Im nächsten DOUBLE FEATURE ist das Künstlerkollektiv Open Group zu Gast. In ihrer Videoarbeit „Repeat after Me II" untersuchen sie das Ausmaß des russischen Angriffskriegs anhand lautmalerischer Erfahrungsberichte von ukrainischen Kriegsgeflüchteten.
„My Name is Hanna, I am from Merefa, a town in the Kharkiv region. In September 2022, we came to Ireland” erzählt eine Frau, die vor einem neuerbauten Bungalow sitzt, der ein wenig an ein Jugendfreizeitzentrum erinnert. Die Kamera wechselt in eine Nahaufnahme des Gesichts, bevor die Frau, gleich einer Überschrift, die nächsten Worte aussprechen kann: „The Tornado multiple rocket launch system.“ Ein Zwischentitel erläutert genaueres zu jenen Mehrfachraketenwerfer-Artilleriesystemen, die von einem Vehikel meist ungesteuerte Raketen abschießen. Seit 2014 habe Russland immer wieder solche Waffensysteme in der Ukraine genutzt, um großflächige Angriffe auf Zivilgebiete durchzuführen – ein klares Kriegsverbrechen. Konzentriert gibt Hanna nun ihre lautmalerische Interpretation der Kriegsmaschinerie wieder: „THUhsh THUhsh THUhsh THUhsh THUhsh“ und fordert die Betrachtenden anschließend auf: „Repeat after me“, derweil die onomatopoetischen Laute untertitelt werden.
„Repeat after me“ heißt sodann auch die Videoarbeit des aus der Ukraine stammenden Open Group Kollektivs. Bereits 2022 hatte die Gruppe, bestehend aus den Künstlern Yuriy Biley, Pavlo Kovach und Anton Varga, eine Videoarbeit unter jenem Titel veröffentlicht. Dort hatten Binnenvertriebene in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Kiew vor der Kamera die Geräusche des Krieges, den Russland seit dem 24. Februar 2022 in die Ukraine getragen hatte, lautmalerisch nachgeahmt und dazu aufgefordert, diese karaokegleich nachzusprechen. Als die Kuratorin Marta Czyż das Kollektiv einlud, den polnischen Pavillon der Venedig Biennale zu bespielen, drehte die Open Group dieses Jahr eine neue Version der Arbeit – beide Varianten sind dort aktuell zu sehen.
„Repeat after me II“
Für die neuere Version suchten die drei Künstler ukrainische Kriegsflüchtige im Rest der Welt auf: in Litauen, Polen, Deutschland, Österreich, Irland und den USA. Der formale Ablauf bleibt wie schon beim Vorgänger stets ähnlich; in dem 40-minütigen Film stellen sich die Geflohenen jeweils kurz vor, bevor die Wege und Mittel des Krieges in den Fokus rücken: Kalashnikov Maschinengewehr, ballistische Raketen, Luftalarmsignale, Drohnen, Panzer und Artillerie, deren Geräusche die Interviewten jeweils nachahmen. Zwischentitel erklären derweil den Hintergrund jener Waffen, also wie viele jener Kriegswerkzeuge Russland seit 2022 respektive seit 2014 in der Ukraine eingesetzt hat, welche aus Iran oder Nordkorea geliefert wurden, wie viele sich noch im russischen Bestand befinden und welche Anzahl jener Waffen das ukrainische Militär bereits ausschalten konnte.
Die Texttafeln mögen ein intellektuelles Verständnis über die Waffensysteme oder die Situation vor Ort vermitteln, konkreter wird das ganze Ausmaß des Kriegs jedoch, wenn die Personen vor der Kamera aus ihrem Leben erzählen. So beispielsweise Ira, die 2022 aus Tschernihiw nach Vilnius geflohen ist. Bereits kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs wurde ihre Nachbarschaft massiv bombardiert. Im Keller ausharrend, hörten sie draußen eine Frau schreien und brachten diese schließlich in ihr Versteck, die durch Bombensplitter verletzte Frau erlag noch im Keller vor ihren Augen den Verletzungen. In den müden und desillusionierten Augen von Ira und den anderen Befragten spiegelt sich sodann auch der eigentliche Horror des Erlebten ab – Kriegserfahrung, Flucht und Migration in ein fremdes Land, mit all jenen Problemen, die dies in der heutigen Welt bereitet – und kein Ende in Sicht. Der Titel „Repeat after me“ ließe sich so auch im doppelten Sinne als eine Wiederholung verstehen, das wörtliche Nachahmen jener Kriegsgeräusche und das Wissen, dass jenes individuell vorgetragene Schicksal bis auf weiteres viele weitere Menschen in der Ukraine betreffen wird.
„Explosions Near the Museum”
Auch der weitere Film, den sich das Künstlerkollektiv Open Group ausgesucht hat, thematisiert die Folgen des russischen Angriffskriegs. Yarema Malashchuk und Roman Khimei drehten ihren Kurzfilm „Explosions Near the Museum“ (2023) mit einem kleinen Filmteam im Dezember 2022, kurz nach der Befreiung der südukrainische Hafenstadt Cherson, im örtlichen Heimatmuseum. Das 1890 gegründete Museum besaß eine der größten Sammlungen historischer Artefakte ukrainischer Kulturgeschichte, vor allem aus der Frühzeit. Ein Großteil der Sammlung wurde von der russischen Besatzung systematisch geplündert, und rund 80 Prozent der Sammlungsbestände in das Kunstmuseum von Simferopol, auf der im Jahr 2014 von Russland rechtswidrig annektierten Krim-Halbinsel, überführt.
Während auf der Tonspur deutlich Explosionsgeräusche der unweit entfernten Frontlinie zu hören sind, fährt die Kamera in ruhigen Einstellungen die Innenräume des geplünderten Museums ab, das in einen chaotischen Zustand hinterlassen wurde. Eine ruhige Stimme erläutert derweil, welche historischen Artefakte in den leeren Vitrinen oder auf den verlassenen Podesten sich vor der russischen Plünderung befanden, die man hofft, dort bald wieder ausstellen zu können. Die skythischen und sarmatischen Grabbeigaben, die seltenen Keramiken, Artefakte aus Gold und Silber, Waffen, die gesamte Münzsammlung, die gewaltsam entwendet wurden – allesamt Zeugen einer ukrainischen Geschichte, die Russland im Rahmen des Krieges entschieden aufzulösen und einer russischen Erzählung unterzuordnen sucht. „Explosions near the Museum“ wird so zu einer Art Einspruch gegen diesen Versuch, wie Yarema Malashchuk der Zeitschrift „Texte zur Kunst“ verriet: „Man kann über Kriegsverbrechen nicht metaphorisch oder ‚künstlerisch‘ nachdenken, vor allem dann nicht, wenn man sich selbst am Ort des Verbrechens befindet – für eine solche Reflexion ist der Abstand zur tatsächlichen Bedrohung zu gering. Wir beschlossen, die bekannte Rhetorik der Abwesenheit in der zeitgenössischen Kunst zu nutzen, um (Ersatz-)Werte zu schaffen – nicht, weil wir können, sondern weil wir müssen“.