Die CASABLANCA ART SCHOOL wollte Kunst zu einem Teil des städtischen Lebens machen, sichtbar für alle und in Interaktion mit der Alltagskultur der Stadt. Das bis heute fortbestehende Kulturfestival „Asilah Moussem Culturel“ zeigt, wie sie diese großen Ideen umzusetzen verstanden.

Seit den späten 1960er-Jahren sind Künstler*innen der Casablanca Art School neue Wege gegangen, um ihre Kunst im Stadtraum zu zeigen und die Stadt als Reflexionsraum für ihre Kunst zu nutzen. Nachdem sie dies 1969 zunächst mit den Straßenausstellungen „Présence Plastique“ auf öffentlichen Plätzen in Marrakesch und Casablanca erprobten, machten sie seit 1978 auch die kleine Stadt Asilah im Norden Marokkos zu einem Laboratorium für Kunst im öffentlichen Raum. Ihr Anliegen, Kunst aus den elitären Institutionen auf die Straße zu holen und in einen Austausch mit der Kultur und dem künstlerischen Erbe marokkanischer Städte zu bringen, klang in Asilah nach und nahm neue Töne an, auch wenn kaum ein Echo davon in die großen Städte zurückhallte.

Programmatische Manifesto- Ausstellung Présence Plastique, Place du 16 Novembre, Casablanca, Juni 1969, Foto: Atala estate/archives
Wandgemälde von Mohammed Chabâa, Asilah-Kulturfestival, Asilah, Marokko, 1978, Foto: Mohamed Melehi / Mohamed Melehi Estate

Mit der Kunsthochschule verbunden war das Festival „Asilah Moussem Culturel“ dabei vor allem durch seinen Mitbegründer, Mohamed Melehi. Gemeinsam mit seinem Freund aus Kindheitstagen, Mohamed Benaïssa, der zum damaligen Zeitpunkt im Stadtparlament von Asilah saß und ab den 1980er-Jahren verschiedene Minister- und Diplomatenposten inne hatte, begründete er zusammen mit Toni Maraini 1978 das Festival in seiner Heimatstadt Asilah – einer kleinen, historisch reichen, damals jedoch recht vernachlässigten Stadt an der Atlantikküste nicht weit von Tanger.

Ein progressives Festival in politisch unruhigen Zeiten

Melehi hatte sich bereits Anfang der 1970er-Jahre von einem links orientierten Kreis innerhalb der Casablanca Art School distanziert. Die Zeitschrift „Souffles-Anfas“ hatte er noch vor ihrem Verbot 1972 und der Verhaftung ihrer Mitbegründer verlassen, woraufhin er begann, die Zeitschrift „Integral“ herauszugeben. Die Gründung des „Moussem“ von Asilah ist also auch vor dem Hintergrund massiver politischer sowie kultureller Repressionen in Marokko zu sehen. In dieser Zeit gelang es Melehi, Maraini und Benaïssa, ein großes internationales Festival an einem kleinen Ort fernab der Machtzentren zu begründen, das neue partizipative Kunstformate und progressive Debatten im öffentlichen Raum ermöglichte und zugleich die Unterstützung der Monarchie und internationaler Förderer, vor allem aus den Golfstaaten, fand.  Nichtsdestotrotz gab es auch lokale Initiativen, Schriftsteller*innen und Intellektuelle, die eine Vermarktung von Kultur und die Verdrängung lokaler Künste durch die politischen und ökonomischen Interessen des „Moussem“ fürchteten, das in ihren Augen vor allem auf städtische Entwicklung und weniger auf eine künstlerische Bewegung setzte.

Während der Sommermonate 1978 war in Asilah bereits ein internationales Kulturfestival geplant, das sich mit dem von Benaïssa, Maraini und Melehi initiierten „Moussem“ zum Teil vermengte. Entsprechend divers und nahezu überladen war das Programm im ersten Jahr. Über mehrere Wochen im Sommer fanden Ausstellungen, Konzerte, Theater- und Filmaufführungen statt, ergänzt durch Workshops, Werkstätten und Konferenzen. Bereits im Frühjahr wurden bedeutende Künstler*innen Marokkos eingeladen, die zugleich auch Vertreter*innen der Casablanca Art School waren oder zu ihrem Umfeld zählten, um Hausfassaden in Asilah zu gestalten, darunter: Farid Belkahia, Mohamed Melehi, Miloud Labied, Mohamed Hamidi, Mohamed Chabâa, Saad Hassani, Chaibia Talal, Hossein Miloudi, Mohamed Kacimi und Abderrahmane Rahoule.

Wandmalereien von Farid Belkahia (Mitte) und Mohammed Hamidi (rechts), Asilah, Marokko. 1978, wie veröffentlicht in Asilah: Premier moussem culturel, juillet/août 1978, Ausstellungskat. (Casablanca: Shoof, 1978). Abdruck mit Genehmigung des Fotografen Mohammed Melehi; Image via contemporaryand.com

Hussein Miloudi, Wandmalerei, Asilah, Marokko. 1978, wie veröffentlicht in Asilah: Premier moussem culturel, juillet/août 1978, Ausstellungskat. (Casablanca: Shoof, 1978). Fotografie von Mohammed Melehi. Nachdruck mit Genehmigung von Mohammed Melehi und Hussein Miloudi; Image via contemporaryand.com

Ein Wandgemälde in Asilah, Marokko. 2018, foto: Yassine Balbzioui, Foto Courtesy Assilah Forum Foundation; Image via contemporaryand.com

Ihre großen, farbintensiven Wandmalereien auf den weißen Häusern der Medina, dem alten Teil der Stadt, wurden zum Markenzeichen des neuen Festivals und Küstenorts. Sie entstanden meist in Zusammenarbeit mit Schulkindern, verblieben das Jahr über auf den Wänden und wurden zur nächsten Edition des Festivals von den jeweils eingeladenen Künstler*innen wiederum neugestaltet. Von Beginn an wurde zudem Wert daraufgelegt, die Bewohner*innen Asilahs in das Festival einzubinden. Die lokalen Geschäfte konnten während des Sommers von den tausenden Besucher*innen profitieren, Geld floss in die Restaurierung von historischen Gebäuden und städtischer Infrastruktur, ein alter Palast wurde zum Kulturzentrum ausgebaut und neue kulturelle Einrichtungen wurden errichtet. Vor allem Kinder und Jugendliche konnten sich unter der pädagogischen Leitung von Toni Maraini beteiligen, indem sie dabei halfen, die Hausfassaden weiß zu tünchen, die Stadt sauber zu halten und den Künstler*innen bei ihrer Arbeit zu assistieren.

Zwischen kommunalen Traditionen und Neuerungen

Dieser integrative und saisonale Aspekt des Festivals spiegelt sich auch in dem Wort „Moussem“, im marokkanischen Dialekt die Bezeichnung für ein jährliches kommunales Fest anlässlich einer Erntezeit oder der Verehrung eines Heiligen. Der Bezug auf kommunale Traditionen mag dazu gedient haben, sich von dem bestehenden internationalen Festival abzugrenzen und die Akzeptanz für Neues durch den Bezug auf kulturell Verankertes zu stärken, insbesondere für die Wandmalereien, die das Stadtbild komplett veränderten. Andererseits sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass das bis heute fortbestehende „Moussem“ von Asilah über die Jahre einen recht exklusiven Charakter annahm, oft die immer gleichen Künstler*innen eingeladen waren und sich das Festival wenig um die Förderung jüngerer Künstler*innengenerationen und künstlerische Neuerungen bemühte oder ihnen gegenüber auch nur offenstand.

Fokussiert man hingegen die frühen Festival-Editionen, lässt sich festhalten, dass in Asilah im Kleinen gelang, was sich an großen Ideen bereits zuvor in Casablanca entwickelt hatte: Verschiedene Künste, Stile, Herkünfte und Generationen trafen aufeinander und machten Kunst und Kultur zu einem prägenden Merkmal der Stadt. Das „Asilah Moussem Culturel“ wurde somit zu einem umfassenden kulturpolitischen Projekt, bei dem der kleine Küstenort während einiger Wochen im Sommer zu einer Bühne und einem internationalen Begegnungsort für Künstler*innen, Schriftsteller*innen und Intellektuelle wurde, aber auch zu einem Gestaltungs- und Gedankenraum für postkoloniale kulturelle Entwicklungen in afrikanischen und arabisch-geprägten Ländern.

CASA­BLANCA ART SCHOOL. EINE POST­KO­LO­NIALE AVANT­GARDE 1962–1987

12. JULI – 13. OKTO­BER 2024

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