Eine Frau, ihre Verehrer und ein Mord. In ihrem Film „The Coquette“ spielt Künstlerin Rosa Aiello mit stereotypen Geschlechterrollen und Machtverhältnissen.
Ein Treffen zwischen einer Frau und einem Mann, vielleicht ein Date: Die beiden unterhalten sich angeregt nach einem Abendessen. Genauer gesagt: Der Mann, Bertrand, unterhält die Frau, Yvonne, monologisiert mehr oder minder, während sie darauf bedacht scheint, ihm in allem überaus entgegenkommend zuzustimmen. Plötzlich klingelt es an der Haustür und Yvonne nimmt dort einen üppigen Blumenstrauß in Empfang. Gerade noch hörbar sind die Worte „It’s really not the best time“. Eine Aufmerksamkeit eines anderen Verehrers? Kurz darauf beendet sie freundlich das Date mit Bertrand: Sie müsse am kommenden Morgen früh aufstehen.
Das nächste Treffen, das uns Rosa Aiello in ihrem Film „The Coquette“ zwischen Yvonne und Bertrand zeigt, verschafft vielleicht schon einen etwas tieferen Einblick in die Beziehung der Beiden: Yvonne berichtet vom zerrütteten Verhältnis zu ihrer Mutter, mit der sie seit ihrer Jugend kein Wort mehr gewechselt habe. Der persönliche Bericht dient Bertrand lediglich als Ausgangspunkt für einen kleinen Vortrag über C. G. Jungs „Mutterkomplex“, der dann recht schnell in Ausführungen über die Morbidität von moderner Kunst führt. Yvonne wirkt dieses Mal deutlich weniger entzückt von ihrem Gegenüber, körperlichen Annäherungsversuchen geht sie aus dem Weg. Es klingelt wieder an der Tür.
Dialog-Sequenzen werden durch laute S-Bahn-Geräusche gestört
Die gut 24-minütige Video-Arbeit „The Coquette“ (2018) von Rosa Aiello (*1987) ist eine Adaption der gleichnamigen Kurzgeschichte Patricia Highsmiths, die erstmals 1975 in der deutschsprachigen Ausgabe „Kleine Geschichten für Weiberfeinde“ – zwei Jahre später erst in der Originalsprache unter dem Titel „Little Tales of Misogyny“ – erschien. „The Coquette“ schildert in sehr knappen Worten die Bekanntschaft zwischen Yonne und Bertrand, die – typisch für die weltbekannte Autorin – natürlich in einem Mord mündet.
Yvonne wird alsbald ihrem Verehrer überdrüssig, kann das Verhältnis aber trotz eindringlicher Versuche nicht beenden, sogar als sie ihm direkt ins Gesicht sagt: „I actually really don’t like you.“ Denn, wie es wiederum bei Highsmith heißt: „Unaccustomed as he was to the truth, expecting falsehood from a pretty woman, he took her words as turn-abouts, and continued to dance attendance“.
Rosa Aiello inszeniert die Kurzgeschichte formell als Gratwanderung zwischen Soap-Opera und experimentellen Kurzfilm. So wird das Bild zeitweise in einen Split-Screen geteilt und plötzlich mit Archiv-Aufnahmen kombiniert, wiederholt werden Dialog-Sequenzen durch laute S-Bahn-Geräusche unkenntlich gemacht, bei gleichzeitig latentem Over-Acting der Schauspieler und kitschiger Musikuntermalung. Diese Ambiguität taucht bei Aiello immer wieder auf: So eröffnet „The Coquette“ beispielsweise mit einer rührseligen Coverversion des Bob Dylan-Songs „To Make You Feel My Love“ vom ehemaligen Westlife-Sänger Shane Filian.
I actually really don’t like you.
Der Song, die Beschreibung einer bedingungslosen, wenn auch nicht erwiderten Liebe, bekommt in „The Coquette“ eine bedrohliche Qualität, gleich den Drohgebärden eines Stalkers. Solche Zweideutigkeit zieht sich auch durch Patricia Highsmiths Kurzgeschichten, schon der Titel spielt mit den Erwartungen des Lesers. Die Frauen in ihrem Kurzgeschichtenband beschreibt sie nicht als engelsgleiche, moralisch integrere Marienfiguren. Vielmehr zielt Highsmith auf das Wesen der Misogynie selbst ab: Opfer werden die Frauen nicht wegen ihrer Handlungen, sondern aufgrund ihres Frau-Seins.
Die Macht des Titels kann man auch in Rosa Aiellos Inszenierung erleben: Die Überschrift „The Coquette“, die Kokette, kategorisiert die Figur Yvonnes von der ersten Szene an in weiblichen Klischees und reproduziert so die eingeengte Perspektive der männlichen Figuren. Yvonnes tatsächliches Vorgehen mag dem jedoch gar nicht unbedingt entsprechen. Die von außen zugesprochenen Eigenschaften bestimmen hier allein die Handlungen des Individuums. Denn: Ist sie nun wirklich so kokett? Woran ließe sich das festmachen? Was, wenn der Film „Die Schüchterne“ oder „Die Unentschiedene“ hieße? In anderen Worten: Wer kokett ist, bestimmen die Außenstehenden, nicht die Person selbst.
Nach 35 Jahren wird der Film erstmals gezeigt
Nach einem Künstlergespräch wird im zweiten Teil des Double Features Bill Gunns „Personal Problems“ aus dem Jahre 1980 zu sehen sein. Der Film basiert auf der gleichnamigen, auf improvisierten Texten basierenden Radio-Reihe des afroamerikanischen Schriftstellers Ishmael Reed, die dieser gemeinsam mit dem Schauspieler Walter Cotton und dem Radio-Host Steve Cannon konzeptionierte und umsetzte.
„Personal Problems“ war als eine Art „black meta soap opera“ angedacht, wie Steve Cannon beschrieb: „We were dissatisfied with the kind of stuff that was coming out of Hollywood, that Blaxploitation, Super Fly and that kind of bullshit. We wanted to do something ... more authentic and more realistic in terms of middle-class black people.“ Der Regisseur Bill Gunn – Spike Lee zufolge „one of the most under-appreciated filmmakers of his time“ – machte aus dem Projekt schließlich einen zweiteiligen Fernsehfilm mit einer Gesamtlänge von gut zweidreiviertel Stunden, an dem alle Beteiligten der Radioproduktion wieder mitwirkten.
Zu sehen bekommt man im Film einen unprätentiösen Einblick in die Lebensrealität afroamerikanischer New Yorker im Harlem der 1980er Jahre. Die Kamera, geführt vom damals noch zu Beginn seiner Karriere stehenden Architekturfotografen Robert Polidori, begleitet die Protagonisten durch ihren Alltag auf der Arbeit, auf Partys oder bei Treffen mit Freunden. Fokus liegt dabei auf der Beziehung zwischen Johnny Mae und ihrem Mann, deren Seitensprünge, ihr Berufsalltag und sonstigen Verstrickungen, die das Leben so mit sich bringt.
We wanted to do something ... more authentic and more realistic in terms of middle-class black people.
Beeindruckend sind das improvisierte, im besten Sinne authentische Schauspiel und die eindringliche Regie, die sonst wohl nur beim US-amerikanischen Independent-Regisseur John Cassavetes in ähnlicher Intensität zu sehen ist. Der Film, vollständig mit den damals neu erhältlichen Videokameras gedreht, wurde ursprünglich dem Fernsehsender PBS zur Ausstrahlung angeboten, der jedoch ablehnte, sodass das Werk bis auf weiteres nicht zu sehen war. Erst im letzten Jahr wurde „Personal Problems“ durch die Produktionsfirma Kino Lorber digitalisiert und nun, nach über 35 Jahren, zum ersten Mal einem größeren Publikum gezeigt.