Dr. Katie Ellis, Dozentin an der australischen Universität Curtin, geht in ihrem Essay der Frage nach, was unsere Identität in den Zeiten von Facebook ausmacht.
Who are You?
Be Careful What You Put on Facebook
Der Begriff der Identität, oder die Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“, ist ein in der Philosophie seit vielen Jahrhunderten immer wieder behandeltes Thema. In Sophie’s Welt antwortet die Figur Sophie Amundsen auf diese Frage ohne zu zögern: „Sophie Amundsen“. Aber natürlich sind wir weit mehr als ein Name, den unsere Eltern für uns ausgesucht haben. Wären wir ein anderer Mensch, wenn man uns einen anderen Namen gegeben hätte? Die Vorstellung von der Einzigartigkeit jeder Person ist fester Bestandteil der persönlichen Identität, während die soziale Identität sich auf unser Rollen und Verantwortlichkeiten in der Gesellschaft bezieht.[1] Der Philosoph George Herbert Mead hat im 20. Jahrhundert die These aufgestellt, dass das Selbst durch das soziale Verhalten geprägt wird beziehungsweise, dass die soziale Identität die Entwicklung der persönlichen Identität beeinflusst.[2]
Die philosophischen Konzepte der persönlichen Identität und sozialen Identität sowie deren gegenseitige Beeinflussung und insbesondere deren Wirkung auf unser Selbst-Bewusstsein wirken direkt vor unseren Augen auf dem sozialen Netzwerk Facebook: auf den Seiten unserer Freunde, auf unserer eigenen Seite. In diesem Essay betrachte ich Facebook als ein Beispiel für kommunikative Identität, als ein Ausdruck des Selbst auf der Basis etablierter sozialer Rollen. Auf Facebook sind wir das, was wir sind, auf der Grundlage dessen, was wir bereits über Identität und Wahrnehmung wissen.
Facebook bietet sich als äußerst interessante Fallstudie für die Betrachtung von persönlicher Identität im Internet an, da hier im Unterschied zu früheren Generationen sozialer Netzwerke wie LiveJournal und, in geringerem Maße, MySpace, die Nutzer ihre echten Namen angeben und sich so darzustellen versuchen, wie sie wirklich sind:
Mit dem letzten Satz spielt Grossman auf jenen berühmten Cartoon an, den The New Yorker 1993 zum Thema Anonymität im Cyberspace abdruckte: Zwei Hunde sitzen vor einem Computerbildschirm, darunter liest man: „On the internet, nobody knows you’re a dog“. 2007 untersuchte Kimberly Christopherson diese Aussage mit Blick auf die soziale Identität unter der adäquaten Überschrift: The positive and negative implications of anonymity in Internet social interactions: ‘On the Internet, Nobody Knows You’re a Dog’. Christopherson sieht im Internet einen fest umrissenen sozialen Kontext, in dem sich der Ausdruck des sozialen Verhaltens analysieren lässt.[4] Ein abnehmender Grad von Anonymität durch die sozialen Netzwerke hat die Herausbildung verschiedener Strategien nach sich gezogen, abhängig von dem Ziel, das von dem Individuum mit der sozialen Interaktion verfolgt wird. Die computerbasierte Kommunikation über Facebook verändert die soziale Kommunikation auf zwischenmenschlicher Ebene.
Kim Moldofsky beschreibt in dem Blog Hormone-Coloured Days den Versuch, ihre Online- und Offline-Identität zu trennen, kämpft allerdings mit dieser sauberen Trennung auf Facebook, da sie sich dort mit ihrem „echten Selbst“ präsentiert:
Für Moldofsky besteht eine Facebook-Philosophie darin, die Kontrolle über eine Online-Identität in ständiger Bewegung zu bewahren. Auf Facebook nennen wir uns beim Namen und scheinen mehr gewillt, unsere persönlichen Informationen zu teilen als bei früheren Netzwerkgenerationen. Facebook-Nutzer werden aufgefordert, ein Profil anzulegen, das Namen, Geschlecht, Geburtstag, Religion, Beziehungsstatus, Geschwister, Eltern, Lieblingstätigkeiten und weitere Informationen zu Person, Kontakten und Zugehörigkeiten zu Institutionen enthält. Vielleicht hatte Sophie Recht: War „ich“ ein anderes „Ich“, als in den 1990ern auf IRC und ICQ mein Nutzername noch Tieka lautete (ein Anagramm meines Vornamens) und als einzige persönliche Informationen Alter, Geschlecht und Ort angeben musste? Ohne klar umrissene Netzwerke bedeutete dies eine völlig andere Projektion von Identität.
Ich bin seit rund acht Jahren auf Facebook, ich habe 359 Freunde. Ich lade Freunde ein, lade Freund aus, werde eingeladen und ausgeladen. Und ich gebe zu, ich habe bei vielen meiner „Freunde“ kein Idee, wer diese sind – einige sind für mich Fremde, andere „Facebook-Freunde“, die ich durch ihre Profile, Status-Updates, markierte Fotos und ihre Quiz-Auswahl kenne. Obwohl ich meine Facebook-Freunde mag, zu vielen eine starke Verbindung fühle und eine Art Gemeinschaftssinn empfinde, sind diese Menschen die meiste Zeit für mich nicht mehr als ein Unterhaltungs-Objekt. Viele nehmen die Funktion von Geschlechterrollen und sozialer Identität ein, eine Funktion, an der ich selbst beteiligt bin, da ich eine Online-Identität forme, die darauf basiert, wie und als wer ich wahrgenommen werden möchte – in der Online- und in der Offline-Welt.
Für George Herbert Mead wird das Selbst durch Kommunikation entwickelt. Er sah das Individuum als ein Produkt der Gesellschaft, von sozialer Interaktion. Für Mead können wir uns unser Selbst nur durch die Beziehung zu anderen Menschen vorstellen. Zu allererst sind wir für andere ein Objekt, wenn wir dann durch die Sprache die Sichtweise der anderen einnehmen, werden wir für uns selbst zum Objekt. Meads Überlegungen stammen aus den 1920er-Jahren, sein Erklärungsmuster erhält allerdings im Zeitalter von Facebook eine neue Bedeutung, wie Mark Van Hollebeke anmerkt:
Unsere Facebook-Profile sind für unsere Freunde Objekte. Durch die Sprache von Facebook – Profilbilder, Status-Updates, Quiz, Beziehungsstatus und Fotos nehmen wir die Sichtweise der anderen ein, um uns selbst im Netzwerk zu kommunizieren. Ausgehend von Meads Ansatz behauptet Van Hollebeke: „Das Individuum gibt [auf seiner Facebook-Seite] Eigenschaften an, die auf den Vorstellungen anderer in der Gesellschaft über ihr Selbstsein basieren.”[7] Mead beschäftigte sich vor allem mit dem Selbstsein durch die Erweiterung des Selbst und als eine Form der Erweiterung des Objektseins für andere.
In Meads Verständnis sozialer Interaktion und kommunikativer Identitäten spielen die Komponenten „me“ und „I“ eine wichtige Rolle. Das „me“ ist die organisierte Gruppe von Haltungen anderer, die man selbst einnimmt, während das „I“ die Reaktion des Organismus auf die Haltungen anderer bezeichnet. Das Selbst ist mit der sozialen Existenz eng verknüpft. Wenn Facebook-Nutzer entscheiden, „was sie gerade beschäftigt“ oder wenn sie ihren Status aktualisieren, liefern sie eine Darstellung des Selbst oder des „me“, das auf ihrer bereits erfahrenen Sozialisierung beruht. Wenn beispielsweise ein Freund etwas über Cricket am Boxing Day postet oder eine Freundin sich über die Blicke älterer Mütter beschwert, wenn sie ihre Kinder in Shorts in die Schule bringt, wählen sie eine bestimmte Identität, die sie darstellen möchten. Auf Facebook ist die Identität eine Wahl, ein Objekt, das wir projizieren möchten. Wenn „ich“ [I] meine Facebook-Seite pflege, dann wähle ich ein „Ich“ [me], das ich der Welt und mir selbst vermitteln will. Meine persönliche Identität wird aus einer Auswahl sozialer Identitäten bestimmt.
Soziale Existenz und kommunikative Identität sind für Mead ein dreistufiger Prozess, den ich anhand des Beispiels von Profilbildern auf Facebook erklären will. Im ersten Schritt werden andere auf die Intentionen eines Individuums durch deren Handlungen oder Gesten aufmerksam. Ein Profilbild ist einer der ersten Schritte bei der Auswahl einer Identität auf Facebook, insbesondere weil man vor Facebook im Allgemeinen Avatare oder ein beliebiges Bild zur Darstellung der eigenen Online-Identität ausgewählt hat und nicht ein echtes Bild der eigenen Person.[8] Ich selbst verwende beispielsweise auf LiveJournal eine Animation eines tanzenden Strichmännchens anstatt ein Foto von mir selbst. Da viele Universitäten Facebook als Kommunikationsportal für Studenten nutzen, hat dieses Netzwerk im Bildungsbereich Einzug gehalten hat und viele Hochschuleinrichtungen geben ihren Studenten Ratschläge, wie sie ihre Online-Identitäten anlegen sollen:
Wenn Nutzer als Profilbild ein Foto von sich selbst am Hochzeitstag oder ein Foto mit ihrem Partner, mit Freunden auf einer Party oder in einem Nachtklub aussuchen, transportieren sie damit etwas über ihre Intentionen. Im zweiten Schritt findet Kommunikation statt, weil der Nutzer bei der Auswahl des Profilbilds darum weiß, wie andere im Netzwerk darauf reagieren, auch wenn dies nur unbewusst erfolgt. Dieser Akt der Auswahl eines Profilbildes demonstriert die Art und Weise, wie das „I“ ein „me“ auswählt. Die Frau, die ihr Hochzeitsfoto auf die Seite stellt, nimmt die Sichtweise anderer ein, und weiß, dass die anderen Nutzer sie als verheiratete Frau oder vielleicht als „glückliche Braut“ wahrnehmen, was eine Vielzahl sozialer Deutungen nach sich ziehen kann.
Und schließlich besitzt dieses Bild eine Bedeutung für das Individuum, das seine persönliche Identität mit den verfügbaren sozialen Identitäten abgleicht. Die Identität, die ein Individuum herausbildet, lässt sich von sozialen Prozessen und Interaktionen nicht trennen:
Das Selbst entwickelt sich aus Wahrnehmung, Bedeutung und Sprache. Das Hochzeitsfoto ist ein symbolischer Kommunikationsakt. Während diese Wahl als Geste nicht signifikant erscheinen mag, kommuniziert sie symbolisch viel über die Identität der Frau und ihr wahrgenommener Erfolg im Leben als Frau unterliegt dem ständigen sozialen Druck, heiraten zu müssen.
Meine Facebook-Freunde erscheinen des Öfteren wie Karikaturen von Stereotypen jener Menschen, die wir im Fernsehen oder in den Medien sehen. Da sind meine verheirateten Freunde mit Kindern, männliche Singles auf der Suche, weibliche Singles, die ihre sexuelle Freiheit bekunden und Akademikerkollegen, die ihre jüngsten Veröffentlichungen anpreisen. Manchmal fühlt sich das alles ein wenig an wie Melrose Place, nur das alle 7 Staffeln in einem einzigen, täglichen News Feed zusammengefasst sind. Tara Brabazon ist der Ansicht, dass diese Sättigung an persönlichen Informationen in Verbindung mit sozialer Identität uns auf einen Weg der Oberflächlichkeit führt:
Der Gedanke, dass Facebook-Nutzer nicht mehr zwischen Fiktion und Realität unterscheiden können, hat zu Aufrufen geführt, offline zu gehen. Der Kommunikations-Overload hat unter Teenagern eine Bewegung des „switching off“, des „Abschaltens“, ausgelöst:
Mein erster Gedanke zu diesen Aufrufen, Facebook abzuschalten, um festzustellen, wer deine wirklichen Freunde sein: Das ist reaktionär und spiegelt lediglich die Angst vor einer neuen Technology wider. Dank Facebook weiß ich jetzt, was aus allen geworden ist: aus meinen Ex-Freunden, die ich nie wieder sehen wollte, obwohl ich mich frage, ob es mir ohne sie so viel besser geht; aus diesen Mädchen, von denen ich glaubte, dass wir immer beste Freundinnen bleiben würden. Aber nicht wirklich. Ich weiß, als was sie sich der Welt präsentierten wollen und wie dies wiederum die Entwicklung ihrer persönlichen Identität beeinflusst hat. Facebook ist eine Erweiterung der Sprache, und da wir Teil davon sind, ist das Netzwerk Teil des „dynamischen, beständigen sozialen Prozesses“[13], in dem sich die persönliche und soziale Identität durch Kommunikation entwickelt.
Dieser Beitrag zum Thema digitale Identität ist Teil des Projektes "The Possibility of an Army" des Künstlers Constant Dullaart.
ÜBER DIE AUTORIN
Dr. Katie Ellis ist Dozent an der School of Media, Culture and Creative Arts der Universität Curtin. Der Beitrag "Die Facebook-Philosophie: Identität, Objekte und/oder Freunde" erschien ursprünglich in Australian Screen Education.
Übersetzt ins Deutsche von Bernd Weiß
Fußnoten
[1] Martin Hollis, The philosophy of social science: an introduction Cambridge University Press, 1994 p. 17
[2] George Herbert Mead ‘The Genesis of the Self and Social Control’ International Journal of Ethics, Vol 35, No.3, 1925, pp.251-277
[3] Lev Grossman ‘Why Facebook is the Future’ Time 23 August 2007 home.sbc.edu.hk/~lwmm/newscut/materials/20070826time.pdf [accessed 26 December 2009]
[4] Kimberly Christopherson ‘The positive and negative implications of anonymity in Internet social interactions: “On the Internet, Nobody Knows You’re a Dog” Computers in Human Behaviour Vol 23 2007 pp.3038-3056
[5] Kim Moldofsky ‘Facebook Philosophy’ Hormone-Coloured Days 14 January 2009 hormonecoloreddays.blogspot.com/2009/01/facebook-philosophy.html [accessed 23 December 2009]
[6] Pacific Lutheran University ‘Philosophical theorist takes on Facebook’ Campus Voice 27 October 2006 news.plu.edu/node/1255 [accessed 26 December 2009]
[7] Ibid
[8] Katie Ellis & Mike Kent Disability and New Media Routledge Forthcoming.
[9] Lisa Cluett ‘How to Survive….. Networking in Facebook’ Study Smarter October 2009 www.studentservices.uwa.edu.au/__data/page/155791/TT2.1_Networking_in_Facebook.pdf [accessed 26 December 2009]
[10] George Cronk ‘George Herbert Mead (1863-1931)’ Internet Encyclopedia of Philosophy www.iep.utm.edu/mead/ 2005 [accessed 26 December 2009]
[11] Tara Brabazon ‘Come back Karl. All is forgiven’ ArtsHub 29 August 2007
www.artshub.com.au/au/news-article/views/museums-and-libraries/come-back-karl-all-is-forgiven-165380 [accessed 26 December 2009]
[12] Barb Dybwad ‘Teens banding Together to Cut Down on Facebook’ Mashable: The Social Media Guide 21 December 2009 mashable.com/2009/12/21/teens-cutting-down-on-facebook/ [accessed 26 December 2009]
[13] George Cronk op.cit.