DIE FRAUENFRAGE
Braucht man Ausstellungen wie die STURM-FRAUEN, um die Bedeutung der Frauen in der Kunst zu verdeutlichen? Eine Untersuchung auf dem SCHIRN MAGAZIN.
Von Lisa BeisswangerFeministische Kunstgeschichte und Gender Studies sind out, da sie sich inzwischen in der Phase ihrer eigenen Historisierung befinden. Das schrieb bereits vor fünfzehn Jahren die Kunstprofessorin Beate Söntgen. Wer feministische Themen auf die Tagesordnung hebt, riskiert nicht nur das Gähnen des Publikums sondern auch den Vorwurf, genau das Gegenteil des Gewünschten zu erreichen, nämlich durch die Thematisierung erst recht neue Gräben auszuheben. Nun tangiert die STURM-FRAUEN Ausstellung geradezu alle zentralen Themen der feministischen Kunstgeschichte und wirft erneut Fragen nach dem angemessenen Umgang mit Genderthemen im Ausstellungskontext auf: Warum hat es keine bedeutenden Künstlerinnen gegeben [fragte 1971 Linda Nochlin in ihrem gleichnamigen Aufsatz]? Ist Kunst von Frauen anders als die von Männern? Darf das Geschlecht ein Auswahlkriterium für Ausstellungen sein? Sind diese feministischen Fragen nicht endlich einmal passé? Die Ausstellung STURM-FRAUEN entgegnet darauf implizit, dass dies keineswegs der Fall sei. Dabei könnten gerade aus feministischer Perspektive einige Aspekte der Ausstellung auch durchaus kritisch betrachtet werden: Brauchen wir heute wirklich noch Ausstellungen mit einer „Frauenquote“? Warum finden sich gerade in einer Ausstellung über Künstlerinnen solche ausführlichen Darstellungen von Beziehungsgeschichten, die schon fast einem Gala-Sonderheft zum Expressionismus gleichen? Wie kann es sinnvoll sein, einen Mann (Herwarth Walden) zum Zentrum einer Ausstellung zu machen, die sich doch mit den STURM-Frauen beschäftigen soll? Ein Erklärungsversuch.
Die hundert Prozent Quote
Das Ausstellungskonzept sieht vor, nur die am STURM beteiligten Frauen zu zeigen. Das entspricht einer Frauenquote von hundert Prozent. Ein ähnliches Konzept hat sich bereits mit der erfolgreichen Ausstellung "Impressionistinnen" in der SCHIRN bewährt. Aber auch andere große Häuser setzten auf die hundert Prozent Quote: das Centre Pompidou mit seiner Sammlungspräsentation „elles@centrepompidou“ 2009-2011 oder das MoMA mit seiner monumentalen Publikation „Modern Women“ sind nur zwei prominente Beispiele. In Washington D.C. gibt es sogar ein ganzes National Museum of Women in the Arts. Das Ziel dieser Konzepte ist klar: „empowerment“, also eine Stärkung der Position von Künstlerinnen in einer männerdominierten Kunstwelt. Solchen wohlmeinenden Konzepten könnte man entgegenhalten, dass sie gerade durch die Hundert- Prozent-Quote jede Möglichkeit zum direkten Vergleich mit männlichen Künstlern vermeiden und implizieren, dass Werke von Künstlerinnen diesem Vergleich möglicherweise qualitativ nicht standhalten könnten. Zudem ist es schlicht positive Diskriminierung, wenn Frauen einzig auf Grund ihres Geschlechts für Sammlungen oder Ausstellungen ausgewählt werden. Ähnliche Argumente kennen wir in Deutschland nur zu gut aus der Diskussion über die Frauenquote in der Wirtschaft. Anders aber als in der Wirtschaft gibt es für Kunstausstellungen (zum Glück) keine gesetzlichen Vorschriften. Aber auch hier gilt, dass eine Quote ein Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung sein kann. Angesichts der riesigen Zahl an beeindruckenden, einem breiten Publikum oft gänzlich unbekannten Werke der STURM-Frauen wird in jedem Fall klar, dass hier ein riesiger Aufholbedarf herrscht. Da blieb offenbar einfach kein Platz für die bereits reichlich abgehangenen männlichen Stars des STURM.
Frauenkunst: Irgendwie anders?
Doch was ist dran an der Andersartigkeit der Kunst von Frauen? Die frühe feministische Kunstgeschichte hat sich darüber den Kopf zerbrochen. Während Linda Nochlin klar der Meinung ist, es gäbe keinen „weiblichen Stil“, untersucht die prominente feministische Kunsthistorikerin Griselda Pollock gerade das: Weibliche Perspektiven in der Malerei. In ihrem Aufsatz „Räume der Weiblichkeit in der Moderne“ bescheinigt sie den impressionistischen Malerinnen eine Innensicht, einen empathischen Zugang zu ihren Sujets. Den hätten die männlichen Maler, die eher aus der Perspektive der Konsumenten und Flaneure malten, nicht gehabt. Diese Innenperspektive sei also eine Eigenschaft weiblicher Malerinnen, die aber, so lenkt sie ein, natürlich mit der gesellschaftlichen Stellung der Frau in der Zeit verknüpft gewesen sei. Gilt ähnliches auch für die STURM-Frauen? Einen Hang zu Sujets wie Interieurs oder anderen „geschützten Räumen“ kann man in den Werken der Ausstellung jedenfalls nicht erkennen. Vielmehr haben wir Werke einer neuen Generation von Künstlerinnen vor uns, die offenbar das Geschehen in der damaligen zeitgenössischen Kunst verfolgt haben und aktiv mitgestalten wollten, sowohl in Zusammenarbeit mit als auch durchaus in Konkurrenz zu ihren männlichen Kollegen. Die Ausstellung verschweigt nicht, dass ihnen genau dies oftmals nicht zugetraut wurde und beweist gleichzeitig: zu unrecht. Ein gutes Beispiel hierfür ist Marthe Donas, die sich ein männliches Alter Ego schuf, um sexistischen Vorurteilen gegenüber ihrem Werk zuvorzukommen. Ein Armutszeugnis zwar für ihr Umfeld, aber auch ein Beweis dafür, dass ihre Arbeiten qualitativ auf Augenhöhe gewesen sein müssen. Sucht man dennoch nach beobachtbaren Unterschieden, fällt auf, dass im Vergleich die Formate der Künstlerinnen kleiner ausfallen und dass häufiger auf Papier gearbeitet wird. Diese zugegebenermaßen im Einzelfall zu überprüfende Hypothese könnte ein Hinweis auf knappere Ressourcen und geringeren finanziellen Erfolg sein, kann aber auch auf eine größere Bescheidenheit oder ein geringeres Selbstvertrauen hindeuten. Vielfach scheint es gleichzeitig aber auch, dass bei den STURM-Frauen trotz oder gerade wegen der geringeren Sichtbarkeit eine große künstlerische Eigenständigkeit und ein bemerkenswerter Erfindungsreichtum hervortritt. So sehen neben Marianne von Werefkins dynamischem Bild „Lumpensammler“ Emil Noldes wildeste Seestücke eher domestiziert aus und die fantastische Bandbreite der Kostüme von Lavinia Schulz oder der Erfindungsreichtum der Kostümentwürfe Alexandra Exters lassen Oskar Schlemmers Triadisches Ballett im Vergleich doch recht brav aussehen.
Wozu all der Gossip?
Wenn wir es doch mit so starken Frauen zu tun haben, deren Werke für sich sprechen können, warum müssen dann die ausführlichen Texte an den Wänden der Ausstellung so voll sein von biografischen Details und Darstellungen von Beziehungsgeflechten? Wir erfahren, wer mit wem verheiratet war, dass sowohl Beziehungen mit als auch Trennungen von Künstlern und Kunstmäzenen die Regel waren und dass diese Beziehungen die Karrieren der STURM-Frauen im positiven wie im negativen Sinne beeinflussten. Würden in einer Ausstellung mit männlichen Künstlern ebenso viele biografische Daten zu finden sein? Würde neben einem Gemälde von Kandinsky beispielsweise geschrieben stehen „Das ist ein Werk von Kandinsky, er war einmal der Partner von Gabriele Münter?“ Sicher nicht. Warum also dann dieser Gossip? Weil er typisch weiblich ist? Auch das: Sicher nicht. Zum einen ist es eine kunsthistorische Glaubensfrage, wie viel Künstlerbiografie ein Werk braucht. Zum anderen machen diese Texte deutlich, dass diese Frauen bei aller geistigen Freiheit und Unabhängigkeit oft in mehr oder weniger klaren Abhängigkeitsverhältnissen standen. Problematisch, sehr wohl, wenn dies zur Aufgabe der eigenen künstlerischen Tätigkeit führte wie beispielsweise zeitweise bei Marianne von Werefkin. Beziehungsgeflechte müssen aber nicht zwangsläufig negativ sein, bis heute sind Networking und Vitamin B nicht aus der Kunstwelt wegzudenken – so sehr wir uns das vielleicht manchmal anders wünschen würden. Die Wandtexte bestätigen genau das und geben nebenbei noch einen spannenden Einblick in das europaweite Netzwerk, das unter den Künstlerinnen und Künstlern des STURM bestand.
Auf dem Weg zur Gleichberechtigung
Auf dem Weg zu Gleichberechtigung und Chancengleichheit der Geschlechter in der Kunstwelt gibt es keinen Königinnenweg, sondern viele unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen können. Aktionen wie die der Guerilla Girls gehören ebenso dazu wie Einzelausstellungen herausragender Künstlerinnen und eben "Quoten-Ausstellungen" à la STURM-FRAUEN. Als Vorbild für eine anzustrebende Selbstverständlichkeit in der Gleichbehandlung von weiblichen und männlichen Künstlern ist Herwarth Walden bestens geeignet, denn er machte scheinbar um die Aufnahme von Frauen in seine Galerie und in seine Ausstellungen kein Aufhebens. Insofern ist seine zentrale Position in der Ausstellung mehr als gerechtfertigt. Auch die Ausstellung selbst kann als richtungsweisend auf dem Weg zu einer neuen Selbstverständlichkeit interpretiert werden, denn sie vermeidet es zu polarisieren. Feministische Kampfansagen fehlen ebenso wie die Stilisierung der Künstlerinnen als von der Gesellschaft in Rollenklischees gezwängte Heldinnen. Vielmehr wird der Versuch der Darstellung eines Kunst-Netzwerks, des STURMS, unternommen, mit einem Fokus auf seine weiblichen Mitglieder. Das geschieht in Ergänzung und als Korrektur zum Bild des STURMS, das die männlichen Künstler bereits beinhaltet. Ein Bild, das im Ausstellungskonzept nicht verschwiegen oder negiert wird, vielmehr ist es in den Wandtexten präsent und darf auch in den Assoziationen der BesucherInnen auftauchen. Jetzt wo wir diese Ausstellung vor Augen haben scheint es, dass es höchste Zeit wurde, dass diese Ausstellung gemacht wurde und unser Bild vom STURM nun um einiges Vollständiger ist. Ähnlich wie bei den Impressionistinnen gilt auch hier: nun wo diese Künstlerinnen wieder ins Blickfeld gerückt sind bleibt zu hoffen, dass sie in zukünftigen Ausstellungen zum STURM und zum Expressionismus auch ohne Quote auftauchen werden, oder, falls dies nicht der Fall sein sollte, dass ihr Fehlen von aufmerksamen Besuchern als klaffende Leerstelle wahrgenommen werden wird.