In Zeiten von alternativen Fakten erscheinen die Filme von Damir Očko aktueller denn je: Sie erinnern an Bertolt Brechts Aufruf zur Wahrheit und enthüllen die Inhaltsleere politischer Slogans.

Während sich zwei Ringer hör- und sichtbar versuchen zu bezwingen, wird aus dem Off in Damir Očkos „Dicta II“ eine endlose Wortkette von sogenannten „safe words“ verlesen: „Red, ceasefire, Gemüse, Mayday, Bazinga, Kassetten-Player, Pakistan, Taco, Justin Bieber, Pistols, butterfuck, green, safeword, Schroedinger, Teletubbi, lactose, chiffon, Tesla, marry me, Oppenheimer, jelly bean, pineapple, Kaugummi, lawyer, stop, attack attack”. Hauptsächlich bekannt aus BDSM-Praktiken, garantiert das Safeword den sofortigen Abbruch der aktuellen Handlung, sobald das vorher vereinbarte Wort ausgesprochen wird.

Für jenes Sicherheitsnetz hat Očkos mit den beiden Ringern ein Bildpendant gefunden, dass passender nicht sein könnte: Im Submission-Wrestling, einer speziellen Ausprägung der Martial Arts, versuchen die Kontrahenten, ihren jeweiligen Gegner durch diverse Haltegriffe zur Aufgabe zu zwingen. Gelingt dies, zeigt der unterlegene Part sein Erliegen, die „submission“, durch den „tap out“ – ein mehrmaliges Klopfen der Hand –, und der überlegene Gegner stoppt den schmerzhaften Aufgabegriff. Die kontrolliert ausgeübte Gewalt fokussiert die Kamera in ihren unzähligen Close-ups, die das immens physische Geschehen, das wilde Durcheinander der verschwitzt aufeinander klatschenden Körper, für den Zuschauer genauso erfahrbar macht wie der Wortschwall auf der Tonebene.

Riesige, aufge­malte Augen star­ren den Betrach­ter an

„Dicta I“ (2017) und „Dicta II“ (2018) der noch nicht abgeschlossenen, gleichnamigen Werkreihe präsentiert der 1977 in Zagreb geborene Damir Očko nun im Double Feature. In „Dicta I“ – Plural des lateinischen Dictum – hatte sich der Künstler an Berthold Brechts 1935 erschienener Schrift „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“ orientiert, die dieser unter dem Eindruck des Nationalsozialistischen Regimes verfasst hatte.

Damir Očko, Dicta II (safewords), 4k transfered to full HD, 2018, Courtesy the artist
Damir Očko, Dicta II (safewords), 4k transfered to full HD, 2018, Courtesy the artist

DAMIR OČKO. INTERVIEW

What is for Real, what Fake News?

Brechts Text richtete sich in erster Linie an die in Deutschland verbliebenen Schriftsteller und forderte, dass „der Schreibende die Wahrheit schreiben soll in dem Sinn, dass er sie nicht unterdrücken oder verschweigen und dass er nichts Unwahres schreiben soll. Er soll sich nicht den Mächtigen beugen, er soll die Schwachen nicht betrügen.“ Ein Teil der Auflage wurde in Deutschland als Tarnschrift unter dem Titel „Satzungen des Reichsverbandes Deutscher Schriftsteller“ verbreitet.

In „Dicta I“ trägt ein theaterhaft geschminkter Mann Bruchstücke aus Brechts Schrift vor. Riesige, aufgemalte Augen starren den Betrachter an, während die tatsächlichen Lider permanent verschlossen bleiben. Brechts eindringliche Worte ließ Damir Očko via Google Translate übersetzen. Den Worten zu folgen ist so kaum möglich, werden sie doch bruchstückhaft vorgetragen und die Syntax so ins Unverständliche verfremdet.

Er soll sich nicht den Mäch­ti­gen beugen, er soll die Schwa­chen nicht betrü­gen.

Bertoldt Brecht

Die gesprochenen Sätze erinnern an politische Slogans, deren ursprünglicher Inhalt durch die konstanten Wiederholungen wie auch durch die auf einen dramatischen Effekt abzielende Präsentation immer inhaltsleerer werden. Der Künstler hatte sich, wie er kürzlich im Interview mit dem Metal Magazine erklärte, für die Arbeiten an Dicta I und II Techniken des Dadaismus zu Nutze gemacht. Im politischen Sprech, so Očko weiter, ließe sich eine Art von Mimikry ausmachen, mittels der im Zeitalter von „alternative facts“ unwahre oder auch sinnlose Behauptungen als logisch und wahrhaftig präsentiert werden.

Nahaufnahmen von Körpern und Augen verstärken das Gefühl der Ratlosigkeit

Jene diffizile Dimension der Sprache blitzt dann auch in „Dicta II“ auf, in dem einzelne Codes eine Botschaft in sich tragen, die ihrer eigentlichen Bedeutung geradezu entgegensteht – ein „attack attack“ als Safeword, beispielsweise. Die in beiden Arbeiten genutzten Nahaufnahmen von Körpern und eindringlichen Augen verstärken das Gefühl der Ratlosigkeit, das sich beim Zuschauer einstellt. Die klärende Totale, die einen objektivierenden Blick von außen auf das Geschehen ermöglichen würde, bleibt aus.

Damir Očko, Dicta I, 4k transfered to full HD, 2017, Courtesy the artist
Damir Očko, Dicta I, 4k transfered to full HD, 2017, Courtesy the artist

Als weiteren Film wird Damir Očko Frank Simons Dokumentarfilm „The Queen“ aus dem Jahr 1968 präsentieren. Der Film lief seinerzeit in der Sektion „Semaine de la Critique“ des Cannes-Festivals und wurde erst kürzlich von Kino Lorber in einer neurestaurierten Fassung wiederveröffentlicht. „The Queen“ begleitet die Organisatoren und Teilnehmer des „Miss All-American Camp Beauty Pageant“-Wettbewerbs 1967 in New York.

Das Leben der Dragqueen-Szene zwei Jahre vor den Stonewall-Unruhen

Jack Doroshow, besser bekannt unter dem Dragqueen-Namen Flawless Sabrina, kommentiert aus dem Off die Entstehungsumstände des Wettbewerbs, während die Kamera beiläufig die Teilnehmer zeigt: Beim Anreisen nach New York, bei Vorbereitungen im gemeinsam bezogenen Hotel, beim Austauschen von Alltagserfahrungen, bevor schließlich der Wettbewerb selbst zu sehen ist. „The Queen“ ist ein beeindruckendes Zeitdokument, das einen Einblick in das Leben der Dragqueen-Szene gewährt; zwei Jahre vor den Stonewall-Unruhen, bei denen sich Homo- und Transsexuelle erstmals massenhaft den willkürlichen, gewalttätigen Razzien der Polizei widersetzten. 

Frank Simon, The Queen, 1968, Filmplakat, Image via aintitcool.com

In einer Zeit, in der Homosexualität seitens der American Medical Association noch als psychische Störung klassifiziert wird und TV-Sendungen wie „RuPaul’s Drag Race“ undenkbar scheinen, sieht man, wie sichdie Teilnehmer des Schönheitswettbewerb in anrührenden Szenen ungezwungen über ihren Lebensalltag austauschen: Kleinstadterfahrungen; die Beziehung zu den Eltern nach dem Comingout; Überlegungen zur eigenen Geschlechtsidentität; die homophobe Ausmusterung vom Militär, obgleich man doch seinem Land dienen möchte. Der Wettbewerb selbst, bei dem im Publikum neben Andy Warhol auch Pop Art-Gründungsvater Larry Rivers oder Schriftsteller George Plimpton zu sehen sind, ist derweil ein an Lebensfreude strotzendes Spektakel, eine kleine Oase in einer Welt, in der ein Ende der Diskriminierung noch in weiter Ferne liegt.

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