DOUBLE FEATURE LIV SCHULMAN
Liv Schulmans Videoarbeit L’Obstruction erzählt von unerfüllten Sehnsüchten und der Suche nach dem Sinn des Lebens. Und fragt, warum wir am Ende doch alleine sind.
Von Daniel UrbanEin Mann und eine Frau stehen in der prallen Mittagssonne einander gegenüber, getrennt nur durch die übergroßen Beine einer David-Statue. Die steinernen Gliedmaßen lassen zwar das direkte Blickfeld zwischen beiden Protagonisten frei, fungieren sonst aber als ein überaus effizienter wie auch artifizieller Raumtrenner. Die Frau beobachtet den Mann regungslos, abwartend. Der wirkt nervös, reibt sich die Augen, fängt plötzlich schüchtern zu tanzen und zu schnipsen an, gleich einer Übersprunghandlung, in der sich die kaum auszuhaltende Anspannung Bahn bricht.
Er scheint etwas mitteilen zu wollen, etwas anderes hält ihn aber zurück: „Da ist eine Blockade, ich weiß wirklich nicht, wie ich überhaupt anfangen soll“, murmelt er vor sich hin. Liv Schulman – 1985 in Paris geboren, in Buenos Aires aufgewachsen und nun in beiden Städten lebend und wirkend – platziert den Mann, gespielt vom Künstler Jean-Charles de Quillacq, in ihrer Videoarbeit „L’Obstruction“ (2017) Szene um Szene vor verschiedenen Statuen an öffentlichen Plätzen. Hindurch deren Formen versucht er seinen jeweiligen Gegenübern in vier verschiedenen Abschnitten, übertitelt mit „The Pharmaceutical Industry“, „Offer and Demand“, „Work, Anxiety“ und „Will, Regulations“, etwas zu berichten, das im Laufe der Arbeit immer verworrener und bizarrer anklingt.
Was passiert wenn sich eine Ameise und ein Elefant verlieben?
So ist da beispielsweise die Rede von einer Gruppe Baristas, die nach Ladenschluss am Arbeitsplatz intime Tanzeinlagen mit ihren Arbeitsutensilien aufführen und hierdurch ihre persönlichen Sehnsüchte wie zugleich auch einen gesellschaftlichen Klassenkampf zum Ausdruck bringen; oder aber die Geschichte von einer Ameise, die mit ihrer großen Liebe, einem Elefanten, intim werden möchte, und die sich über die physikalische Machbarkeit eines solchen Aktes Gedanken macht. Der Protagonist verstrickt sich in seinen Erzählungen, beklagt sich über die stechende Sonne und die Hitze, verliert wieder den Faden, während die ihm gegenüberstehende Person belustigt, verstört oder auch teilnahmslos zuhört, ohne jemals ein Wort von sich zu geben.
„Wer zu mehr als 12 Personen sprechen kann, ist ein Diktator“, paraphrasierte einst der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit den französischen Regisseur Jean-Luc Godard. Der sprechende Akteur hat in „L’Obstruction“ schon deutliche Probleme, nur eine einzige Person direkt zu adressieren. Oder ist er sich dessen bewusst, dass das tatsächliche Publikum deutlich größer ist, wie sein immer wieder direkt in die Kamera gerichteter Blick, das Durchbrechen der vierten Wand, vermuten lässt?
Die durch den Sprechakt formulierten Gedanken des Mannes setzt Schulman durch die Zwischentitel in einen bedeutend größeren Zusammenhang, als es der unfokussierte und teils ins Absurde abschweifende Vortrag selbst vermuten ließe. Und so treten merklich die spezifischen Umstände der öffentlichen Rede selbst in den Vordergrund: der ungewöhnliche Ort der Ansprache, die tatsächliche oder imaginierte Reaktion seiner Zuhörer. Jene externen Faktoren setzen beim Protagonisten interne Vorgänge in Gang, die sich sowohl in seiner Körperhaltung, seinem Verhalten als auch seinem Gesicht Ausdruck verschaffen.
Wer zu mehr als 12 Personen sprechen kann, ist ein Diktator.
Paranoia, Unbehaglichkeit und Angst manifestieren sich im Gebaren des Hauptdarstellers und verweisen so vielleicht auf die Unmöglichkeit öffentlicher Ansprache überhaupt. Das geschriebene Wort, ein ausformulierter Dialog – ob nun zwischen zwei Personen oder als inneres Zwiegespräch – sei immer der Ausgangspunkt ihrer Arbeiten, verriet Liv Schulman unlängst der Onlineplattform 6x6project. Mit diesen Ideen kommen alsbald neue Assoziationsketten, die aber dann oft nur wieder in zweifelhaften Theorien oder gar depressiver Entfremdung münden können, so die Künstlerin weiter. In der Videoarbeit „Polis-Polis“ (2018) tauschen sich so beispielsweise Polizisten in einem Gesprächskreis über ihre Gedanken rund um ihre Uniformen, um Sexualität, Religion und Arbeit aus.
In der Mini-TV-Serie „Que Faire?“ (2017) inszeniert Schulman Amateur-Schauspieler als Gruppe von TV-Drehbuchautoren, die im Dialog miteinander ihre Schreibblockade thematisieren und zu überwinden suchen. In „L’Obstruction” bleibt zuletzt nur ein vollkommen dehydrierter, auf dem Boden liegender, ausgelaugter Mann zurück. Die Gedanken mögen frei sein, doch wer kann sie erfassen?
Die Mutter existiert nur als eine Art Stimmkörper
Eine zumindest erschwerte Kommunikation begegnet uns auch im von Liv Schulman ausgesuchten Spielfilmdebüt „Adiós Entusiasmo“ des kolumbianischen Filmemachers Vladimir Durán. Die Geschwister Axelito, Antonia, Alejandra und Alicia leben mit ihrer Mutter in einem großstädtischen Appartement, gleich einer Höhle, in die nie Tageslicht einzudringen scheint. Das Verhältnis der Geschwister untereinander ist innig, physisch und psychisch nahezu distanzlos. Die Mutter hingegen existiert im gemeinsamen Wohnraum nur als eine Art Stimmkörper: Eingeschlossen in einem Zimmer hinter dem Badezimmer hat sie nur verbalen Kontakt mit ihren Kindern, Lebensmittel und Medikamente werden ihr durch ein kleines Fenster durchgereicht.
Die Einsperrung wird nie explizit begründet – das „Arrangement“, wie es an einer Stelle heißt, scheint mit der psychischen Verfasstheit der Mutter zusammenzuhängen –, ganz selbstverständlich wird der Zuschauer in die Lebensrealität der Familie eingeführt. Formal übersetzt Durán das Gefühl der Eingeschlossenheit konsequent: Die Kamera verlässt selten die Wohnung, und der Film wurde im Ultra-Wide Format von 32:9 produziert, das ursprünglich für IMAX-Kinos entwickelt wurde.
Alte Konflikte brechen auf und treiben die innige Gruppe nach und nach auseinander
Das ist verglichen zum heutzutage in Kinofilmen standardmäßig verwendeten Cinemascope-Format von 2,35:1 deutlich geeigneter für in die horizontale Weite gehende Aufnahmen, bewirkt aber in „Adiós Entusiasmo“ mit seinen nahezu durchgängigen close-up-Einstellungen genau das Gegenteil: klaustrophobische Enge. So distanzlos und intim die Kommunikation zwischen den Familienmitgliedern auch scheinen mag, die tatsächliche Vereinzelung der Protagonisten bricht sich bei einer Geburtstagsfeier für die Mutter nahezu gewaltvoll Bahn, alte Konflikte brechen auf und treiben die innige Gruppe nach und nach auseinander. Am Ende bleiben nur körperlose Stimmen zurück.