Cuteness Overload! In COSIMA VON BONINS Bildwelt ist Bambi eine wiederkehrende Referenz. Doch der süße Anschein kann trügen. Was sind die Kehrseiten des Niedlichen, wo lauern Gefahren?
Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich an Bambi denke, dann habe ich gleich seine tapsigen ersten Gehversuche vor Augen. Wie er sich erst voller Zuversicht und Neugier aufrichtet, seine kleinen dünnen Beinchen selbstbewusst durchstreckt, dann aber mit einer Mischung aus Überraschtheit und Enttäuschung wieder in sich zusammenbricht. Unsicherheit breitet sich aus, er legt seine Ohren an und schaut uns Zuschauer*innen mit seinen großen Rehaugen an, als würde er um Nachsicht bitten.
Damit ich hier nichts Falsches schreibe, habe ich mir die Szene nochmal angeschaut – und was soll ich sagen: Cuteness Overload! „Ach, ist das niedlich, ein ganz goldiges Kerlchen, ist das süß, richtig zum Liebhaben!“, spricht Bambis Mutter zu ihrem frischgeborenen Kitz, und sagt damit, was man beim Anschauen selbst denkt – oder eher fühlt. Von den anderen Tieren des Waldes wird er ‚Krümelchen‘, ‚Rehchen‘ oder schlicht ‚der Kleine‘ genannt. Awwww! Die Szene ist geradezu ein Lehrstück über Niedlichkeit: Bambi ist bedürftig und verletzlich, löst deshalb unweigerlich Fürsorge- und Beschützerinstinkte aus und verheißt Unschuld und Arglosigkeit. Er ist frei von Gier, Zynismus, Wut, Hass oder Gewaltbereitschaft. Alles in allem also eine ziemlich idealisierte Darstellung des Niedlichen.
Die Machtdynamiken des Niedlichen
In Cosima von Bonins Bildwelt ist Bambi eine wiederkehrende Referenz. Sie abstrahiert und extrahiert an seiner Figur beispielhaft einzelne Gesten des Niedlichen und entlarvt sie in ihrer Komplexität, insbesondere in Hinblick auf ihre Rolle in zwischenmenschlichen Beziehungen. Denn die Tiere in „Bambi“ sind anthropomorphisiert, sie stehen deshalb eigentlich für menschliche Eigenschaften und Emotionen. In dem Stoffbild „Upstairs Downstairs“ sehen wir eine transparente und eine schwarze Silhouette von Bambi, einschließlich seiner unbeholfenen, wackeligen Beine. Indem der unsichere Stand und die damit verbundene Hilflosigkeit von Cosima von Bonin freigestellt wird, richtet sie die Aufmerksamkeit auf eine Kehrseite des Niedlichen, die Daniel Harris in seinem vielzitierten Aufsatz „Cuteness“ von 1992 wie folgt beschrieben hat: „Cuteness, in short, is not something we find in our children but something we do to them.“ Niedlichkeit ist nicht immer eine Eigenschaft, sondern kann auch eine Zuschreibung sein. Als Zuschreibung wird sie aber zu einem sadistischen Akt, zu einer entmachtenden Geste. Infantilisierung geht immer auch mit der narzisstischen Lust einher, sich überlegen fühlen zu können.
Cuteness, in short, is not something we find in our children but something we do to them.
Aber die Machtdynamiken des Niedlichen sind noch komplexer. Man könnte das Bild nämlich auch als eine Anspielung auf die berühmteste Szene des Films lesen, nämlich den Tod von Bambis Mutter. Steht Bambi hier gerade, vom ersten Schuss der Jäger aufgeschreckt, an der winterlichen Futterstelle? Immerhin ist es der Schlüsselmoment des Films, der auch das Ende von Bambis Niedlichkeit einleitet. Wenn klar wird, dass seine Mutter verstorben ist, entsteht die Befürchtung, dass Bambis Verletzlichkeit, seine Bedürftigkeit dafür verantwortlich gewesen sein könnte. Plötzlich stellt sich die umgekehrte Frage: Wieviel Niedlichkeit und damit Verletzlichkeit kann ich anderen eigentlich zumuten? Wie gefährlich kann das Niedliche im Sinne einer Selbstinfantilisierung – wenn auch ungewollt – sein?
Das Niedliche und die Manipulation
Eine ähnliche Wendung des Niedlichen und Unschuldigen beschreibt Cosima von Bonin auch in ihren beiden Arbeiten „Love Bombing“ und „Gaslighting“, ebenfalls Stoffbilder. Auf „Love Bombing“ ist Bambi zu sehen, man erkennt ihn an seinem wuscheligen Pony, auf „Gaslighting“ seine Freundin Feline. Im Film dient die Beziehung der beiden einer idealisierten Darstellung des gemeinsamen Erwachsenwerdens von einer kindlichen Freundschaft über eine romantische Liebesbeziehung bis hin zur Familienbildung. Durch die Titelgebung, die als Schriftzug auch in den Bildern selbst auftaucht, stellt Cosima von Bonin solche normativen Beziehungsbilder infrage. Ein starker Schutzinstinkt und übermäßige Zuneigung ist nicht immer wünschenswert. Es kann auch übergriffig sein oder bedrohlich werden – zum Beispiel im Sinne eines „Love Bombing“, wie man manipulative Taktiken bezeichnet, um ein Gegenüber emotional zu missbrauchen, damit schnell sein Vertrauen gewonnen und dadurch an ein wie auch immer geartetes persönliches Ziel gelangt werden kann.
Und hinter einem vermeintlich verständnisvollen Gespräch zwischen engen Partner*innen, kann sich auch „Gaslighting“ verbergen, eine Form psychologischen Missbrauchs, bei dem Informationen systematisch verdreht werden, um die Wahrnehmung des Gegenübers infrage zu stellen.
Cosima von Bonins Protagonist*innen haben ihre Niedlichkeit nicht nur ästhetisch, sondern auch emotional verwirkt, selbst der allerniedlichste unter ihnen – Bambi. Das ist einerseits ein wenig traurig, weil es Charaktere sind, die für viele Kindheiten prägend gewesen waren. Weil die Charaktere Eigenschaften verkörperten, denen man einst nacheiferte, die man cool fand oder (in ihren Schwächen) cute und liebenswert. Wenn Cosima von Bonin die Figur Bugs Bunny in die Tonne klopft, dann mit ihr auch das trickreiche Verhalten, das sie an den Tag zu legen vermochte. Schaut man sich die Looney Tunes Episoden genauer an, lässt sich dem cuten Hasen ohne größere Probleme hier und da auch mal „Blame Shifting“ unterstellen, wie es der Titel nahelegt.
Aus der Arbeit von Cosima von Bonin geht nie so richtig hervor, wie sie zu ihren Referenzen steht. Ist es eine Kritik an den in Disney-Filmen und Warner Bros-Produktionen forcierten normativen Vorstellungen von Geschlechtern und Beziehungen? Ist es eine Entmystifizierung von kommodifizierten Darstellungsweisen von Liebe, Freundschaft, Liebenswürdigkeit? Dass sie für „Love Bombing“ und „Gaslighting“ die Curlz-Typo verwendet – sprich: auf Crappy Design anspielt –, stellt wiederum diese kritischen Kommentare selbst als kommodifiziert und unbrauchbar heraus. Ist es gar als Kritik an einer durchpsychologisierten Gegenwart zu verstehen, wo Diskurse, die eigentlich sensibilisieren sollen, ihrerseits zu Machtinstrumenten geworden sind? Diese Fragen lassen sich nicht beantworten, doch Cosima von Bonins Arbeiten geben Anlass, solche Haltungen durchzuspielen und die Kippmomente in komplexen Machtbeziehungen genauer zu durchdenken.