Manfred Niekisch, Direktor des Frankfurter Zoos, liebt seine Tiere und setzt sich für Tier- und Naturschutz ein. Bei einem Rundgang durch die Ausstellung DIORAMA loten wir die Grenzen zwischen einem Zoogehege und einer Kunstinstallation aus.
„Diorama ist für mich ein dreidimensionales Dia. Es ist eine Momentaufnahme einer schön gemalten Landschaft mit einer idealisierten Tierdarstellung. Auf mich wirkten Dioramen immer relativ tot, da alles erstarrt und interpretiert ist“ sagt Prof. Dr. Manfred Niekisch, der seit 2008 der Direktor des Frankfurter Zoos ist. Daneben ist er auch lehrend tätig: Seit 2010 hat er am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität der Goethe-Universität Frankfurt am Main die Kooperationsprofessur für Internationalen Naturschutz inne.
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Seit seiner Kindheit ist Niekisch mit Dioramen vertraut, die er damals im Forschungsmuseum Koenig in Bonn gesehen hatte. „Mir haben die lebenden Tiere immer besser gefallen, als die ausgestopften.“ Doch er schwärmt für ein Diorama im American Museum of Natural History in New York mit einer Gorilla Gruppe, die von dem Afrikaforscher Carl Akeley präpariert und ausgestopft wurde. „Wenn man über Gorillaschutz redet, muss man den Namen Carl Akeley erwähnen. Doch leider ist er heute so gut wie vergessen.“
Das Tier und seine Persönlichkeit
Carl Akeley war es, der zwar Berggorillas schoss, um sie auszustopfen. Doch mit der Zeit erkannte er die Notwendigkeit ihrer Arterhaltung, erstellte die erste Studie über die Lebensräume der Gorillas und errichtete für sie Schutzgebiete. Auch in der Ausstellung Diorama in der SCHIRN sind Werke von Carl Akeley zu sehen, unter anderem eine Totenmaske und eine Bronzebüste eines Gorillas.
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Niekisch steht lange vor der Vitrine mit den Artefakten von Akeley. Es ist spürbar, dass er gerade an dessen Berggorilla-Diorama denkt – und an Matze, einen Gorilla aus dem Frankfurter Zoo. Dieser Gorilla fühlte sich dort so wohl, dass er weit über die normale Lebenserwartung seiner Artgenossen hinaus lebte. Altersbedingt musste Matze jedoch leider eingeschläfert werden. „Das war für uns alle ziemlich heftig. Wenn ein Tier stirbt, das auf eine bestimmte Art und Weise eine Persönlichkeit war, dann herrscht bei uns im Zoo auch Trauer.“
Haben Tiere eine Würde?
Doch Matze lieferte nach seinem Tod einen wichtigen Beitrag für die Wissenschaft. „Vorher wusste man zum Beispiel nicht, wie groß der Spinalkanal eines ausgewachsenen Gorillas ist.“ Viele Teile von ihm liegen jetzt im Senckenberg Forschungsinstitut, andere Teile wiederum befinden sich als Vergleichsmaterial in pathologischen Instituten. „Aber ausgestopft werden unsere Tiere nie.“ erläutert Niekisch und ergänzt „Von Matze haben wir eine schöne Bronzebüste des Künstlers Wolfgang Weber.“ So bleibt Matze unvergessen.
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Ein paar Schritte weiter stehen wir vor einer Vitrine, die die Form eines überdimensionalen Vogelhäuschens hat. „Happy Family“ steht darüber, was angesichts der sich darin befindenden präparierten Vögel und Säugetiere, darunter Kaninchen, Eichhörnchen, Mäuse, ein Affe oder eine Katze, etwas grotesk und unheimlich wirkt. Der englische Tierpräparator Walter Potter schuf Mitte des 19. Jahrhunderts neben diesem Tableau weitere kuriose Szenen – von der Häschenschule bis zur Katzenhochzeit – in denen er dem Ausdruck der Tiere eine skurrile, menschliche Note verlieh. Die tieruntypischen Szenerien geben dem Betrachter die Illusion eines perfekten, harmonischen Miteinanders in der Fauna, jedoch zu Lasten einer würdevollen Präsentation der tierischen Protagonisten. Haben Tiere eigentlich eine Würde? „Wenn wir sie ihnen geben, dann schon“ antwortet Niekisch.
Die erste Tierfotografie
Im gesamten Ausstellungsraum herrscht überwiegend Dunkelheit. Nur die einzelnen Dioramen und ihre illusionistischen Welten sind mit gezielter Lichtdramaturgie in Szene gesetzt und geben so eine Vorstellung von Louis Jacques Mandé Daguerres ersten Dioramen. Er war Bühnenbildner und Maler und konzipierte 1822 eine mit Lichteffekten belebte multimediale Schaubühne, die den Ausgangspunkt für die darauffolgenden Präsentationsformen der Schaukästen aus Glas für Naturkundemuseen markierte.
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Doch der findige Daguerre gilt nicht nur als Vater des Dioramas sondern auch als Begründer des fotografischen Verfahrens, das er 1839 mit der Daguerreotypie perfektionierte. Niekisch berichtet: „Meine Recherche hinsichtlich der ersten Tierfotografien hat ergeben, dass die ältesten Fotografien von Reptilien aus dem Ursprungsland der Fotografie Frankreich stammen und aufgrund der langen Belichtungsdauer, die die Fototechnik im 19. Jahrhundert beanspruchte, nur ausgestopfte Tierexemplare zeigen konnten.“
Nachts im Zoo
Das Licht als Gestaltungselement, wie es in der Diorama Ausstellung zur Geltung kommt, findet sich in ähnlicher Form auch in der Frankfurter Zoolandschaft wieder. Das kann man im Exotarium, im Grzimekhaus, einem der größten Nachttierhäuser Europas und vermutlich der Welt, oder bei einer nächtlichen Führung durch den Zoo erleben. Dabei kann es dann schon vorkommen, dass man Tiere spielen sieht, wie man sie sonst nie erlebt hat oder Tiere einfach über den Weg rennen, die sich am Tag nicht zeigen. „Das ist eines der schönsten Privilegien, abends oder nachts durch den Zoo zu gehen, wenn keiner mehr da ist.“
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Der zweite Ausstellungsabschnitt beginnt mit Tierdioramen von Rowland Ward, der Anfang des 20. Jahrhunderts die Kunst der Taxidermie vervollkommnete, indem er Tiere in spektakulären, dramatischen Szenen darstellte und somit das Ansinnen des Dioramas hin zu einer eher spektakulären Inszenierung vorantrieb. Niekisch schaut lange auf den Buller-Albatros, den Ward 1904 präparierte und der mit seinen ausgebreiteten Flügeln den Raum des querformatigen Schaukastens vollkommen ausfüllt.
Von der Evolution rausgeschmissen
Niekisch gefällt es nicht, dass der Albatros damals so eingezwängt wurde und sogar dessen Schwanzfedern gestutzt wurden, damit er ins Diorama passt. Im Frankfurter Zoo wäre so etwas undenkbar: „Dass sich die Tiere wohlfühlen, steht in unserem Zoo im Vordergrund.“ Dafür werden auch Sichteinschränkungen für den Besucher in Kauf genommen. Bei dem zweiten Diorama von Rowland Ward, das einen Leoparden zeigt, der gerade einen Buschbock anfällt, bemerkt Niekisch mit einem Augenzwinkern: „Eine Großkatze, die sich beim Jagen so blöd anstellt, die wäre wahrscheinlich von der Evolution schon längst rausgeschmissen worden.“
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Eingetaucht in Dunkelheit begegnet uns im letzten Ausstellungsraum eine minimalistische Vitrine, die an museales Zurschaustellen erinnert und die wiederum ein Terrarium mit einem lebenden Axolotl-Pärchen beherbergt. Diorama, Vivarium, Aquarium oder Theaterszenerie? Der Raum ist eine nicht näher bezeichnete Landschaft, in der die Idee eines Dioramas neu überdacht wird. Der Künstler Mathieu Mercier geht mit dieser Installation über das Illusionsprinzip des Dioramas hinaus.
„So eine Präsentation wäre zwar im Zoo auch möglich, jedoch ist das nicht erstrebenswert. Hier wird nichts vermittelt und wir erfahren nichts über die Tiere. Das ist eine Kunstinstallation, aber nichts für unseren Zoo.“ Ob sich die Axolotls in dieser Kunstinstallation wohlfühlen? „Schwer zu sagen“, meint Niekisch, „das Seelenleben eines Axolotls erschließt sich mir nicht auf Anhieb.“ Wir einigen uns darauf, dass es ihnen gut geht und verabreden uns auf ein nächstes Treffen im Zoo.
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