Die SCHIRN präsentiert vom 21. März bis zum 9. Juni 2024 eine einmalige Inszenierung mit neuen und bekannten Arbeiten der Künstlerin COSIMA VON BONIN.
Cosima von Bonin (*1962) schafft Transformationen des Alltäglichen. Die SCHIRN präsentiert vom 21. März bis zum 9. Juni 2024 eine einmalige Inszenierung, für die die Künstlerin jüngste, noch nie in Deutschland gezeigte Arbeiten mit bekannten Werken kombiniert. Für ihre raumgreifenden Ausstellungen nutzt sie zahlreiche Referenzen aus der Populärkultur ebenso wie aus Film, Mode, Musik und Kunst. Erschöpfte Kuscheltiere, weiche Zäune, Raketen, Comic-Figuren wie Daffy Duck oder Bambi – Cosima von Bonin verbindet verschiedene Akteur*innen zu einem Ensemble, einer Gemeinschaft. Ihre künstlerischen Strategien sind Verfremdung, Aneignung, Zusammenarbeit und Delegieren. Zu sehen sind rund 70 Arbeiten, darunter Skulpturen, Installationen sowie eine Auswahl ihrer charakteristischen textilen Bilder, die aus verschiedenen Stoffen nach Anweisung der Künstlerin genäht wurden. Ihre Rauminszenierungen, die zunächst bunt und lustig wirken, können bei näherer Betrachtung für irritierende Momente und gemischte Gefühle sorgen. Zwischen Humor und Dunkelheit, Verspieltheit und Dringlichkeit, Fantasie und erschreckender Realität changierend, geht es der Künstlerin dabei immer wieder um Widerspruch, Beziehung und Selbstreflexion.
„WIR SIND VIELE“
Die Vielfalt der Bezüge ist ein Markenzeichen Cosima von Bonins. Basis ihrer Kunst ist ein breites Netzwerk, auf das sie sich in ihren Werken bezieht oder das sie direkt in ihre Ausstellungen einbindet. Ihre ausgewiesenen Referenzen reichen von den Künstler*innen Isa Genzken, Mike Kelley und Cady Noland über Musiker*innen wie Rihanna, Britney Spears oder Missy Elliott bis hin zu Vorbildern aus TV, Literatur und Fashion. „Wir sind viele“ überschreibt sie ihre künstlerische Praxis und durchbricht traditionelle Vorstellungen von Autor*innenschaft. Cosima von Bonin involviert in den Herstellungsprozess ihrer Arbeiten Techniker*innen, Schreiner*innen sowie Schneiderinnen und arbeitet in ihren Inszenierungen mit Musiker*innen wie Moritz von Oswald und Dirk von Lowtzow oder den Drag Queens Mary Messhausen und proddy produzentin zusammen. Zu ihren Kollaborateur*innen zählen auch wiederkehrende Figuren, Charaktere und Gegenstände, die in ihrem Werk häufig in Variationen und in Serien auftauchen. Wie eine Familie führt die Künstlerin sie im Ausstellungsraum auf Podesten, in Displays und Set-Designs zusammen und lässt sie zueinander in Beziehung treten.
MOMENTE DER IRRITATION
In der SCHIRN präsentiert Cosima von Bonin Skulpturen aus verschiedensten Materialien und Oberflächen. Ihre textilen „soft sculptures“ lassen Kleines groß, Hartes weich und Süßes bitter werden und finden ihre Vorbilder in Werken von Dorothea Tanning, Claes Oldenburg oder Mike Kelley. Gleich im ersten Raum der Ausstellung zeigt eine Installation ein riesenhaftes kuscheliges Küken auf einer überdimensionierten Rakete sitzend. In „Open Your Shirt Please 6“ (2019) liegt eine Gruppe rosa Schweinchen platt und müde auf einer Platte aus rostfreiem Stahl. Cosima von Bonins spielzeugartige Figuren wirken oft niedlich, bevor sich ein Moment der Irritation einstellt. Das Küken ist in sich zusammengesunken und hat sich auf sich selbst erbrochen, neben den Schweinchen liegen Fetischspielzeuge wie Handschellen.
An den Wänden oder in Podeste eingelassen zeigt die SCHIRN auf Keilrahmen gespannte Textilbilder, die Cosima von Bonin „Lappen“ nennt. Sie wirken wie Werbetafeln und erinnern an Blinky Palermos Monochrome der späten 1960er-Jahre oder Sigmar Polkes Malereien auf billigen Stoffen. Neben Zitaten aus der Comic-Welt greift die Künstlerin in diesen aus verschiedenen Textilien zusammengesetzten Patchwork-Arbeiten Signature Styles von Designer*innen wie den X-Stitch von Martin Margiela oder Textfragmente aus Songs und Literatur auf.
Innere Widersprüche und abgründiger Humor treten in Cosima von Bonins Arbeiten häufig aus einem Spiel mit Wort und Bild hervor. So verwendet sie für die Kunststoffskulptur „Cute (Pink Version)“ (2018) die Lettern einer Schriftart, die an die Titelbilder von Gruselromanen erinnert. In den Textilbildern „Gaslighting“ und „Love Bombing“ (beide von 2023) wiederum bringt die Künstlerin die süßen Konturen von Bambi mit Bezeichnungen für psychische Manipulationstechniken in Liebesbeziehungen zusammen.
MOMENTE DES SCHEITERNS UND WEITERMACHENS
Als Schlüsselfigur ihres Werks begleitet die Comic-Ente Daffy Duck das Publikum wie ein Leitmotiv durch die Ausstellung in der SCHIRN. Kennzeichnend für die kampflustige lispelnde Nervensäge Daffy ist ihr egoistischer, geltungssüchtiger und unerschütterlicher Charakter. Obwohl sie immer wieder scheitert, gibt sie sich nie geschlagen, sondern steht auf und macht weiter. In der Serie „Open Your Shirt Please 1–9“ von 2019 kämpft Daffy Duck gegen das mächtige Schwarz, das ihn aus dem Bild zu drängen droht. Unverdrossen erscheint er jedoch immer wieder auf der Bildfläche. In den jüngsten Textilarbeiten wie „Kalt Modern Teuer“ sowie „Emporkömmling“ und „Social Climber“ (alle 2023) zeigt sich der Antiheld mit neuem Selbstbewusstsein. Die Skulptur „Church of Daffy“ (2023) im letzten Raum der Ausstellung präsentiert ihn schließlich wie einen Propheten mit erhobenen Händen und im karierten Lendenschurz. Doch ist er schon so nah an den Rand seines Podests getreten, dass er zu fallen droht. Daneben steckt in „Blame Shifting“ (2020) eine ganze Gruppe von Bugs Bunnys kopfüber in einer Mülltonne.
Immer wieder adressiert die Künstlerin in ihren Bildwelten die Strategien des Kapitalismus und der Vermarktung, die Konsumwelt und das große Bedürfnis der Menschen dazuzugehören. Häufig artikulieren ihre Arbeiten einen Zustand der Müdigkeit und Erschöpfung oder zelebrieren die Untätigkeit und das Faulenzen. Sie bringen damit auch eine Verweigerungshaltung gegenüber neoliberaler Arbeitsmoral und gesellschaftlichen Regeln zum Ausdruck. So entsprechen drei mit Samt überzogene Stoffzäune aus der Serie „Fence (Short Version, Long Version, Corner Version)“ von 2020 nicht den Vorstellungen von einer wehrhaften Abgrenzung, sondern wirken vielmehr weich und anschmiegsam. Wie die Zäune erscheinen auch drei Leuchtskulpturen in Form von qualmenden Zigaretten unangepasst und signalisieren Rebellion und Müßiggang.
Andere Werke der Ausstellung wie eine Gruppe von zwölf leuchtend bunt hochglanzlackierten Raketen aus der Serie „Loser“ (2020/21) begegnen Leistungsdruck und Selbstoptimierungswahn mit glatten, harten Oberflächen, motiviert und aufrecht stehend. Doch verspricht ihr Titel „Loser“ keinen Erfolg. In der Skulptur „Kings of the B“ (2019) sind zwei Raketen bereits erschlafft in einem Zementmischer stecken geblieben. In „What If It Barks 5 (Petite Version With Blue Ukulele)“ und „What If It Barks 6 (Petite Version With Black Ukulele)“ (beide 2018) scheinen zwei Fische im Bühnenoutfit jederzeit bereit, mit ihren Ukulelen ein Lied anzustimmen. Auch hier täuscht der erste Eindruck: Einer der Makrelen hängt das Instrument wie ein Gewicht an einer Kette um den Körper, und das Musizieren bleibt wohl aus. Es ist dieses Wechselspiel der Performativität, der Gefühle, des Scheiterns und des Weitermachens, das Cosima von Bonin in der Ausstellung als dem Soziotop ihrer Kunst kreiert.