Ungewohnt, radikal, konfrontativ: Daniel Richters neueste Arbeiten brechen mit dem Bekannten – die SCHIRN zeigt sie ab 9. Oktober 2015 erstmals der Öffentlichkeit.
Ab 9. Oktober 2015 zeigt die Schirn Kunsthalle Frankfurt in einer fokussierten Einzelpräsentation eine neue Serie des deutschen Malers Daniel Richter. Die rund 30 Gemälde, die in der Schirn zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert werden, stellen eine Zäsur im Werk des Künstlers dar. Daniel Richter (* 1962) ist einer der prägenden Künstler seiner Generation, dessen malerisches Werk seit den späten 1990er-Jahren in zahlreichen Ausstellungen gefeiert wurde. Mit seinen neuen Arbeiten bricht Richter mit dem, was in seiner Malerei bislang vertraut erschien. In den letzten zwei Jahren hat er sich mit der ihn herausfordernden Frage beschäftigt: „Wie lässt sich ein Bild formal reduzieren und doch gleichzeitig inhaltlich aufladen?“ Auf der Suche nach Antworten und Lösungen entwickelte Richter eine neue Bildsprache, die sich der gewohnten Motivik und Malweise, den bekannten Farben und Themen entzieht.
Seine Kunstwerke zeichnen sich durch eine bemerkenswerte stilistische Vielschichtigkeit und Wandlungsfähigkeit aus: Den Mitte der 1990er-Jahre entstandenen abstrakt-ornamentalen Gemälden setzte er um das Jahr 2000 großformatige, stärker figurative und narrative Bilder einer gesellschaftspolitischen Wirklichkeit entgegen. Durch das Kreuzen kunsthistorischer, massenmedialer und popkultureller Versatzstücke schuf er eigenwillige Welten. 2015 sind die Bildmittel reduziert, die Malweise ist vereinfacht, die eingespielten Bildthemen sind verschwunden, und das Bild ist auf seinen abstrakten Urzustand zurückgeführt. Die Gemälde der neuen Serie suchen eine ungewohnte Konfrontation. Der Künstler lässt auf formaler und inhaltlicher Ebene grobe, vereinfachte Farb- und Bedeutungsmassen aufeinanderstoßen. Richters Malen gegen die eigene Routine hat faszinierende Arbeiten hervorgebracht, die nicht nur einen Wandel, sondern auch eine bemerkenswerte Weiterentwicklung im Œuvre des Künstlers sichtbar machen.
Die neue Serie umfasst zwei Werkgruppen. In der einen widmet sich Richter der Betrachtung des Körpers und der Körperlichkeit. Der menschliche Körper war in seinen bisherigen Arbeiten stark konturiert und stets in eine übergeordnete Erzählung eingebettet. Richter behält zwar das Schablonenhafte und Fleischlose der Figuren bei, geht aber weiter: Sein Interesse gilt zuallererst der Oberfläche. Er lässt die Formen malerisch verschwimmen und löst die Figuren auf. So dominiert eine fragmentierte, gebrochene Körperlichkeit. Die Figuren sind flach und in sich verknäult, die Formen prallen schonungslos aufeinander und deuten auf die menschliche unbeherrschte Sexualität, die sich in der Pornografie visuell verfestigt. Richter entwickelte seine jüngsten Arbeiten von der Linie und der Farbe ausgehend.
Die Linie ist in seinen neuen Arbeiten nicht nur ein rein formales Mittel der Reduktion, sondern der Ausgangspunkt der Bildgestaltung. Sie versinnbildlicht gleichsam Richters Vorstellung von Bildsystemen und -schemata, die dem Menschen Phänomene der Wirklichkeit zu erfassen und grafisch darzustellen helfen. Letzteres wird besonders in der anderen Werkgruppe deutlich. In Anlehnung an Diagramme, mit denen Daten, Sachverhalte oder Informationen visualisiert werden, malt Richter amöbenhafte Felder auf einen nachträglich einfarbig angelegten Untergrund. Die Arbeiten erinnern an Landkarten oder Darstellungen von Territorialgrenzen. Alle Gemälde der neuen Serie bestechen durch ihre Materialität. Richter verzichtet fast gänzlich auf das Malen mit dem bewährten Pinsel. Anders als bei den älteren Arbeiten tönt er alle verwendeten Farben mit Weiß ab. Bis auf den Bildhintergrund malt er in den neuen Arbeiten ausschließlich mit Ölkreide. Dies führt zu einem grundsätzlich gewandelten Erscheinungsbild. Richter vermeidet zudem eine klare Sinnbildlichkeit und lässt keinen Raum für anekdotische Deutungen. Dennoch spiegeln seine Bilder seine starke Haltung gegenüber der Kunst und der Welt wider.
Seine Bilder spiegeln seine starke Haltung gegenüber der Kunst und der Welt wider.
Daniel Richter, 1962 in Eutin in Schleswig-Holstein geboren, lebt und arbeitet in Berlin. Er studierte von 1992 bis 1996 bei Werner Büttner an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und arbeitete als Assistent von Albert Oehlen. Das Spektrum seines künstlerischen Schaffens erstreckt sich neben Malerei auf die Gestaltung von Bühnenbildern und Plattencovern, etwa für das Hamburger Plattenlabel Buback, das er selbst leitet. Wie zuvor schon in Berlin und Hamburg ist er seit 2006 als Professor an der Akademie der bildenden Künste Wien tätig. Richter hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, zum Beispiel 2009 den Kunstpreis Finkenwerder – einen der höchstdotierten Kunstpreise Europas. Seine Arbeiten sind in diversen privaten und öffentlichen Sammlungen vertreten und wurden bereits in zahlreichen nationalen und internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt.