Daffy Duck ist aus dem künstlerischen Œuvre von COSIMA VON BONIN kaum wegzudenken. Was für eine Geschichte verbirgt sich hinter der polarisierenden Cartoon-Gestalt?
Beim Betreten der Ausstellung COSIMA VON BONIN. FEELINGS fällt sie direkt ins Auge: Eine schwarze Ente vor einem grünen Hintergrund scheint gegen das tiefschwarze Nichts zu kämpfen und ziert mehrere, im Raum arrangierte Leinwände. Mal ist ihr die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben, mal stemmt sie sich mutig und selbstbewusst gegen ihr potenzielles Verschwinden. In einem anderen Bild schiebt sie – die Betrachter*innen panisch anblickend – die angeschnittenen Worte „The End“ aus dem Bildrahmen, als wolle sie das bevorstehende Ende ihrer Darbietung verhindern. Schlussendlich sind jedoch alle Bemühungen vergeblich: Der Vorhang ist gefallen. Die Ente ist hinter diesem verschwunden. Wollte sie uns noch etwas mitteilen?
Ein weiteres Bild: Dieselbe Ente, die vor Kurzem noch gegen einen übermächtigen Feind – das schwarze Nichts des Abspanns – angekämpft hat, stützt nun ihre rechte Hand entspannt auf den Bildrahmen auf. Sie ist als Silhouette dargestellt, ihre Gesichtszüge und andere Merkmale sind nicht abgebildet. Ihre Körperhaltung vermittelt Gelassenheit. Doch der Titel des Werks „Emporkömmling“ straft der Pose Lügen und verweist auf die harte Arbeit, die für den Erfolg notwendig ist.
Bei der Ente handelt es sich um Daffy Duck, eine Zeichentrickfigur der Film- und Fernsehgesellschaft Warner Bros., welche die Arbeiten von Cosima von Bonin seit einigen Jahren begleitet. „Die ungekrönte Königin der Cartoons” nennt Daniel Kothenschulte die Künstlerin im jüngsten Artikel des Monopol Magazins „Adlerauge und Adlerohr“ (2024) und verweist auf ihre Liebe zum Zeichentrick. Bevor Daffy Duck Teil ihrer Werke wurde, entdeckte sie Disneys Star Donald Duck für sich. Es folgten weitere Cartoon-Figuren wie Bambi und Bugs Bunny. Doch während diese nur gelegentlich in den Arbeiten der Künstlerin erscheinen, wird die quirlige Ente namens Daffy regelmäßig in Szene gesetzt – wobei Ausschnitte aus Filmen und Serien mit ihr oft als Vorbilder für die Werke dienen.
Wer ist Daffy?
„Boshaft“, „eigennützig“, „gierig“, „durchgeknallt“, „eifersüchtig", „egoistisch“, „abgedreht“, aber auch „selbstbewusst“, „temperamentvoll“, „unbekümmert“, „nonkonform“, „mutig“ und „missverstanden“ sind Begriffe, mit denen die Figur von ihren begeisterten Fans wie ewigen Kritiker*innen beschrieben wird. Doch wer ist Daffy eigentlich?
1937 hatte die Unfug treibende Ente erstmals ihren Auftritt. In dem Kurzfilm „Porky’s Duck Hunt“ wird sie von Porky Pig mit dem Gewehr gejagt und stürzt als namenlose Figur ihre Umwelt in heilloses Chaos. „I’m just a crazy, darn fool duck!“, wendet sich Daffy Duck im Film kichernd an seinen überforderten Kontrahenten und das Publikum. Mit diesem waghalsigen Auftritt erregte der schwarzgefiederte Erpel viel Aufmerksamkeit, entsprach er doch nicht den bekannten Zeichentrickfiguren der Zeit, wie zum Beispiel Micky Maus. Die lispelnde Aussprache und seine temperamentvolle Art stellten seither das Markenzeichen von Daffy Duck dar.
Ein Vertreter der Arbeiter*innenklasse?
Die Filmwissenschaftlerin Sloan De Forest weist in ihrem Artikel „Daffy Duck Is My Anti-Hero – Or – What Makes Daffy Duck? An Analythith“ (2022) darauf hin, dass Daffy Duck in seiner frühen Phase häufig Rollen aus der Arbeiter*innenklasse einnahm. Als hart arbeitende Figur, die sich für keinen Job zu Schade war, wurde er filmisch in Szene gesetzt. Darin lässt sich laut De Forest eine Parallele zu Warner Bros. erkennen, das wiederum in den 1930er-Jahren als arbeiter*innenfreundliches Filmstudio Bekanntheit erlangte.
Obwohl Daffy Duck mit seinem ungebremsten, aber stets cleveren Auftreten auffiel, änderten Chuck Jones, Robert McKimson und Friz Freleng dies im Zuge einer Neugestaltung. Sie verliehen ihm ein charakteristischeres Aussehen und passten sein Temperament an.
Ein immerwährender Loser?
Als häufiger Gegenspieler von Bugs Bunny wurde Daffy Duck nun zum selbstsüchtigen Versager, dessen Streiche und großspuriges Gehabe stets nachteilig für ihn waren. In folgenden Filmen wurde seine Gier verstärkt und er verwandelte sich in eine Figur, die sich um jeden Preis bereichern wollte. „Mine! Mine! Mine!“ stellte in dieser Zeit einen beliebten Ausspruch der Ente dar und war ein Zeichen seines unstillbaren Bedürfnisses nach Aufmerksamkeit. Auch heute noch erfreut sich die bekannte Ente einer großen Beliebtheit. Im Gedächtnis ist sie insbesondere durch Zeichentrickklassiker wie „Duck Amuck” (1953) und regelmäßige Auftritte in der „Looney Tunes“ Show (1930-heute) geblieben.
Daffy Ducks einflussreichster Zeichner und Regisseur Chuck Jones gab 1989 in einem Interview der Radio-Talkshow Fresh Air Einblicke in seine Beziehung zu der Ente: „[…] I always liked Daffy because he would continue beyond where I would stop, simply because I'd be afraid of what the community would think of me. Daffy continues.“ Seine vermeintlich negativen Eigenschaften sind Daffy Ducks Stärke. Während Bugs Bunny häufig eine heldenhafte Figur (intelligent, selbstbewusst, eloquent) darstellt, vereint Daffy Duck jene menschlichen Emotionen, denen wenig Raum gegeben wird.
Ein Advokat der Unvollkommenheit und Emotionalität!
Diese Menschlichkeit macht ihn nachvollziehbar und sympathisch. Bereits 1987 – zum 50. Geburtstag der Figur – wurde in dem Artikel „At 50, with a New Picture, Daffy Is Still a Wild Duck“ der Zeitung Orlando Sentinel Daffy Ducks beständige Nähe zu seinen Zuschauer*innen angemerkt. Auch Jones stellte in seinem Interview zwei Jahre später fest, dass in ihm einige Daffy-Eigenschaften schlummern: „[…] when I was working with him, all I had to do is reach down inside of me and bring the Daffy up to the surface and spread it out and take a look at it and see what would I do if I were - if I had Daffy Duck's courage.“
Cosima von Bonin scheint ebenfalls eine Schwäche für diese andauernd scheiternde und zum Neubeginn gezwungene Figur zu haben. Verlierer. Nichtskönner. Emporkömmling. Daffy Ducks Unvollkommenheit wirkt als gesellschaftliches Korrektiv und hält unserer von Leistungsdruck geprägten Welt einen Spiegel vor. Mit seiner polarisierenden, überemotionalen Art ist er die perfekte Identifikationsfigur für eine Ausstellung, unter deren Titel „feelings“ jegliche Form von Gefühlen und Seinszuständen Raum finden.
Am Ausstellungsende angelangt, tritt Daffy Duck ein letztes Mal in Erscheinung – dieses Mal als Prediger mit Lendenschurz. „Church of Daffy“ heißt diese lebensgroße Skulptur, die 2023 entstanden ist. Sollen wir uns an ihm ein Beispiel nehmen? Cosima von Bonin scheint auf diese Frage eine Antwort zu haben: „Ich wäre so gerne wie Daffy“, äußert sich die Künstlerin in ihrem Gespräch mit dem Monopol Magazin. Daffy Ducks ewiger Kontrahent Bugs Bunny – als unzählige Stofftiere in dem Werk „Blame Shifting“ von Cosima von Bonin reproduziert – wird von der Künstlerin kurzerhand in den Mülleimer befördert. Eine starke Geste, mit der die „ungekrönte Königin der Cartoons“ der Perfektion in Hasengestalt den Kampf ansagt, während sie Daffy als Schutzpatron der Unvollkommenheit in „Church of Daffy“ auf ein Podest stellt. An der Kante der Plattform positioniert, scheint sein Triumph fragil. Wird ihn sein Hochmut wieder einmal zu Fall bringen?