Anita di Bianco beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Korrekturen und Richtigstellungen in internationalen Zeitungen. Im DOUBLE FEATURE zeigt sie zwei Videoarbeiten, die diese Auseinandersetzung aufgreifen und verdeutlichen, wie schnell sich die Gesellschaft einen eigenen Reim auf Texte und Bilder macht.
Das journalistische Format der Berichtigung gewinnt oft genug eine Komik, die sich aus der absoluten Nüchternheit der Formulierung ergibt. „Die Schraube, die wir in unserer Samstagsausgabe auf Seite 1 abgebildet haben, gibt es so nicht:“, druckte beispielsweise die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Ausgabe vom 05. Oktober 2021 ab, um sogleich den Grund für den Fauxpas anzuschließen: „Die Agentur Action Press hat uns ein spiegelverkehrtes Bild geliefert, so dass der Eindruck einer linksdrehenden Schraube entstand. Was von vielen Lesern als Kommentar zum Grünen-Vorsitzenden Habeck und der politischen Richtung der Sondierungen gedeutet wurde, war ein Versehen. Ohne entsprechenden Hinweis veröffentlicht die F.A.Z. bewusst keine Fotos, die durch Manipulationen wie Spiegelungen oder versetzte Pixel verfälscht wurden.“
Kurz nach dem Abdruck wurde die Berichtigung ein zweites Mal veröffentlicht – diesmal in Anita di Biancos „The Error is Regretted“, erschienen Ende 2021 zur Ausstellung „A—Z Presents“ in Berlin. Zwei Jahrzehnte lang hatte die 1970 in New York geborene Künstlerin da schon Korrekturen, Berichtigungen und Richtigstellungen in deutsch- und englischsprachigen Zeitungen gesammelt. Zwischenergebnisse ihrer Sammlung „Corrections & Clarifications“ präsentierte sie in unregelmäßigen Publikationen, die meist im Rahmen von Ausstellungen erschienen. Das Künstlerinnenbuch „The Error is Regretted“ stellte nun den vorläufigen Höhepunkt von di Biancos Sammlung dar, eine Zeitung ohne Schlagzeilen „von Fake News bis zur Aufmerksamkeitsökonomie“, wie es in der Ankündigung zur Publikation heißt.
„Jeder ist in an diesen historischen Dingen interessiert“
Nicht alle dort versammelten Korrekturen befassten sich mit so harmlosen Fehlern wie einem spiegelverkehrten Bild. Doch zeigt schon dieses Beispiel, wie begierig und schnell sich gesellschaftliche Akteur*innen offenbar einen eigenen Reim auf Bilder und auch Texte machen – sei dies nun einer Absicht oder Unachtsamkeit geschuldet. In den filmischen Arbeiten von Anita di Bianco taucht diese Auseinandersetzung über unterschiedlichste Bedeutungsebenen sowie der Zeitgeschichte geschuldeten Verschiebungen immer wieder auf. In „Com Viet“ (2008) rezitiert der Schauspieler Jean-Baptiste Naudy zunächst off- und dann on-camera Textpassagen aus einem Interview mit der französischen Schriftstellerin Marguerite Yourcenar. Weltbekannt wurde diese durch ihren historischen Roman „Mémoires d’Hadrien“, in der sie den römischen Kaiser in Briefform sein eigenes Leben resümieren ließ. Beeindruckt zeigte sich die Kritik seitdem von Yourcenars Fähigkeit, sich intensiv in die historische Figur eingefühlt, dabei aber den faktischen Gegebenheiten sorgfältig Tribut gezollt zu haben.
Anita di Bianco lässt in ihrem Film nun längere Passagen aus dem Interviewband „Les Yeux Ouverts“ rezitieren, in dem die Schriftstellerin sich ausgiebig Überlegungen über eine spezifisch in der französischen Literatur aufzufindende Deutung von Liebe hingibt. Gedreht wurde „Com Viet“ in einem vietnamesischen Restaurant und dem Berliner Münzstudio (ehemals Münzsalon), einer aus der vorigen Jahrhundertwende größtenteils original erhaltenen Wohnung einer Fabrikantenfamilie. „Displaced Person“ (2012) hingegen wurde im Ballhaus in Berlin Mitte gedreht, ein historisches Überbleibsel aus der Welt der berüchtigten 1920er-Jahre. „Jeder ist an diesen historischen Dingen interessiert. Sachen, die ich nicht wollte, gehäuft auf Sachen, die ich wollte. […] Noch ein blöder Ballsaaltraum,“ hören wir zwei Personen in englischer, spanischer und deutscher Sprache vor sich hinreden, während ein Mann sorgfältig den Boden fegt, den Unrat der vorangegangenen Nacht entfernend. Die kleinen Tischtelefone, Relikte vergangener Swing-Tage, mit denen seinerzeit Flirtwillige andere Besuche*innen ungezwungen kontaktieren konnten, verweisen derweil auf die nur gut 100 Meter entfernte Zentrale des Bundesnachrichtendienstes, von wo aus Überwachungsmaßnahmen im Staatsauftrag durchgeführt werden. Verschiedene Zeit- und Bedeutungsebenen treffen so in „Displaced Person“ aufeinander. Die titelgebenden Figuren scheinen gefangen an einem Unort, festgesetzt zwischen Gegenwart und Vergangenheit.
Über die Einsamkeit und kleinen Augenblicke flüchtiger Zuneigung
Als weiteren Film hat sich Anita di Bianco „I don’t want to sleep alone” des malaysischen Regisseurs Tsai Ming-liang ausgesucht. Dialogarm inszeniert Ming-liang den taiwanischen Schauspieler Lee Kang-sheng, Hauptdarsteller in allen seinen Filmen, in einer Doppelrolle. Als namenloser Arbeiter, im Abspann lediglich „Homeless Guy“ genannt, wird er von einer Straßenbande halbtot geprügelt. Anschließend findet ihn Rawang (Norman Atun), ein Wanderarbeiter aus Bangladesch, der ihn an einen sicheren Ort bringt und gesund gepflegt. Die beiden entwickeln Gefühle füreinander. Im zweiten Strang folgt der Film einen kopfabwärts gelähmten Mann, ebenfalls von Lee Kang-sheng gespielt, der von einer Hausanstellten (Chen Shiang-chyi) gepflegt wird. In langen Einstellungen verwebt Tsai Ming-liang schließlich die beiden Stränge ineinander zu einem lyrischen Film über Einsamkeit und kleine Augenblicke flüchtiger Zuneigung.