Wie viele Kalorien hat eine Banane? Und wie viele Kalorien baut man mit 10 Liegestützen wieder ab? Diese Fragen adressiert eine Performance des Künstlers Davide Balula. Um Selbstkontrolle und Gewichtsverlust geht es ihm dabei jedoch weniger.
Der Puls geht auf 180 zu. Unter Keuchen erhebt sich die Performerin aus ihrer letzten Kniebeuge. Dann setzt sie sich auf ihr Podest, dehnt sich, wirft prüfend einen Blick zum Monitor über ihr. Calories: -24. Zeit, die verbrauchte Energie auszugleichen: Sie beißt ein paar Mal von einer Banane ab, die sie neben sich auf einem Sockel abgelegt hat und aktualisiert den aufgenommen Kalorienwert auf dem Bildschirm per Knopfdruck. Drei Bissen, dreimal gedrückt, +30 Kalorien.
Dieses ungewöhnliche Bild bot sich den Besuchern zur Nacht der Museen im Foyer der SCHIRN. Dort inszenierte der französische, in New York lebende Künstler Davide Balula eine Performance, die die Dynamik aus Energieerzeugung und -verbrauch in unserem Körper plastisch werden ließ. Konzipiert als Wechselspiel zwischen Kalorienaufnahme und -abbau, führte „Calories and Dance Moves for the Internal Organ Systems“ das Phänomen permanenter Transformation von Masse in Energie vor Augen.
Schweißbänder treffen auf Elektroden
Nachvollziehbar wird dieser Vorgang durch die Überwachung von Muskelaktivität und Puls der beiden Performer Assal Arian und Yves Kellermann: Getragen werden Schweißbänder und glänzende Polyesteranzüge, dazwischen rote, blaue und schwarze Elektroden, Kabel und Minicomputer, die direkt am Körper befestigt sind und durch Löcher im Outfit durchscheinen. Um ihren Brustkorb ist ein Pulsmesser geschnallt, an Oberschenkel, Bauch und Schulter sind drei EMGs angebracht. Sie messen die Intensität der Elektrizitätsströme, die von den Muskeln abgeht.
Scherzhaft nennt Balula das technische Equipment, das er zusammen mit IT- und Design-Experten des Frankfurter Unternehmens MESO für die Performance entwickelte, auch „a third performer“. Die erfassten Daten werden auf Monitoren über den Köpfen der Performer zusammengeführt. Wo sonst Ausstellungen und Angebote der SCHIRN angekündigt werden, ist nun eine grafische Darstellung zu sehen: Neben der Anzeige der sinkenden und steigenden Kalorienanzahl werden Puls und Muskelaktivität in Zahlen und farbigen Graphen ausgegeben. Den daraus kalkulierten Energieverbrauch, der die Anzahl der Kalorien kontinuierlich herunterschraubt, balancieren die Performer mit eingenommenen Snacks wieder aus.
Den Impulsen des eigenen Körpers folgen
Dabei geht es Balula explizit nicht um den Trend zur körperlichen Selbstoptimierung und -überwachung: “Ich gehe zwar auf Kalorienwerte ein, aber die Intention meiner Arbeit ist nicht, den Gewichtsverlust darzustellen, sondern viel eher, wie Energie verbraucht wird, wie wir sie produzieren und darum, dass Bewegung eigentlich nur elektrische Energie ist.“ Dazu soll die Choreographie nicht nur an sportliche Aktivitäten erinnern, sondern den gesamten Kreislauf der Energieumwandlung darstellen, von der Nahrungsaufnahme bis hin zur Verdauung: „Die Bewegungen, die die Performer ausführen sollen, die Choreografie entstammt dem Vokabular von Sportlern – gewöhnliche Bewegungen, ob nun Kraft- oder Kardio Übungen. Aber ich habe sie auch darum gebeten, sich auf ihre Organe zu fokussieren, wie ihre Muskeln und das Zwerchfell sowie ihren Bauch und ihre Blase.“ Ohne Musik, die ihren Rhythmus künstlich antreiben würde, können die Performer den Impulsen ihres eigenen Körpers folgen.
Auf den weißen Podesten erscheinen die Körper wie Kunstwerke auf Sockeln. Allerdings ist es nicht der Körper selbst, der zur Skulptur wird, sondern der abstrakte, eigentlich nicht darstellbare Energiekreislauf, den die Besucher sich erschließen und nachvollziehen müssen. Insofern gleicht der Körper der Performer eher einer Oberfläche, einem Interface, das das Phänomen permanenter Transformation von Energie widerspiegelt. Deswegen legt Balula nicht nur auf die technisch-grafische Darstellung von Kalorienverbrauch und -aufnahme wert, sondern auch auf den Ausstoß von Energie durch die Körper der Performer: Das äußert sich beispielsweise im Schwitzen und im Entströmen des Atems und in der Reaktion auf äußere Einflüsse, wie die Temperatur des Foyers, die durch die Besuchermassen stetig ansteigt.
Bewegliche Skulpturen
Diese Wechselwirkungen zwischen dem Inneren und Äußeren faszinieren Davide Balula. In vielen seiner Arbeiten beschäftigt sich der Künstler mit unsichtbaren physischen und neuronalen Prozessen und den Möglichkeiten, diese in etwas Sichtbares oder Erfahrbares zu übersetzen. Die Konstruktion einer Realität aus zahlreichen abstrakten Sinnesreizen bildete beispielsweise den Ausgangspunkt von „Mimed Sculptures“, eine Performance, die der Künstler 2016 zur Art Basel inszenierte.
Dabei ließ er Mimen über leeren Sockeln die Form von Skulpturen abtasten, die sie sich vor ihrem inneren Auge in Erinnerung riefen. Balula interessierte dabei vor allem, inwiefern die Betrachter in der Lage sind, das Bild der Skulptur über verschiedene Sinne hinweg zu erfahren und für sich zur Realität werden zu lassen. Die Leistung des Gehirns, auch abstrakte Vorstellungen plastisch nachvollziehen zu können, kommt für Balula einer skulpturalen Arbeit gleich. Skulptur muss für ihn nicht die Gestalt eines materiellen Objekts annehmen; sie kann visuell wahrnehmbar sein, formt sich aber auch durch „verschiedene Ebenen der Wahrnehmung und dadurch, wie das Gehirn einzelne Punkte zur Realität verbindet.“
Übersetzung: Von einem Sinn zum anderen
Balula beschäftigt sich viel mit dem Phänomen der „sensorischen Substitution“, das Wissenschaftler wie Paul Bach-y-Rita bereits in den frühen 1960er Jahren erforschten. Dieser versuchte unter anderem Blinden die Sicht zu ersetzen, indem das Bild einer Videokamera in taktile Impulse auf dem Körper übersetzt wurde. Die Sichtbarmachung und Betonung der technischen Ausstattung der Performer in „Calories and Dance Moves“ versteht Balula als Referenz auf solche Experimente. Gleichzeitig streift die Anlehnung an eine Cyborg-Ästhetik Gedanken an neueste Technologien, die die Sinne des Körpers künstlich erweitern. Beispielsweise arbeiten Neurowissenschaftler und Psychologen zurzeit an der Möglichkeit, eine physische (und nicht nur psychische) Identifikation mit Avataren herzustellen.
Neben „Mimed Sculptures“ spielte auch Balulas Aktion „Painting the roof of your mouth“ (2015) mit dem Transfer zwischen verschiedenen Sinnen in der Wahrnehmung ein- und derselben Sache. Hierfür ließ der Künstler seine eigenen Gemälde in Eiscremesorten übersetzen. So schmeckte beispielsweise die Serie vergrabener Gemälde nach Dreck und Erde.
Individuelle Realitäten
„Calories and Dance Moves for the Interior Organ Systems“ ist etwas distanzierter, was das körperliche Verhältnis zwischen Betrachter und Kunst betrifft. Dennoch besteht für Balula im Übertragungsprozess, den die Besucher leisten, eine Verbindung zu seinen anderen Arbeiten: „Das Publikum nimmt selbst keine Nahrung zu sich oder fasst die Performer nicht an, aber es ist eine Art Projektion davon. Das einzelne Subjekt wird in diesem Sinne etwas entfernter adressiert, aber in den meisten meiner Arbeiten, ob Gemälde oder Performances oder Interventionen, spielt immer die Interaktion mit Menschen als Individuen eine Rolle und wie man durch die verschiedenen Sinneserfahrungen seine eigene Idee und Interpretation von Realität entwickelt.“