Schuhe erzählen eine Geschichte, geben Geheimnisse preis über die Persönlichkeit derjenigen, die sie tragen, über ihren gesellschaftlichen Status und ihre Wünsche. Kein Wunder also, dass Künstler*innen wie Carol Rama sie zum wiederkehrenden Motiv ihrer Werke erhoben. Von Jan van Eyck über Carol Rama bis hin zu Jo Cope sind hier einige der faszinierendsten Darstellungen von Schuhen in der Kunstgeschichte versammelt.
Kleidungsstücke und Accessoires dienten im Laufe der Geschichte als beliebtes Sujet künstlerischer Darstellung. Doch gibt es einen bestimmten Gegenstand, der nie aus der Mode kam und gewiss eine Vorrangstellung gegenüber allen anderen einnimmt: der Schuh. Er bietet funktionalen Schutz gleichermaßen wie eine skulpturale Form und kommuniziert die Wertsetzungen ebenso wie die Persönlichkeit seiner Träger*innen. Ist ihnen Bequemlichkeit wichtiger als Ästhetik? Dient der Schuh beruflichen Zwecken oder aber dem Vergnügen? Schuhe sind politisch. Schon auf den ersten Blick geben sie Auskunft über den sozioökonomischen Status. Und auch gar keine Schuhe zu tragen, verrät viel über die Lebensumstände der jeweiligen Person. Insofern fand der Schuh unweigerlich auch Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch, so etwa in Redewendungen wie „jemandem etwas in die Schuhe schieben“, „wo der Schuh drückt“ oder „jemandem die Stiefel lecken“. Darüber hinaus können Schuhe eine verführerische Wirkung entfalten und zum Objekt wilder Fantasien werden. Sie begleiten uns Tag für Tag und tragen uns durch das Leben. Beginnend bei der Antike, möchten wir hier den Weg von Schuhen in der Kunst anhand einzelner Werke nachzeichnen.
1. Dionysios aus Berytos, „Gruppe von Aphrodite, Pan und Eros“, 100 v. Chr.
Künstler*innen und Philosoph*innen des hellenistischen Griechenlands waren vermutlich die Ersten, die den Schuh in ihren Werken mitbedachten. So verewigten Bildhauer*innen in Marmor das göttliche Treiben auf dem Pantheon und machten die Begegnung zwischen Aphrodite, Pan und Eros wiederholt zum Thema ihrer Kunst. Die hier abgebildete Skulptur wurde 1904 auf der griechischen Insel Delos aufgefunden. Sie zeigt die Liebesgöttin Aphrodite, bedrängt von Pan, dem bockshufigen Gott der Natur und Fruchtbarkeit. Aphrodites Sohn Eros, der geflügelte Gott der romantischen Liebe, schiebt Pans Horn von sich weg, um seine Mutter zu schützen. Pans Versuch der Nötigung kann von der Göttin aber erfolgreich abgewehrt werden, ist sie doch im Besitz der ultimativen Waffe – einer Ledersandale. Wo nach dem Raub der Helena tausend Schiffe entsandt wurden, da ließ Aphrodite tausend Schuhe für sich sprechen.
2. Jan van Eyck, „Das Arnolfini-Porträt“, 1434
Das geheimnisvolle „Arnolfini-Porträt“ stammt von Jan van Eyck und ist ein Meisterwerk der niederländischen Renaissance. Es stellt den italienischen Kaufmann Giovanni di Nicolao Arnolfini zusammen mit einer Frau – vermutlich seiner Gemahlin – dar, die Hand in Hand in einem Schlafzimmer stehen. Über die genaue Auslegung der Komposition wird bis heute intensiv diskutiert. Von der einzelnen, im Kronleuchter brennenden Kerze bis hin zu dem flauschigen Hund hat jeder Bildgegenstand seinen eigenen symbolischen Gehalt. Von besonderem Interesse sind die beiden hier im Bild dargestellten Paar Schuhe: Arnolfinis im Vordergrund erscheinende Pantinen – hölzerne Überschuhe, die zum Begehen schlammiger Straßen dienten –, und die aufwendig verzierten, roten Pantoffeln seiner Ehefrau im Hintergrund. Nach einer These des Kunsthistorikers Erwin Panofsky stehen die Schuhe sinnbildlich für die eheliche Treue des Paares. In Anbetracht des ungewöhnlich intimen Schauplatzes stellte Panofsky die Vermutung auf, dass das porträtierte Paar die Heiligkeit des Ehebettes achte und sich auf den Vollzug der ehelichen Verbindung vorbereite.
3. Jean-Honoré Fragonard, „Die glücklichen Fügungen der Schaukel“, 1767/68
Jean-Honoré Fragonards Gemälde „Die glücklichen Fügungen der Schaukel“ fängt die Epoche des Rokoko in seiner Quintessenz ein. Ungeniert entfaltet es ein Tableau frivoler Unsittlichkeit. Auch in maltechnischer Hinsicht beeindruckt das Werk in seiner Detailgenauigkeit sowie in der Führung von Licht und Schatten. In Auftrag gegeben wurde es von einem französischen Adligen, der abgebildet zu werden wünschte, wie er seiner auf einer Schaukel schwingenden jungen Geliebten unter den Rock sieht. Eine solch skandalöse Szene wollte der ursprünglich vorgesehene Künstler jedoch nicht malen und gab den Auftrag weiter an Fragonard, der für seine Darstellungen erotischer Sujets bekannt werden sollte. Der sich lösende zierliche Pantoffel fliegt durch die Luft und gibt den Blick frei auf den anmutig gewölbten Fuß der Dame. Ein verlorener Schuh symbolisiert in der Bildsprache des Rokoko den Verlust der Jungfräulichkeit. Die Schaukel wiederum ist nicht nur ein Symbol für Reichtum, sondern zugleich eine Metapher für die Freiheit und die Freiräume, die ein libertärer Umgang mit Sexualität eröffnet. Und es ist auch kein Zufall, dass der Schuh mit der Öffnung nach unten weist. Nach Ansicht von Michel Delon, einem Spezialisten für das Jahrhundert der Aufklärung, verbirgt sich hierin eine kokette Anspielung auf den Ausblick, den der in der Szene dargestellte Auftraggeber sichtlich genießt.
4. Vincent van Gogh, „Drei Paar Schuhe“, 1886/87
Neben den Studien von Arbeiter*innen, die für ihn Modell standen, malte Vincent van Gogh ebenfalls eine Werkreihe mit Darstellungen ihrer Schuhe. Auch wenn in dem Gemälde „Drei Paar Schuhe“ die Gesichter ihrer Besitzer nicht zu sehen sind, verleiht ihm der ausgeprägte Charakter der Stiefel doch eine fast porträthafte Qualität. Die für das bloße Auge erkennbaren Pinselstriche betonen den Zustand des Leders, das durch Schweiß und Wettereinflüsse geformt und aufgeweicht wurde. Die Abnutzungsspuren und die freiliegenden Nagelköpfe auf der Sohle des umgedrehten Stiefels verraten, dass sein Träger die Fußaußenseite stärker belastete. Tatsächlich übermalte van Gogh hier ein zuvor angefertigtes Gemälde, das eine Blumenvase zeigte. In der endgültigen Bildfassung verwies er durch die Verwendung eines Stoffhintergrunds auf die Gestaltungskonventionen klassischer Stillleben und gab ihr zugleich einen modernen Touch, indem er die Grenzen bildwürdiger Sujets verschob.
5. Salvador Dalí, „Objet Surréaliste à fonctionnement symbolique – le soulier de Gala“ (Surrealistisches Objekt mit symbolischer Funktion – Galas Schuh), 1932/1975
Salvador Dalí schuf zahlreiche Kunstwerke, die er seiner Frau und Muse Gala Dalí widmete, so auch diese unter Verwendung eines ihrer Schuhe entstandene Arbeit. Ursprünglich trug sie den Titel „Schuh und ein Glas Milch“ und gilt als das erste von ihm angefertigte surrealistische Objekt. Dessen symbolische Funktion beschrieb Dalí unter Bezugnahme auf die von Sigmund Freud damals neu begründete Theorie des Fetischismus so: „Ein Damenschuh, in den ein Glas warme Milch in eine weiche Masse mit der Farbe von Exkrementen hineingestellt wurde. Der Mechanismus besteht darin, einen Zuckerwürfel, auf den das Bild eines Schuhs gemalt wurde, in die Milch einzutauchen, sodass man zusehen kann, wie sich der Zucker und somit auch das Bild des Schuhs darin auflösen. Verschiedene Beigaben (auf einen Zuckerwürfel geklebte Schamhaare, eine kleinformatige erotische Fotografie) vervollständigen das Objekt, das begleitet wird von einer Schachtel mit Ersatz-Zuckerwürfeln und einem speziellen Löffel zum Umrühren von Schrotkügelchen im Inneren des Schuhs.“
6. Carol Rama, „Senza titolo“ (Ohne Titel), 1972 / Salvatore Ferragamo, „Invisibile“, 1975
Die Künstlerin Carol Rama, die selbst bekennender Schuhfan war, stellte 1984 fest: „Der Fuß ist in gewisser Weise ein Eros, ein Fetisch, bietet er doch jederzeit die Möglichkeit, eine Bindung der Liebe zu ihm zu entwickeln. Der Fuß und der Schuh haben die Bedeutung von Schönheit gemeinsam.“ Auch ließ sie sich vom Schaffen des Schuhdesigners Salvatore Ferragamo anregen und illustrierte einen seiner Entwürfe mehrere Male auf Pantone-Farbkarten. Anhand seines intensiven Studiums der Anatomie sowie der Verteilung des Körpergewichts über das Fußgewölbe rückte Ferragamo den Körper der Frau in den Mittelpunkt seiner gestalterischen Praxis. Kriegsbedingte Rationierungsmaßnahmen veranlassten ihn zu einigen seiner größten Innovationen, so etwa der Verwendung der zu jener Zeit noch unüblichen Materialien Segeltuch und Kork. Für die von ihm 1947 entworfene Sandale „Invisibile“ mit dem charakteristischen „F“-Absatz ließ sich Ferragamo von Fischern inspirieren und führte einen einzigen Nylonfaden durch die Sohle des Schuhs. So entstand die Wirkung eines nackten, gefesselten Fußes, präsentiert auf goldenem Sockel, was dem Schuh eine gewisse fetischistische Qualität verlieh. In ihrem Werk „Senza titolo“ von 1972 gab Carol Rama der „Invisibile“-Sandale wiederum einen ganz eigenen spielerischen Twist, indem sie die Riemchen durch Penisformen ersetzte – eine ironische Abwandlung, wie sie bereits die frühen Werke der Künstlerin ausgezeichnet hatte.
7. Andy Warhol, „Diamond Dust Shoes (Random)“, 1980
Andy Warhol begann seine künstlerische Karriere als Illustrator und spezialisierte sich auf das Zeichnen von Damenschuhen. Im Jahr 1955 beauftragte ihn der schwächelnde Schuhhersteller I. Miller mit der Gestaltung seiner Produktwerbung. Anhand aufsehenerregender Illustrationen gelang Warhol ein Rebranding des Unternehmens, das sich erneut als führender Anbieter im Bereich der Schuhmode etablieren konnte. Während seiner gesamten Karriere nutzte der Künstler immer wieder Schuhe als Motive in Collagen, Fotografien und auch Siebdrucken. 1980 schuf er die Werkserie „Diamond Dust Shoes“ mit Darstellungen ein- und mehrfarbiger Pumps, angeordnet in verschiedenen Konstellationen. Seine Technik, Glas- und Steinpulver auf die Leinwand aufzutragen, verlieh den einzelnen Schuhmodellen einen glitzernden, glamourösen Effekt. Warhol experimentierte ebenfalls mit der Verwendung echter pulverisierter Diamanten, doch erwies sich das Finish als allzu stumpf. Die Bezeichnung jedoch blieb.
8. Mona Hatoum, „Roadworks“ (Standbild der Performance), 1985
Bei ihrer 30 Minuten langen Performance „Roadworks“ lief die Multimediakünstlerin Mona Hatoum 1985 barfuß über die Bürgersteige des Londoner Stadtteils Brixton und zog dabei schwarze Doc-Martens-Stiefel hinter sich her, die sie an ihren Knöcheln festgebunden hatte. Vor der Gentrifizierung bildete Brixton noch ein bunt gemischtes Arbeiter*innenviertel. Zu jener Zeit nahm die örtliche Polizei gezielt karibische und Schwarze Bewohner*innen ins Visier, indem sie unverhältnismäßig viele spontane Durchsuchungen bei ihnen durchführte. Die Situation eskalierte 1981 im Brixton-Aufstand, in dessen Verlauf Hunderte Menschen verletzt und zahlreiche Sachbeschädigungen angerichtet wurden. Hatoums Performance entstand in direkter Reaktion auf die damaligen Geschehnisse. Ihre bloßen Füße verweisen auf die Verletzlichkeit und den fehlenden Schutz der Opfer von Polizeibrutalität sowie von institutionalisiertem Rassismus. Die Doc-Martens-Stiefel veranschaulichen hier das Agieren des Polizeiapparats – sie folgen Schritt für Schritt und vollziehen jede Bewegung nach.
9. Marina Abramović, „Shoes for Departure“, 1991
In den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren nahm Marina Abramović eine Werkreihe von Objekten in Angriff, die um Halbedelsteine und ihre metaphysischen Eigenschaften kreisten. Sie lud das Publikum dazu ein, mit ihren „transitorischen Objekten“ zu interagieren und somit im Rahmen ihrer künstlerischen Methodik erstmals selbst aktiv zu werden. Abramovićs „Shoes For Departure“ sind aus massiven brasilianischen Amethysten herausgearbeitet. Die unbeweglichen, 70 Kilogramm schweren Schuhe dienen als Hilfsmittel der Teleportation. Hierzu erhielt das Publikum folgende Benutzungsanweisung: „Mit bloßen Füßen in die Schuhe hineinstellen. Die Augen schließen. Bewegungslos verharren. Starten.“ Zusätzlich zu den Schuhen schuf die Künstlerin ebenfalls einen Stuhl und einen Spiegel, die anhand ähnlicher Prinzipien funktionieren.
10. Can Togay und Gyula Pauer, „Schuhe am Donauufer“, 2005
Sechzig Paar altmodische Schuhe, nachgebildet in Bronze, säumen das Donauufer unweit des Budapester Parlamentsgebäudes: Die Arbeit „Schuhe am Donauufer“ wurde von dem Filmemacher Can Togay konzipiert und von dem Bildhauer Gyula Pauer ausgeführt. Sie entstand als Mahnmal für die Tausenden Opfer der rechtsextremen, ultranationalistischen Pfeilkreuzlerpartei, die 1944/45 gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in Ungarn an der Macht war. Die Miliz ging gegen Jüd*innen, Rom*nja und weitere ethnische Minderheiten vor sowie gegen alle, die sich dem Regime widersetzten. Vor ihrer Hinrichtung wurden die Opfer noch angewiesen, die Schuhe auszuziehen, die während des Krieges ein begehrtes Gebrauchsgut waren und höheren Wert hatten als ihr Leben. Nach der Ermordung durch ein Erschießungskommando wurden die Leichen in den Fluss geworfen. Die leeren Schuhe bilden eine ernüchternde Mahnung an die Brutalität und Missachtung menschlichen Lebens im Holocaust.
11. Ndidi Dike, „How Much Am I Worth?“, 2015
Ndidi Dike ist eine der einflussreichsten Installationskünstlerinnen Nigerias. Während ihrer über 40 Jahre dauernden Karriere als Künstlerin und Kulturaktivistin hat sie sich des Mittels der Kunst bedient, um die drängendsten politischen Fragen der nigerianischen Gesellschaft zu adressieren. Dikes bewegende Installation „How Much Am I Worth?“ ist den 276 Mädchen gewidmet, die 2014 von der Terrorgruppe Boko Haram aus der Chibok Secondary School entführt wurden. Ein Stockbett aus Metall, bespannnt mit Drahtgeflechten aus Patronenhülsen, ist umgeben von Flipflops. Angeordnet in Form eines Heiligenscheins, legen diese stumm Zeugnis ab von den unsagbaren Dingen, die sich auf den Betten abspielen. Anhand entsorgter Flipflops macht Dike aufmerksam auf das Problem der Kinderheirat und auf die allgemeine Missachtung von Frauen und Kindern in der patriarchalen Gesellschaft Nigerias. Die Betrachtenden dieser Arbeit werden konfrontiert mit dem unbequemen Gegenstück zur kollektiven Erinnerung: mit kollektiver Amnesie. Laut Angaben von Amnesty International wurden im Jahr 2024 noch 82 der aus Chibok entführten Mädchen vermisst und etwa 1.400 weitere Kinder bei nachfolgenden Terroranschlägen verschleppt.
12. Jo Cope, „Walking on Water“ (Standbild der Performance), 2021
Die Konzeptkünstlerin und Modedesignerin Jo Cope widmet sich in ihrer künstlerischen Praxis der Geschichte des Schuhs und seinen symbolischen Ausdrucksmöglichkeiten. Schuhe sind für sie ein Mittel der Kommunikation und zugleich ein Werkzeug zur Erforschung von Aspekten des menschlichen Daseins. Im Jahr 2021 wurde Cope eingeladen, eine ortsspezifische Performance für die Design-Biennale in Venedig zu entwickeln. Seit Jahrhunderten bereits wird Venedig mit Vornehmheit und Luxus assoziiert, doch ermöglicht wurde diese Sonderstellung erst durch Arbeiter*innen, die die Stadt besiedeln, seit die ersten Holzpfähle in den Boden der Lagune gerammt wurden. Um diese übersehenen Protagonist*innen Venedigs ins Licht zu rücken, konzipierte Cope die Performance „Walking on Water“, die von der Herstellung der „friulane“ handelt – Samtpantoffeln mit weicher Sohle, die traditionell von Kunsthandwerkerinnen gefertigt wurden. Dabei arbeitete die Künstlerin mit Schuhmacher*innen des Unternehmens Piedàterre zusammen, der ältesten „friulane“-Manufaktur der Stadt. Die Performance vollzieht die Geschichte des Slippers nach und zeigt, wie er dank der Tätigkeit von Frauen aus der Arbeiterinnenklasse zu einem Sinnbild für Venedig wurde.