Mit ihrer Videoarbeit gibt Künstlerin Sandra Schäfer Einblicke in ein Wiederaufbauprojekt der Hisbollah nach dem Libanonkrieg. Und führt damit bildlich vor, wie Architektur Erinnerung und Identität beeinflusst.
Auf Pauspapier malt Rahif Fayad mit dickem Schwarzstift ein kleines Viereck. Rahif Fayad ist Architekt und das Pauspapier liegt auf einer Stadtkarte von Beirut. „Our project was limited to this“, sagt er und deutet mit seinem Zeigefinger in das Rechteck, welches das Viertel Haret Hreik umreißt. Während er den Rahmen mit einem rosafarbenen Textmarker ausmalt erklärt er, dass sie diesen Teil rekonstruieren mussten. Und, dass man hier nicht über einen gewöhnlichen Wiederaufbau eines Quartiers sprechen könne. Man müsse auch das soziale Gefüge wiederherstellen, gerade weil dessen Akteure sich im Widerstand befanden.
Our project was limited to this.
Man müsse sich nicht durch den Erhalt des Zustands einiger zerstörter Gebäude an den Krieg erinnern, denn der Krieg würde wiederkommen – der endlos andauernde Krieg mit Israel. Seine Stimme, wie auch all die anderen Stimmen in Sandra Schäfers Videoarbeit „Constructed Futures: Haret Hreik“ (2017) kommen aus dem Off. Für ihren dokumentarischen Film begab sich die Künstlerin in das nach außen hin nicht als solches erkennbare Hauptquartier der Hisbollah. Haret Hreik wurde 2006 im Libanonkrieg von der israelischen Armee stark bombardiert und dann von der Hisbollah rasch wiederaufgebaut.
Mit klaren, starren Bildern sowie den Erzählungen unterschiedlicher Interviewpartner gibt Schäfer in vier Kapiteln einen Einblick in dieses ideologisierte Wiederaufbauprojekt, das durchsetzt ist mit den politischen Botschaften der Hisbollah und fast genauso gewaltsam erscheint wie die Zerstörung selbst.
Obwohl Sandra Schäfer während der 27 Minuten des Films nah am ideologischen System der Schiitenmiliz bleibt, schafft sie es, Distanz zu diesem zu bewahren – nicht nur durch die Stimmen aus dem Off, welche die bildhafte Wirkung der hermetisch abgeschlossenen Räume verstärken, in denen die Ideologie um sich selbst zu kreisen scheint. Bereits zu Beginn des Films spielt Sandra Schäfer die Tonaufnahme einer Sicherheitskontrolle ein. Mit dieser verdeutlicht sie, dass es sich bei ihrem Vorhaben um Aufnahmen für eine Dokumentation handelt, zum Ausstellen, und nicht im Auftrag einer politischen Partei oder dergleichen.
Ein Bauprojekt der Hisbollah, fast so gewaltsam wie die Zerstörung selbst
In den Büroräumen erklärt der Leiter des sogenannten Waad Projekts schließlich Umfang und Absichten der Maßnahmen. Es wird klar: Die Hisbollah um- und versorgt ihre Anhänger eingehend, die mit treuer Ergebenheit reagieren. Dieser Gedanke erfährt seine Zuspitzung durch die Propagandavideos, deren Projektion Schäfer in einem Konferenzraum abfilmte – ein weiteres filmisches Mittel, um Abstand zum eigentlich Gezeigten zu halten.
Die Aussagen des Architekten im zweiten Teil von „Constructed Futures: Haret Hreik“ konkretisieren schließlich die ideologische Einschreibung in den städtischen Raum. Dieser Aspekt ist Teil von Sandra Schäfers künstlerischer Doktorarbeit zu militanten Bildpolitiken, welche sie 2018 an der Hochschule für bildende Künste Hamburg abschloss. Darin geht sie unter anderem der Frage nach, wie sich Machtverhältnisse in der Architektur ausdrücken und somit Erinnerung und Identität beeinflussen. Hierzu gehört auch das Projekt „Constructed Futures: Mleeta“ (2016) über das gleichnamige Museum des Widerstands. Beide Filme wurden bei der 66. und 67. Berlinale in der Sektion Forum Expanded gezeigt.
Dass Schäfer ausschließlich Innenräume zeigt, ist ihrer Entscheidung geschuldet, die Filmarbeiten offiziell und nicht heimlich durchzuführen. Die vom Media Office der Hisbollah aufgesetzten Richtlinien für filmische Außenaufnahmen waren ihr zu streng und zu riskant. Das dritte Kapitel führt in die ebenfalls in Haret Hreik gelegene Wohnung einer ehemaligen Mitarbeiterin des Waad Projekts, die eine Schilderung ihres als Märtyrer gefallenen Sohn gibt.
Propaganda und private Trauer treten hier miteinander in Konkurrenz
Zu Aufnahmen seiner Fotografien und persönlichen Gegenstände treten Propaganda und private Trauer miteinander in Konkurrenz, deren Unmittelbarkeit erneut durch den Einsatz einer Dolmetscherin gebrochen wird. Wenn Sandra Schäfer, wie sie selbst sagt, in ihrem Dissertationsprojekt als Bildproduzentin sowohl die Methoden der Hisbollah als auch ihre eigenen Methoden erforscht, liegt es nahe, dass sie sich „Close-Up“ als weiteren Film ausgesucht hat. Denn dieser kommuniziert das, was er vermitteln möchte in exakt der gleichen Einheit von Form und Inhalt – beides muss und kann nur simultan verstanden und gelesen werden.
In seinem Dokudrama aus dem Jahr 1990 verwebt der iranische Regisseur Abbas Kiarostami Fiktion und Wirklichkeit so komplex, dass er nicht nur Fragen über die Effekte des Kinos auf unser Leben aufwirft, sondern auch zu einer Reflexion von Identität und Selbstdarstellung anregt. Basierend auf einer Reportage über den arbeitslosen Hochstapler Hossein Sabzians, steht dessen Gerichtverhandlung im Mittelpunkt des semidokumentarischen Films. Er täuschte eine wohlhabende Familie, gab sich als der berühmte Filmemacher Mohsen Makhmalbaf aus, lieh sich Geld von ihnen und verweilte oft in ihrem Haus.
Mit Sabzians Einverständnis dreht Kiarostami nun einen Film über ihn und ist mit zwei 16-mm-Kameras beim Gerichtsprozess anwesend. Wenn er sich vom Gericht unverstanden fühlt, soll Sabzian in die ihm extra zugewandte Kamera sprechen, die in Nahaufnahmen Momente seiner Reue festhält. In diesen, dem Film seinen Titel gebenden Close-Ups entfaltet sich die Bedeutung seines Hauptmotivs. Als der große Künstler Makhamalbaf kann sich Sabzian so zeigen, wie er es sonst nicht kann, kann sich so ausdrücken, dass er auch die Aufmerksamkeit und den Respekt seiner Zuhörer gewinnt. Dabei gilt: keine Täuschung ohne jemanden, der auch getäuscht werden will. Schließlich lässt die in „Close-Up“ thematisierte Selbsttäuschung Sabzians an jene identitätsstiftenden Ideologien denken, mit denen man sich ebenso gut selbst täuschen kann.