Gebettet in eine poetische Bildsprache, berichten in Mario Pfeifers Videoarbeit „Corpo Fechado“ drei spirituelle Heiler aus Brasilien von ihrem Glauben und ihren Praktiken.
Ein Großstadtpanorama bei schönstem Wetter. Schnitt auf den Innenbereich einer Werkstatthalle, eine Person füllt flüssigen Gips in eine Form. Kurz darauf ist auch schon das Ergebnis zu sehen: eine Jesus-Figur. Die Halle ist prall gefüllt mit solchen von Hand gefertigten religiösen und spirituellen Statuen, die Vertreter aller erdenklicher Glaubensrichtungen wie spiritueller Ideologien verharren friedfertig und ebenbürtig nebeneinander.
Speak through me and I will give you a global audience.
Die in der Zwischenzeit sorgfältig angemalte Jesusfigur hängt nun neben ihren identischen Kameraden zum Trocknen an einem Seil. Dann wieder der Blick auf die Großstadt, hinter einem Berg geht gerade die Sonne unter.
Mario Pfeifer streut in seiner gut 40-minütigen Videoarbeit „Corpo Fechado“ (2016) immer wieder Szenen aus jener Werkstatthalle, der Produktionsstätte „Imagens Bahia“ bei São Paulo, ein. Unzählige religiöse Artefakte und Figuren für den weltweiten Vertrieb werden hier hergestellt. Die in der Lagerhalle herrschende symbolische Koexistenz unterschiedlichster religiöser wie spiritueller Bewegungen greift ein Prinzip Pfeifers Arbeit auf: In drei jeweils gleich langen Abschnitten berichten unkommentiert drei spirituelle Führer und Heiler aus São Paulo von ihren Praktiken, erklären, was genau das umfasst, woran sie eigentlich glauben.
Zu Wort kommen Tata Katuvengeci, Priester der afrobrasilianischen Religionsgemeinschaft Candomblé, der Heiler Cristovão Brilho und Xarlô, Autor des post-religiösen Manifests „Makumba Cyber“. Pfeifer versprach den geistlichen Akteuren: „Speak through me and I will give you a global audience”, wie er der Online-Plattform Artsy verriet, behielt sich aber zugleich die Visualisierung seiner Arbeit vor.
Pfeifer lässt ganze Galaxien entstehen und begleitet die Stimmen mit hochauflösenden Aufnahmen
Das gesprochene Wort der Protagonisten wird so von hochauflösenden 4k-Aufnahmen begleitet, von Bildern religiöser Stätten, Artefakten oder auch Naturaufnahmen. Das Gezeigte orientiert sich jedoch klar am gesprochenen Wort. So berichtet beispielsweise eine Frauenstimme von den spirituellen Überzeugungen des Heilers Cristovão Brilho: Fünf geistige Entitäten, über 195 Milliarden Lichtjahre entfernt von der Erde, sollen dem Heiler Brilho mittels ihrer außerweltlichen Heilkräfte das Lindern körperlicher Leiden ermöglichen – beispielsweise Krebs, laut Brilho eine emotionale Krankheit, die aufgrund von Angst und Wut entstehe. Pfeifer lässt digital ganze Galaxien und Sternensysteme entstehen, während die Sprecherin die astrologischen Energien und deren Ursprung im Universum erläutert.
Mario Pfeifer, selbst Atheist, geht es nicht darum, sich mit den hier präsentierten Glaubensüberzeugungen zu identifizieren. Deutlicher meint man vielmehr die Beweggründe der religiösen Praktiken selbst ausmachen zu können: der Wunsch nach Linderung von Schmerzen, seien es körperliche Gebrechen oder auch Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen, die nach wie vor den Alltag Brasiliens bestimmen. Hiervon berichtet so exemplarisch Tata Katuvengeci: Vom Alltagsrassismus in jenem Land, das historisch gemeinhin als „größter Sklavenmarkt der Welt“ beschrieben wurde und in dem, als letztes amerikanisches Land, die Sklaverei erst 1888 abgeschafft wurde. Religion und Spiritualität als gesellschaftlicher Kitt also, die Versöhnung und Aufarbeitung ermöglichen?
„Corpo Fechado“ beschreibt den Zustand eines unverwundbaren Körpers
Die Begrifflichkeit „Corpo Fechado“, wortwörtlich „verschlossener Körper“, geht auf Vorstellungen afrobrasilianischer Religionen zurück und beschreibt einen Zustand, demnach der Körper mithilfe einer Reihe von Ritualen unverwundbar werden soll.
Die drei vorgestellten religiösen und spirituellen Überzeugungen ließen sich in diesem Sinne als Versuche zur Erlangung eines „Corpo Fechado“ auf gesellschaftlicher Ebene deuten – einer Gesellschaft, geschützt gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Ein Staat, der die weiße Flagge des Friedens als Banner hisst, wie es im Manifest von Xarlô an einer Stelle heißt. Das sozial- oder auch kulturanthropologische Interesse, das man in Mario Pfeifers „Corpo Fechado“ erkennen kann , lässt sich auch in seinen anderen Arbeiten entdecken.
In „Über Angst und Bildung, Enttäuschung und Gerechtigkeit, Protest und Spaltung in Sachsen/Deutschland“, einer neunstündigen Videoarbeit, in der neben Konfliktforschern und Journalisten unter anderem ein Pegida-Mitbegründer zu Wort kommt und ohne Zwischen- oder Nachfragen frei über Protestkultur und Politbewegungen spricht. Einem größeren Publikum wurde Pfeifer 2015 bekannt, als er in Zusammenarbeit mit der Hip-Hop-Gruppe Flatbush ZOMBiES das Musikvideo für deren Song „Blacktivist“ produzierte.
Als Lieblingsfilm hat sich Pfeifer den Film „El abrazo de la serpiente“ (dt. Der Schamane und die Schlange) des kolumbianischen Regisseurs Ciro Guerra aus dem Jahr 2015 ausgesucht. Inspiriert von den Tagebuchaufzeichnungen des deutschen Anthropologen und Amazonas-Reisenden Theodor Koch-Grünberg und den Schriften des US-amerikanischen Biologen Richard Evans Schultes, begleitet der Film die Reisen der Forscher mit Karamakate, amazonischer Schamane und letzter Überlebende seines Stammes. Vordergründig erzählt der Film in zwei ineinander verwobenen Zeitebenen – die Koch-Grünberg-Reise 1909, Evan Schultes Expedition 1940 – von der Suche der Forscher nach der halluzinogenen Pflanzenart Yakruna.
Diese soll beide von körperlichen und seelischen Gebrechen befreien. In den Erzählsträngen thematisiert „El abrazo de la serpiente“ teilnahmsvoll Auswirkungen von Kolonisation und Missionierung und die Suche nach der eigenen Identität.
Als erster kolumbianischer Film überhaupt für einen Oscar nominiert
In kontrastreichen schwarz-weiß Bildern fängt er beeindruckende Aufnahmen der nahezu magisch-anmutenden Landschaften des Amazonasgebietes ein. Gerade bei der Figur des Schamanen Karamatake wird Guerras einfühlsames Drehbuch und Regieführung deutlich: ein handelndes Subjekt mit all seinen Facetten bekommt der Zuschauer zu sehen, weder Staffage noch klischeebeladenes Objekt. Verdient wurde „El abrazo de la serpiente“ so als erster kolumbianischer Film überhaupt für einen Oscar nominiert, auf etlichen anderen Filmfestivals wurde der Film ausgezeichnet.