Im Internet zum unsichtbaren Voyeur. Mit einer App schafft Nina Könnemann filmische Welten, die unser Verhalten als virtuelles Selbst in sozialen Netzwerken vor Augen führen.
“Was wäre, wenn Du durch die Augen eines Demonstranten in der Ukraine sehen könntest? Oder Du könntest den Sonnenaufgang aus einem Heißluftballon heraus in Kappadokien beobachten? Es mag vielleicht verrückt klingen, aber wir wollten etwas erschaffen, das Teleportation so nahe wie möglich kommt.“ Mit diesen Worten stellen sich die Macher von Periscope, einer App für Videoübertragung in Echtzeit, vor. Die Idee kam den Gründern Kayvon Beykpour and Joe Bernstein im Rahmen der Taksim-Proteste in Istanbul 2013.
Auf Twitter konnte man damals schon schriftlich mitverfolgen, was passierte; in Echtzeit zu sehen war es aber nicht. Noch vor dem Marktstart wurde Periscope von Twitter gekauft. Jeder, der ein Smartphone oder Tablet mit Kamera besitzt, kann nun zum Videoreporter, oder viel eher: Videoproduzenten werden.
Weltweit im Austausch, ob bei McDonals in Wien oder im New Yorker Restaurant
Die App Periscope bildete auch die Plattform für die fortlaufende Live-Video-Performance „Free Wifi“ der in Berlin und Hamburg lebenden Künstlerin Nina Könnemann (*1971). Erstmals 2016 in der Oststation in Wien aufgeführt, wird die Performance nun in Ausschnitten im Double Feature der SCHIRN gezeigt. „Free Wifi“ lässt sich als Filmmontage beschreiben, bestehend aus Texten und Live-Videos, die weltweit an unterschiedlichen Orten, wie McDonalds Filialen in Wien oder Berlin, Kulturzentren aus München oder Restaurants in New York, aufgenommen wurden. Die Orte eint, dass dort allen Besuchern kostenfreies WLAN zur Verfügung gestellt wird, über das alle Anwesenden mit ins Geschehen eingreifen und dieses kommentieren können.
Einiges ist inszeniert, anderes wird dem Zufall überlassen. „I want to dissociate from the money society,” kommentiert da einer, während das pixelige Handybild den Boden des Eingangsbereichs einer McDonalds-Filiale filmt. “I would like to be homeless for a week”, heißt es da weiter; “That’s called camping”, kommentiert ein Anderer lakonisch.
Bequem in der Rolle des unsichtbaren Voyeuristen
“Explore the world through the eyes of somebody else”, so der Leitspruch der Applikation, bedeutet hier eher: das zu sehen, was man ohnehin jeden Tag überall sehen kann. In einer Veranstaltungshalle sitzen Menschen auf dem Boden und starren in ihre Laptops und Mobiltelefone, bei McDonalds bedienen sich Kunden an Servietten und Strohhalmen selbst, ein Bild zeigt zwei junge Frauen, die an einem Tisch sitzen, und ein Kommentator fordert den Filmer auf: „Closer to the Ladies!“. Und dennoch kann man den Blick kaum abwenden vom beiläufigen Bild, ist in merkwürdiger Weise gespannt, was wohl als Nächstes passieren wird. Man kann sich gut einrichten in der Rolle des unsichtbaren Voyeuristen.
„Free Wifi“ macht den Betrachter vielleicht sogar selbst zum freien Bit im Datenverkehr, der mal kurz dort vorbeischaut, bevor es weiter geht, im großen Ganzen, das sich vor lauter Kommentarversatzstücken und Bilderpixeln nicht wirklich zu erkennen gibt. Den öffentlichen Raum, das Alltägliche stellte Nina Könnemann schon in anderen Arbeiten in den Fokus: In „Bann“ (2012) zeigte die Künstlerin Raucher in London, die ihrer Sucht nach den neuesten Anti-Rauchergesetzen nur in besonders gekennzeichneten Bereichen frönen können; in der Videomontage „Que Onda“ (2018) dokumentiert sie das rege Treiben an einer öffentlichen Toiletten-/ Duscheinheit am Venice Beach in Los Angeles, die sowohl von Strandbesuchern wie auch von Obdachlosen und herumtreibenden Jugendlichen genutzt wird.
Als Lieblingsfilm für den zweiten Teil des Abends hat sich Nina Könnemann für das experimentelle Spielfilmdebut „El auge del humano“ („The Human Surge“) (2016) des argentinischen Regisseurs Eduardo Williams entschieden. Der vielfach ausgezeichnete Film begleitet seine jungen Protagonisten in Buenos Aires, in Maputo, Mozambique sowie in Bohol auf den Philippinen. So zum Beispiel den 25-jährigen Exe, der gerade seinen Job verloren hat, ständig auf der Suche nach einem Internetzugang ist und mit Freunden mittels Sex-Chats versucht, ein wenig Geld zu verdienen.
Kurze Einblicke ins Alltagsleben, in den Ennui der jugendlichen Protagonisten
Unaufdringlich folgt die Kamera in langen, ruhigen Einstellungen den Akteuren und entwickelt so im Laufe des Films eine ganz eigene Bildsprache, die von Kritikern als „slow cinema“ bezeichnet und in Verbindung mit Werken von Andrei Arsenyevich Tarkovsky, Lisandro Alonso, Harmony Korine oder Gus van Sant gebracht wird.
Die drei Abschnitte sind lose miteinander verbunden, der Film bietet kurze Einblicke in das Alltagsleben, setzt die Protagonisten dem alltäglichen Ennui, bestehend aus fahrigen Gesprächen über Träume, dem Herumalbern oder aber verständigen Schweigen aus, und immer schwebt das Internet als verbindendes Glied im Hintergrund: Da will ständig jemand sein Handy aufladen oder irgendwas im Internet nachschauen, oder ist gerade auf der Suche nach einem Internet-Café. Am Ende des Films befinden wir uns in einer Fabrik, in der Mobiltelefone und Tablets zusammengebaut werden. Eine Computerstimme wiederholt stetig die Phrase „Okay“ und das Dunkel, das im Film bis jetzt soviel Raum eingenommen hat (dunkle Zimmer, dunkle Gasse, dunkle Wälder) ist dem gleißenden Neonröhren-Licht des Fertigungsraumes gewichen. Alles macht weiter.