DOUBLE FEATURE HAMZA HALLOUBI
Vom Filmenden in die Rolle des Gefilmten: Der Künstler Hamza Halloubi transformiert in seinen Filmen immer wieder die Position des Betrachters.
Von Daniel UrbanEs ist die Zeit der blauen Stunde, der Augenblick nach Sonnenuntergang und vor Eintritt der nächtlichen Dunkelheit. Ein Mann steht mit dem Rücken zur Kamera, hält sich mit einer Hand an einer hohen Brüstung fest. Sein Blick scheint in die Ferne zu schweifen, auf das Panorama einer Stadt, die sich vor ihm ausbreitet.
Vom linken Bildrand ragt eine schwarze Rauchfahne in den vermeintlich friedlich anmutenden Ausschnitt hinein und scheint, gleich einem Schnitt, den blauen Abenddämmerungshimmel mit düsterem Schwarz von der Stadt zu trennend. Unerwartet dreht sich der Mann plötzlich um und entdeckt die ihn filmende Kamera, die daraufhin schreckhaft weggedreht und alsdann auf dem Boden platziert wird. Einige Augenblicke später sehen wir nur noch den mutmaßlichen Kameramann, wiederum von hinten, in die andere Richtung davonlaufen.
Sind hier die Auswirkungen eines Militäranschlags zu sehen?
Der 1982 in Tangier, Marokko geborene Künstler Hamza Halloubi gibt dem Betrachter in seinem knapp zweiminütigen Film „With Michael in Jerusalem“ (2015) nicht besonders viele Anhaltspunkte an die Hand, weckt gerade hierdurch jedoch besondere Aufmerksamkeit. Der Titel verortet das Geschehen nach Israel, die im Film zu sehende Rauchfahne ruft zur Spekulation auf: Gab es einen Anschlag? Sind die Auswirkungen eines Militärschlags zu sehen? Oder handelt es sich um einen Waldbrand? Das plötzliche Entdecken der Kamera, durch die wir den Mann noch kurz zuvor beobachtet haben, befremdet und enttarnt den eigentlich unbeteiligten Betrachter als Voyeurist, der im Folgenden dann vom Kameramann allein zurückgelassen wird, nachdem dieser das Setting verlassen hat.
Die Position des Betrachters stellt Halloubi immer wieder zur Disposition: In „With Geo“ (2016) filmt er den amerikanischen Performance-Künstler und Musiker Geo Wyeth. Der singt, ohne jegliche musikalische Begleitung, leicht im Atelier hin und her tänzelnd ein Lied und fokussiert dabei eindringlich die Kamera. Immer näher kommt er dieser, bis sein Gesicht schließlich das gesamte Bild – offensichtlich eine Handykamera, die im vertikalen 16:9 Format filmt – ausfüllt. Plötzlich dreht sich die Kamera um 180 Grad und wir sehen Hamza Halloubi selbst, der Filmende wird zum Gefilmten.
Der Filmende wechselt in die Position des Gefilmten
Ganz ähnlich in „Travelling“ (2016): Eine junge Frau betrachtet einen Fotoband. Wie in „With Michael in Jerusalem“ schaut diese plötzlich auf und direkt in die Kamera, die sich daraufhin weiter um die eigene Achse dreht und schließlich den Künstler selbst, Hals über Kopf, zeigt. Hamza Halloubi transformiert in seinen Arbeiten so nicht nur die eigene Position, die des off-screen Autoren zum on-screen Akteur, sondern verweist auch auf die Diskrepanz zwischen seinem und dem Betrachter-Blickwinkel: Der Zuschauer wird zur dritten Variabel einer Gleichung, dessen Standpunkt von dem des Künstler eindeutig divergiert.
Eine Auseinandersetzung mit der Verschiedenheit individueller Betrachtungsweisen interessiert Hamza Halloubi auch in anderen Arbeiten: In „Nature Morte“ (2013) beschäftigte sich der Künstler ausgiebig mit den Stillleben des italienischen Malers Georgio Morandi und stieß ein Nachdenken über den politischen Gehalt jener Arbeiten an. In „Passage“ (2015), das wie auch „With Michael in Jerusalem“ im Rahmen einer Artist-in-Residency in Jerusalem entstand, nähert sich Halloubi der weltberühmten Al-Aqsa-Moschee. Die Kamera zeigt jedoch nur das Innere seiner Jackentasche, dem Betrachter somit also den immanenten Manipulationsgehalt des gefilmten Bildes verweigernd.
Einblicke in das rege Treiben Teherans, halsbrecherischer Straßenverkehr inklusive
Als Lieblingsfilm hat sich Hamza Halloubi „Ayneh“ (dt. „Der Spiegel“) vom iranischen Regisseur Jafar Panahi ausgesucht. In dem 1997 veröffentlichten Film begleiten wir die Erstklässlerin Mina (Mina Mohammad Khani) nach Schulschluss auf dem Nachhauseweg: Vergeblich wartet das junge Mädchen auf ihre Mutter, die sie jeden Tag von der Schule abholt. Als diese nicht auftaucht, macht sich Mina schließlich – teils mit Hilfe von Erwachsenen, teils auf sich allein gestellt – auf den Weg nach Hause. „Ayneh“ spielt sich in Echtzeit ab und gibt einen überaus interessanten, dokumentarisch-anmutenden Einblick in das rege Treiben der Metropole Teheran, halsbrecherischer Straßenverkehr inklusive.
Etwa zur Hälfte des Films passiert etwas vollkommen Unerwartetes: Mina durchbricht mit einem Mal die sogenannte vierte Wand, blickt also direkt in die Filmkamera und proklamiert, dass sie keine Lust mehr habe, in dem Film mitzuspielen. Der Blick wird nun freigegeben auf das komplette Filmteam samt Regisseur Jafar Panahi, das fortan versucht, das junge Mädchen zum Dreh einer weiteren Szene zu überzeugen.
Plötzlich durchbricht die Hauptdarstellerin die vierte Wand
Die Handlung der ersten Hälfte des Films wiederholt sich erneut, nun allerdings als vermeintliche Dokumentation, in der sich die nun deutlich resolutere Mina auf eigene Faust auf den Nachhauseweg macht und hierbei heimlich vom Kamerateam gefilmt wird. Panahi arbeitet in „Ayneh“ geschickt die dokumentarischen Anteile eines Film-Dramas und im Umkehrschluss die dramatischen Elemente einer Dokumentation heraus, im selben Zug wird der Betrachter mit seinen eigenen Vorstellungen und Erwartungshaltungen hinsichtlich einer vermeintlichen Arthouse-Produktion konfrontiert. Ebenso wie Hamza Halloubi in seinen Arbeiten nutzt so auch Jafar Panahi in „Ayneh“ den Moment der Überraschung, um den Zuschauer von dessen gewohnter Konsumentenhaltung aus aktiv mit einzubeziehen.