Ein Film übers Filmemachen hört sich zunächst Meta an. Doch Kristina Kilians Videoarbeit führt uns auf eine geisterhafte Reise durch Godards Deutschland nach dem Mauerfall hin zur konkreten Frage nach dem eigenen Scheitern.
„‚Bitte mach keinen Film über Godard‘, hat Hanns zum Abschied gesagt. ‚Meta Meta Meta!‘“, erzählt die Protagonistin K (Hannah Schutsch) in Kristina Kilians „Which Way to the West“ aus dem Off. Zuvor hatte sie ebenjenen Hanns über seine Mitarbeit an Jean-Luc Godards „Allemagne 90 neuf zéro“ befragt, besagtem Werk, mit dem sie sich in ihrem nächsten Film auseinandersetzen möchte. Hanns ist der deutsche Schauspieler, Dramaturg und Regisseur Hanns Zischler, der dort nicht nur schauspielerte, sondern als eine Art Künstlerischer Leiter seinerzeit auch die Drehortsuche und Reiseplanung übernahm.
1990 hatte sich Godard für „Allemagne 90 neuf zéro“ in den letzten europäischen Staat des sogenannten real existierenden Sozialismus begeben: in die gerade in Abwicklung befindliche DDR. In „Which Way to the West“ (2019) schickt Kristina Kilian nun ihre Protagonistin, die Regisseurin K, 28 Jahre nach dem Mauerfall in die „neuen“ Bundesländer: K recherchiert, reist mit ihrer Filmcrew alte Drehorte ab, macht sich auf Spurensuche. Godard habe die DDR als eine Art Geisterreich wahrgenommen, den Mauerfall verstand er so als einen Grenzübertritt der dort lebenden Geister in die Wirklichkeit, erklärt ihr Hanns Zischler bei deren Gespräch.
Godard nahm die DDR als eine Art Geisterreich wahr
Der französische Regisseur hatte für seinen Film einen alten Bekannten seines umfangreichen Œuvres, den Privatdetektiv Lemmy Caution (Eddie Constantine) aus dem 1965 erschienenen „Alphaville“, hervorgekramt. In „Allemagne 90 neuf zéro“ taucht Lemmy Caution nun als Agent auf, der sich nach dem Mauerfall auf den Weg „Richtung Westen“ machen will, und durch das geisterhaft erscheinende Land streift – gegengeschnitten mit Godard-typischen Reflexionen über Philosophie, Kunst und hier vor allen Dingen eben die deutsche Geschichte.
Kilians Protagonistin K suchen derweil noch ganz andere Geister heim: von ihrem vorigen Filmdreh in Papua-Neuguinea über das langsame Verschwinden der über 800 eigenständigen Landesprachen brachte sie lediglich vier Aufnahmen ihres leeren Hotelzimmers zurück. Wie gelähmt hatte sie sich dort isoliert, vereinbarte Termine einfach verstreichen lassen. Und auch die Produktion des neuen Films gerät immer wieder ins Stocken – K ist unsicher, was wo gedreht werden soll, der Hauptdarsteller verabschiedet sich irgendwann, Crewmitglieder fragen die überfordert wirkende Regisseurin, warum sie den Film überhaupt machen wolle.
Die eigene Geschichte sucht die Regisseurin wie ein Geist immer wieder heim
Die eigene Geschichte des Scheiterns scheint die junge Regisseurin wie ein Geist immer wieder heimzusuchen. Und vielleicht auch der des Filmemachers Godard selbst: dieser hat bei „Allemagne 90 neuf zéro“ einen Nervenzusammenbruch erlitten, der Filmdreh musste ohne ihn zu Ende geführt werden, wie K gleich zu Beginn erzählt.
Seit 2013 studiert Kristina Kilian an der Hochschule für Film und Fernsehen in München, zuvor hatte sie in Karlsruhe Szenografie und Ausstellungsdesign in Karlsruhe studiert. „Which Way to the West”, der bei den 65. Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen den Förderpreis gewann, lehnt Kilian formal am Aufbau eines Filmessays an: selbstgedrehte Szenen collagiert sie mit Archivmaterial, das Voiceover kontextualisiert das Gezeigte und erschließt neue Zusammenhänge.
In einem dieser Archivausschnitte zeigt sie Godard im Interview: Die Kamera sei ein Gerät, ähnlich einem Mikroskop, das es überhaupt erst ermögliche, Menschen wahrhaftig zu sehen, erklärt der Filmemacher dort. Und so betrachtet Kilian durch die Augen ihrer Protagonistin Godard, durch dessen Augen wiederum wir Deutschland und dessen Geschichte sehen, die alle Beteiligten wieder auf sich selbst zurückwirft. Das „Meta Meta Meta“ ist hier gar nicht so abstrakt, wie es vielleicht klingen mag. Sehen heißt hier Denken mit anderem Verstand.
Als zweiten Film hat sich Kilian Oskar Roehlers „Die Unberührbare“ (2000) ausgesucht. Zehn Jahre nach dem Mauerfall setzt sich der Regisseur mit den letzten Monaten im Leben seiner Mutter, der Schriftstellerin Gisela Elsner, die hier Hannah Flanders heißt, auseinander. Der Film beginnt am Abend des Mauerfalls und zeigt die desparate Autorin, die ob der politischen Ereignisse im Land am Rande eines Suizids steht (Gisela Elsners starke Verbundenheit zum DDR-Sozialismus, den sie aus der sicheren Entfernung in München zu einem Traumbild stilisiert hatte, ist ausreichend dokumentiert).
Der Film beginnt am Abend des Mauerfalls
Kurz vor knapp kann sie ein Freund vom Freitod abhalten und ganz getreu dem Prinzip, dass auf die Resignation die Reaktion folgt, zieht sie kurzerhand nach Berlin um. Vor Ort angekommen wird sie mit der Diskrepanz zwischen imaginierter und tatsächlicher Realität der DDR konfrontiert. Von einer Situation zur nächsten stolpert sie ungläubig durch eine Welt, die nicht mehr die ihre zu sein scheint und es vielleicht auch niemals war. Die Desillusionierung im politischen Bereich folgt jener im privaten Bereich, als sie schließlich entschließt, Berlin wieder zu verlassen.
Mit großer Empfindsamkeit und ohne jedwede weichgespülte Sentimentalität inszeniert Oskar Roehler in „Die Unberührbare“, auch dank des eindrucksvollen Schauspiels Hannelore Elsners, das Zerbrechen seiner Mutter an der Realität. Der Grenzübertritt aus dem Geisterreich in die Realität, wie Godard den Mauerfall beschrieb, mündet hier im Ende einer Existenz, oder auch: im vollständigen Verschwinden ins Geisterreich. Und auch Kristina Kilians Protagonistin K bleibt am Ende von „Which Way to the West“ nur noch eine Vorstellung davon, wie sie ursprünglich ihren Film inszenieren wollte, die aber nie den Weg in die Realität gefunden hat.