Im Double Feature verhandelt die britische Künstlerin Beatrice Gibson den Wert des Geldes.
Wie ging das noch bei der Diskurs-Popcombo Ja, Panik? „Nothing's about me or you honey, It's all about the angst and the money”. Neben den offensichtlichen Implikationen dieser Zeilen verweisen sie im Weiteren auch und vor allen Dingen auf die Wert-Eigenschaft des Geldes, welche den Dingen und Menschen einen ebensolchen zuschreibt und so alles und jedes in Zahlen vergleichbar macht.
Doch was genau soll eigentlich ein Wert sein? Wie genau schreibt man einem Ding gleichwelcher Art einen Wert zu? Welche Form von Abstraktion ist hierzu nötig? Ökonomen haben sich hierüber seit jeher den Kopf zerbrochen und verschiedene Wertetheorien aufgestellt, wobei die von Karl Marx heute eine der berühmtesten darstellt.
Solo for a rich man
In ihrer Video-Arbeit „Crippled Symmetries“ (2015) setzt sich die britische Künstler Beatrice Gibson (*1980) mit all dem auseinander: Geld, Abstraktion, Musik. Musik? Zu Beginn hört man den Cellisten Anton Lukoszevieze eine Anekdote erzählen: Der litauische Künstler und Mitbegründer der Fluxus-Bewegung George Maciunas sei nach Amerika gegangen und habe versucht, Geld mit Kunst zu machen – and he failed.
Im Anschluss hören wir eine Komposition von Maciunas: „Solo for a rich man“. Anstelle klassischer Musiknoten notierte der Künstler abstrakte Regieanweisungen: shaking coins, dropping coins, striking coins, wrinkling paper money, fast ripping of paper money, slow ripping of paper money, striking paper.
Geiz, Hoffnung, Begierde, Vertrauen
„Crippled Symmetries“ verwebt verschiedene Handlungsstränge miteinander. Die Arbeit ist – wie Gibsons vorgegangene Arbeiten „Solo for a rich man“ (2015) und „F for Fibonacci“ (2014) – inspiriert von William Gaddi’s Buch „JR“, einer Satire, in der ein Junge und ein Komponist ein Finanzimperium aufbauen. In „Crippled Symmetries“ scheinen der Cellist Anton Lukoszevieze und ein namenloser Junge die Charaktere des Buches zu repräsentieren - die Kamera begleitet sie beim Herumfahren in einer Limousine, beim Einkaufen in einem Supermarkt, beim Musizieren –, außerdem werden Mitschnitte eines mehrtägigen Musikworkshops gezeigt, den der Musiker für Kinder veranstaltet hatte.
In der Londoner Innenstadt stehend diskutiert Lukoszevieze schließlich in wiederkehrenden Szene mit einem Banker (Oliver Botes) über Geld, Musik und natürlich den Wert an sich. Was ist die prägende Eigenschaft von Geld? Exchanging, sagt der Musiker – handeln, austauschen. Musik sei jedoch etwas Anderes, etwas Abstraktes. Der Banker lenkt die Diskussion auf den Wert von Geld: Geld sei etwas sehr schwammiges und im Kern nur eine Repräsentation von etwas sehr Menschlichem: Geiz, Hoffnung, Begierde, Vertrauen. Genau wie Musik, fügt der Finanzexperte noch hinzu.
In diesen Spätkapitalistischen Zeiten
Und in der Tat: Geld ist nicht nur Papier, ihm wohnt ein zugeschriebener Wert inne, der in die Waren, die wir mit dem Geld bezahlen, überzugehen scheint. Der unsichtbare, also okkulte, Wert ändert seine Erscheinungsform nach Belieben. Das gleiche könnte man auf die Kunst und hier Musik im Speziellen anwenden: beim Komponieren werden Gedanken und Empfindungen des Künstlers in Notationen umgewandelt, diese stellen für den Interpreten eine Handlungsanweisung am Instrument dar, die wiederum bei Aufführung eine Materialisierung der ursprünglichen Intention des Komponisten erschaffen.
In Zeiten, in denen allenthalben von Spätkapitalismus und Neoliberalismus die Rede ist, scheint Gibson in „Crippled Symmetries“ auf die Grundvoraussetzungen des modernen Lebens zu referieren, die auch im kulturellen Wirken der Menschheit tief verankert ist: die Abstraktion, als Übertragung und Vermittlung eines bestimmten Gehaltes von einer Bedeutungsebene auf die andere.
Das Projekt ist eine Katastrophe
Als Lieblingsfilm hat sich Beatrice Gibson für „Symbiopsychotaxiplasm: Take One“ (1968) des US-amerikanischen Dokumentarfilmers William Greaves entschieden. Der experimentelle Film dokumentiert vordergründig Schauspieler beim Proben. „Symbiopsychotaxiplasm: Take One“ entpuppt sich jedoch schnell als eine Meta-Dokumentation, bei der Greaves mithilfe diverser Kameras unterschiedliche Erzählebenen einführt: Eine Kamera filmt so die Interaktion der Schauspieler, die zweite Kamera inkludiert in ihren Aufnahmen die Anweisungen des Regisseurs und das erste Kamerateam, während die dritte Kamera wiederum das zweite Filmteam und das sie umgebende Tohuwabohu, also das Set als Ganzes und die Schaulustigen, einfängt.
Greaves treibt sein Spiel der Vermischung von Dokumentation und Schauspiel auf die Spitze, indem er sein Filmteam bittet, Diskussionen aufzuzeichnen, in denen sich die Techniker und Regieassistenten über den Regiestil, Inhalt und Form des Filmes streiten – natürlich in Abwesenheit des Regisseurs. Das Projekt sei eine Katastrophe und Greaves ein Sexist, der keine Ahnung habe, was er da überhaupt mache, heißt es da von Teilen des Filmteams, während andere wiederum einen höheren Sinn in Greaves` Arbeitsweise auszumachen meinen.
Schauspielern als Alltagsphänomen
Die Meta-Dokumentation blieb lange Jahre ein unbekannter Kritiker-Liebling, niemand wollte den Film verlegen, und so wurde er nur sporadisch in Museen und bei von Greaves selbst veranstalteten Screenings gezeigt. 1993 bekam Steve Buscemi „Symbiopsychotaxiplasm“ auf dem Sundance-Festival zu sehen und sorgte im Folgenden gemeinsam mit Greaves und Steven Soderbergh für die Veröffentlichung des Films, im Jahr 2003 wurde gar ein Sequel produziert. Zum Glück – möchte man rufen: „Symbiopsychotaxiplasm: Take One“ ist ein faszinierendes Dokument, seiner Produktionszeit um Jahre voraus und reflektiert nicht nur Produktionsbedingungen und Möglichkeiten von filmischen Dokumentationen überhaupt, sondern zugleich das Schauspielern als gesellschaftliches Alltagsphänomen, weit vor Zeiten des Reality-TVs und der massenmedialen Selbstinszenierung des Individuums.