten Heeresleitung finanzierte Roslund die Bewegung seitdem und begann, deren Werke gemeinsam mit ethnografischen Objekten zu sammeln. In den kommenden Jahren wurde die wachsende Sammlung für Werbezwecke des STURM genutzt, der Öffentlichkeit regelmäßig zugänglich gemacht und in einem Katalog publiziert – damit beginnt der anhaltende Einsatz Roslunds für die öffentliche Wahrnehmung der Avantgarde-Bewegung.
In diesen Jahren wurde die Sammlerin zudem selbst zur Malerin. Als Autodidaktin fand Nell Roslund im Schoss des STURM zur Malerei – und an die STURM-Kunsthochschule, die im Herbst 1916 eröffnete. Ihre Hinterglasmalerei, Ölmalerei und Arbeiten auf Papier zeigen farbintensive Kompositionen, die noch menschliche und geometrische Formen erahnen lassen, ihre Intensität und Dynamik jedoch erst in der Absage an die treue Figuration für die Abstraktion entwickeln. Nell Roslunds Bilder leuchten in Kontrasten; sie tragen dabei entweder simple Titel wie „Klebebild“, „Komposition“, „Glasbild“, „Tempera“ oder aber solche, die ihren gestischen Strichen (Be-)Deutungen einpflanzen: „Ich selbst“, „Kräfte“, „Arabische Träume“, „Lyrische Blumen aus einem nordischen Garten“. Die mehr als 6.000 Werke ihres Oeuvres entstehen in Wasserfarben, Tempera, Pastell, Zeichentusche oder Gouache auf Papier und Holz; Collagen und Mosaike führen ihre „kolorierten Zeichnungen“ fort, Innenraumgestaltungen überführen sie in den Raum.
Verhaftet, deportiert, ermordet
Unbeschwert ist ihre Materialwahl; technische Fertigkeiten stehen hinter der charakteristisch expressionistischen Orientierung an innerlichen Erfahrungen und Empfindungen, die in der Kunst ihren Ausdruck finden, zurück. Dabei findet auch die Religion Eingang in ihre Kunst, die der Auffassung der Malerin nach beide einen unerschütterlichen Glaubens erfordern. Seitdem Nell Roslund 1917 als Künstlerin debütierte, waren ihre Arbeiten so oft in den STURM-Schauen vertreten, dass sie nach Jacoba van Heemskerck die am zweithäufigsten ausgestellte Künstlerin der Bewegung ist. Als sich Nell Roslund 1924 von Herwarth Walden scheiden lässt, wird sie Mitglied der Künstlervereinigung „Die Abstrakten – Internationale Vereinigung der Expressionisten, Futuristen, Kubisten und Konstruktivisten e.V.“, mit der sie weiterhin ausstellt.
Bereits vor der Scheidung von Walden, der 1931 in die Sowjetunion übersiedelt und damit das Ende des STURM besiegelt, überträgt dieser ihr seine Kunstsammlung. Als sie selbst vor den Nazis in die Schweiz flieht, gelingt es ihr, große Teile ihrer Kunst- und ethnografischen Sammlung mitzunehmen. Doch ein privates Unglück begleitet ihren Umzug: Ihren zweiten Ehemann, den jüdischen Arzt Hans Heimann, der in die Schweiz nachkommen sollten, wird sie nie wiedersehen, er wird von den Nazis verhaftet, deportiert und ermordet. Roslund bleibt fortan in der Schweiz. 1940 heiratet sie erneut.
Bis an das Ende ihres Lebens soll es jedoch vor allem die Begegnung mit Herwarth Walden und den STURM-Künstlern sein, die Nell Roslund nachdrücklich prägten. So setzte sich die gebürtige Schwedin unermüdlich für die Anerkennung des STURM ein, den sie mittels Verkäufe und Stiftungen an Museen sowie durch ihre Publikationen von 1954 und 1963 in der Kunstgeschichte einen festen Platz einzuräumen suchte. Zugleich entstand ihre Kunst vollständig innerhalb des Kontextes der STURM-Bewegung und verkörpert deren ästhetische sowie künstlerischen Ideale wie wohl kein anderes Werk eines STURM-Künstlers. Heute sind die Arbeiten der Trägerin des schwedischen Ritterordens Vasa I. Klasse sowie des Verdienstkreuzes 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland unter anderem im Moderna Museet in Stockholm, im Kunstmuseum Bern oder aktuell in der Ausstellung „STURM-FRAUEN“ in der SCHIRN zu sehen.