Der Hamburger Künstler Thorsten Brinkmann schafft reihenweise Selbstportraits – verbirgt dabei aber stets sein Gesicht.

Aus einem großen Karton ragen zwei aufrecht stehende Plas­tik­beine hervor, die in den abge­tra­ge­nen Klamot­ten des Künst­lers Thors­ten Brink­mann stecken. Das Adidas-Logo der zerschlis­se­nen Snea­ker korre­spon­diert auf subtile Weise mit drei Klebe­band­strei­fen, die auf der beige­far­be­nen Papp­schach­tel pran­gen. Die seit­lich abste­hen­den Deckel­la­schen muten anrüh­rend drol­lig an – ein biss­chen wie die Flügel eines Pingu­ins.

Thors­ten Brink­mann, Brink­mann, 2006, Ausstel­lungs­an­sicht ICH, Foto: Schirn Kunst­halle Frank­furt, Norbert Migu­letz, 2016

Das Werk wirkt so lebens­echt, als würde es einem mit dump­fer Stimme Antwort geben, wenn man freund­lich dage­gen klopft. Man muss aber dann doch in Hamburg Bahren­feld anru­fen, wo Brink­mann sein Atelier hat, um mit ihm über seine Skulp­tur zu spre­chen, die noch bis zum 29. Mai in der [¶£-Ausstel­lung der SCHIRN gezeigt wird. Sein Stell­ver­tre­ter dort bleibt natür­lich stumm.

Mit dem Karton über dem Kopf gegen die Wand

„Der Karton enthielt ursprüng­lich eine Liefe­rung Foto­pa­pier“, erzählt Brink­mann am Tele­fon. Das übli­che Schick­sal, Altpa­pier, blieb ihm erspart. Anfang der Nuller­jahre dreht er „Gut Ding will es so“ – ein Video, das ein wenig schnel­ler als Normal­ge­schwin­dig­keit läuft und voller Slap­stick-Momente ist. „Der Film handelt davon, wie ich mit den Dingen hantiere, oder besser gesagt: die Dinge mit mir. Immer wieder renne ich mit dem Karton über dem Kopf gegen die Wand“, sagt Brink­mann.

Ende der Neun­zi­ger zog er nach Hamburg, um bei dem Foto­gra­fen und Perfor­mance­künst­ler Bern­hard Blume an der Hoch­schule für bildende Künste zu studie­ren. 2006 schließ­lich schuf Brink­mann mit Hilfe des Kartons sein „Selbst­por­trait“, das zu einer Reihe von rund zehn ähnli­chen Bein­skulp­tu­ren gehört – alle­samt vergleichs­weise mini­ma­lis­ti­sche Vorstu­dien zu den weit opulen­te­ren, bunte­ren, exzen­tri­sche­ren „Portraits of a Seri­al­samm­ler“, mit denen er nur wenig später inter­na­tio­nal bekannt werden sollte.

Würdevolle bis eitle Posen

Auf all seinen Portraits ist Brink­mann stets bis zur Unkennt­lich­keit maskiert und verklei­det. Niemals sieht man sein Gesicht. Seine Foto­gra­fien kann man als Verball­hor­nung klas­si­scher Portrait­ma­le­rei begrei­fen. „Natür­lich geht es mir auch darum, Ikonen zu sabo­tie­ren“, gibt Brink­mann unum­wun­den zu. Vor dem Selbst­aus­lö­ser seiner Kamera wirft er sich in würde­voll bis eitle Posen, die in kras­sem Gegen­satz zu den skur­ri­len Klamot­ten stehen, die er dabei trägt. Und im Gegen­satz zu Gegen­stän­den wie verbeul­ten Kohle-Eimern, Lampen­schir­men oder Blumen­kü­beln, die er sich über den Kopf stülpt – Fund­stü­cke, die der Künst­ler auf Floh­märk­ten aufge­stö­bert oder bei Streif­zü­gen durch Hamburg auf der Straße aufge­le­sen hat.

Thors­ten Brink­mann, Brink­mann, 2006, Ausstel­lungs­an­sicht ICH, Foto: Schirn Kunst­halle Frank­furt, Norbert Migu­letz, 2016

Thors­ten Brink­mann, Basini, 2014, © Thors­ten Brink­mann & VG Bild­kunst Bonn 2016, Cour­tesy Gallery Feld­buschwies­ner Berlin, Gallery Mathias Günt­ner, Hamburg, Image via nyti­mes.com

Brink­mann verfügt über einen riesi­gen Fundus, aus dem er nicht nur Mate­rial für Portraits, sondern auch für surreal anmu­tende Still­le­ben und raum­fül­lende Instal­la­tio­nen schöpft. „Bei meinen Portraits funk­tio­nie­ren diese Dinge wie Ausdruck­s­pro­the­sen. Sie wirken zum Teil wie Masken, auf die sich eine Physio­gno­mie über­trägt und vermit­teln Gefühle, ganz ähnlich wie ein mensch­li­ches Gesicht das vermag.“

Brinkmann wollte es anders machen

Brink­mann agiert mit seiner Kunst an der Schnitt­stelle von Foto­gra­fie, Male­rei, Bild­haue­rei und Perfor­mance. „Ich habe mich viel mit den Perfor­mance-Künst­lern der Sieb­zi­ger­jahre beschäf­tigt“, erzählt er. „So sehr ich Leute wie Marina Abra­mowić, Urs Lüthi oder Jürgen Klauke auch schätze: Ich hatte immer ein Problem damit, dass diese Künst­ler­per­sön­lich­kei­ten in ihren Arbei­ten so über­prä­sent waren. Im Grunde konnte man bei ihnen kaum zwischen Autor und Werk unter­schei­den“, erzählt Brink­mann. „Meine Physio­gno­mie sollte sich nicht untrenn­bar mit meiner Arbeit verbin­den“. Brink­mann wollte es anders machen. Sich im Werk zeigen, ohne wirk­lich sicht­bar zu sein.

Während Brink­manns kunst­vol­les Versteck­spiel in Europa oft als zitat­rei­ches Spiel mit der Kunst­ge­schichte verstan­den wird, über das man durch­aus herz­haft lachen kann, machen die gesichts­lo­sen Figu­ren dem Publi­kum in den USA eher Angst. „Vor eini­gen Jahren wurden meine Portraits im Inter­na­tio­nal Center Of Photo­gra­phie in New York gezeigt. Bei eini­gen Fotos fühl­ten sich die Betrach­ter an Terror oder SM-Prak­ti­ken erin­nert“.

Tageslicht, ein paar Gegenstände und eine Kamera

Im vergan­ge­nen Dezem­ber und Januar verbrachte er jeweils drei Wochen in Hous­ton. Das Rice Museum stellt momen­tan seine Werke aus. Während des Aufent­halts entstan­den weitere „Portraits of a Seri­al­samm­ler“. Das Mate­rial dafür fand Brink­mann auf einem Schrott­platz. „Hin und wieder ist es wich­tig, sein Atelier zu verlas­sen. Kunst kann schließ­lich über­all entste­hen“, sagt er. „Manch­mal erzäh­len mir Studen­ten, dass sie gerade ihre Projekte auf Eis gelegt hätten, weil sie erst einmal sparen müssen“. Von teurem Equip­ment möchte sich Brink­mann nicht abhän­gig machen: „Tages­licht, ein paar Gegen­stände und eine Kamera – mehr brau­che ich nicht für meine Kunst.“

Thors­ten Brink­mann, Milky­maid, 2009, © Thors­ten Brink­mann & VG Bild­kunst Bonn 2016, Cour­tesy Gallery Feld­buschwies­ner Berlin, Gallery Mathias Günt­ner, Hamburg, Image via thors­ten­brink­mann.com