Im kommenden DOUBLE FEATURE ruft Saodat Ismailova das Schicksal usbekischer Frauen in Erinnerung, die durch ihre Entschleierung zu Opfern von Femiziden wurden.
Weiße arabische Letter schimmern auf schwarzen Hintergrund, auf der Tonspur flüstert eine Frauenstimme. In usbekischer Sprache ist hier zu lesen: „Die Hujum-Bewegung war eine sowjetische politische Kampagne, die 1924 ins Leben gerufen wurde. Ihr Ziel war die Emanzipation der einheimischen Frauen. Die Kampagne hatte dramatische Folgen für die usbekischen Frauen, die zwischen traditionellen gesellschaftlichen Normen und einer ausländischen Staatsideologie gefangen waren. Der Film ist dem Gedenken an jene Frauen gewidmet, die ihr Leben für die Freiheit der heutigen usbekischen Frauen geopfert haben.“
Um Saodat Ismailovas Film „Her Right“ (2020) einzuordnen, ein kleiner historischer Rückblick: 1918 riefen die Bolschewiki im Rahmen des russischen Bürgerkriegs auf dem Gebiet des heutigen Usbekistans die Turkestanische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik, einige Jahre später schließlich die Usbekische Sozialistische Sowjetrepublik aus. Die Kommunistische Partei (KPdSU) legte großes Augenmerk auf die Emanzipierung der einheimischen Frauen, die einerseits durch Bildung und Arbeit am gesellschaftlichen Leben partizipieren sollten, im gleichen Maß aber auch an der Transformation vom Agrar- zum Industriestaat mitzuwirken hatten. Unabhängig von jenen Bestrebungen der kommunistischen Partei verfolgte die islamische Reformbewegung der Dschadidisten schon bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts zum Teil ähnliche Ziele. Zentrales Kampfwort für die von der KPdSU geplante Emanzipierung der Frauen wurde „Hujum“, zu Deutsch „Angriff“, buchstäblich gemeint als Attacke auf alte, tradierte Lebensweisen.
Zwischen Reformdruck und Backlash
Ziele der Kampagne umfassten so die Aufhebung gesellschaftlicher Segregation oder die Abschaffung des de-facto Status von Frauen als männlicher Besitz. Gesellschaftlicher Unfrieden entzündete sich aber hauptsächlich an der angestrebten Entschleierung der Frauen, die die Kommunistische Partei spätestens ab 1927 zunehmend repressiver durchzusetzen versuchte. Frauen, die entweder freiwillig oder auch auf Druck der kommunistischen Kader ihre traditionellen Schleier, die Chachvan, ablegten, mussten den repressiven Backlash ihrer Familien fürchten, der auch tödlich endete – die Historikerin Marianne Kamp schätzt, dass Männer, aufgehetzt durch lokale Kleriker, aus Rache 2500 usbekische Frauen ermordeten.
Saodat Ismailova, geboren 1981 in der usbekischen Hauptstadt Taschkent, ruft in ihrem Film „Her Right“ das Schicksal jener Frauen in Erinnerung. In Archiven entdeckte die Künstlerin größtenteils vergessene Filme, die sich propagandistisch mit der Rolle der Frau beschäftigen. In einer Montage collagiert sie filmische Arbeiten, die von den späten 1920er- bis in die frühen 1980er-Jahre reichen. Die Aufnahmen geben Einblick in die historische Welt Usbekistans: kleine Dörfer, verschleierte Frauen, der Einbruch der aufkeimenden Industrialisierung, Eisenbahn, Demonstrationen, entschleierte Frauen, Naturaufnahmen und immer wieder weibliche Gesichter – voller Freude oder Angst, beim Tanzen, bei der Arbeit, beim Ablegen oder Verbrennen von Schleiern, auf der Flucht vor hasserfüllten Männern, die mit Messern bewaffnet auf sie Jagd machen.
Eine weibliche Gegenerzählung
In gewisser Weise lässt sich Ismailovas Montage jener Aufnahmen als eine Art Wiederinbesitznahme usbekischer, weiblicher Historie deuten: wurden zunächst die Propaganda-Geschichten von sowjetischen, später usbekischen Männern erzählt, dienten die an reale Schicksale usbekischer Frauen anknüpfenden Geschichten lediglich als ideologische Ware. Die Künstlerin rekurriert mit „Her Right“ nun wieder auf die realen Akteurinnen der tatsächlichen Geschichte, die zwischen Staatsideologie einerseits und Religion und Tradition andererseits ungeachtet ihrer eigenen Bedürfnisse aufgerieben wurden. Im Interview mit dem zentralasiatischen Kulturmagazin „The Steppe“ lässt die Künstlerin so auch wissen: „Sometimes people ask me if I am defending chachvans. In fact, I am not defending them as objects. What interests me is the overlooked story of chachvans and the way it reminds us of the invisible presence of women who wore them.”
Sometimes people ask me if I am defending chachvans. In fact, I am not defending them as objects. What interests me is the overlooked story of chachvans and the way it reminds us of the invisible presence of women who wore them.
Als weiteren Film hat sich Saodat Ismailova „Без страха / Bez strakha“ („Ohne Furcht“) des usbekischen Regisseurs Ali Chamrajew ausgesucht – Ausschnitte aus dem Film tauchen auch in „Her Right“ auf, der Regisseur hat einen großen Einfluss auf ihre eigene Arbeit. Der Film spielt in einem kleinen usbekischen Dorf, kurz nach dem Ende des russischen Bürgerkriegs. Ein usbekischer Offizier der Roten Armee wird von einer Frau aus dem Dorf gesundgepflegt und heiratet sie anschließend. In Zusammenarbeit mit den Bolschewiki versucht der Rotarmist die Frauen des Dorfes im Rahmen der Hujum-Kampagne davon zu überzeugen, ihre Schleier abzulegen. Als ein junges Mädchen sich ihrer Verhüllung entledigt, hat dies für sie katastrophale Folgen. Saodat Ismailova bezeichnet Chamrajew Werk als herausragendes Beispiel usbekischer Filmgeschichte, der einen Schlüssel zum Verständnis jener Zeit biete, „if you really want to understand what happened with women and how the Hujum worked.”
DOUBLE FEATURE mit Saodat Ismailova
am Mittwoch, 18. Dezember, 19:30 Uhr, im SCHIRN Space