Wörter, Zeichen und Symbole - Jean-Michel Basquiats Werke wimmeln nur so vor Textfragmenten. Die experimentelle Cut-up Technik der Beat-Autoren war dabei eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen.
TAKE BACK THE KEYS TO THE SHITHOUSE. Als Hommage an einen seiner Lieblingsautoren kritzelt Jean-Michel Basquiat diese skurrile Phrase 1983 auf ein Triptychon mit dem Titel „Five Fish Species“. Der Satz ist dem im selben Jahr erschienenen Roman „The Place of Dead Roads“ von William S. Burroughs entlehnt – ihm ist auch das Bild gewidmet. Zusammen mit dem US-amerikanischen Dichter Allen Ginsberg und dem Schriftsteller Jack Kerouac führte Burroughs die Beat-Generation an, eine Gemeinschaft von Schriftstellern und Poeten, die Anfang der 1950er Jahre gegen die leeren Werte der amerikanischen Nachkriegsgesellschaft rebellierten.
Die selbsternannten „Beats“ verkörperten die Suche nach einem Leben jenseits der sozialen Normen. Ihre experimentelle und radikale Prosa sprengte die literarischen Konventionen. Sie war Ausdruck eines gesellschaftlichen Aufstands. Kerouac starb bereits 1969, Ginsberg und Burroughs blieben jedoch bis in die 1980er Jahre hinein wichtige Vorbilder für die darauffolgende Generation an Autoren und Intellektuellen. So zog Burroughs fensterloses Apartment im New Yorker Stadtteil East Village – der sogenannte „Bunker“ – zahlreiche Künstler und Schriftsteller an, darunter auch Jean-Michel Basquiat.
Kryptische, poetische Tags
Dessen ausgeprägter Bezug zu Sprache und Schrift zeigte sich bereits, als er mit 17 Jahren unter dem Pseudonym SAMO© auf den Häuserwänden New Yorks kryptisch-poetische Tags hinterließ. Von der Straße bis ins Studio setzte sich Basquiats textbasierte Praxis nahtlos fort. Sätze wie JIMMY BEST ON HIS BACK TO THE SUCKERPUNCH OF HIS CHILDHOOD FILES oder THE WHOLE LIVERY LINE BOW LIKE THIS WITH THE BIG MONEY ALL CRUSHED TO THESE FEET zeugen von seinem Gespür für Klang und Rhythmus. Die Beat-Literatur prägte dabei – weit über persönliche Bezüge hinaus – Jean-Michel Basquiats Werk ganz entscheidend.
Für die Beat-Schriftsteller zählte vor allem der möglichst ungefilterte Ausdruck ihrer Lebensrealität. Ihren halb-autobiografischen, halb-fiktionalen Texten haftet die Dringlichkeit an, die eigene Stimme hörbar zu machen. Inspiriert durch die Musik des Bebop, standen Spontanität, Improvisation, Schnelligkeit und Individualität bei ihnen im Vordergrund – ganz ähnlich wie bei Basquiat. So empfahl Jack Kerouac angehenden Schriftstellern ohne Rücksicht auf Konventionen zu schreiben, ohne Zurückhaltung aus der eigenen Erfahrung zu schöpfen: “No fear or shame in the dignity of yr experience, language & knowledge (...) Composing wild, undisciplined, pure, coming in from under, crazier the better.”
No fear or shame in the dignity of yr experience, language & knowledge (...) Composing wild, undisciplined, pure, coming in from under, crazier the better.
In Werken wie „On the Road“ (1957) beschreibt Kerouac seine Welt im seitenlangen Stream-of-Consciousness, die Sätze nur von Gedankenstrichen unterbrochen, die er treffend mit dem Luftschnappen eines Jazz-Saxophonisten verglich. Dieselbe Fiebrigkeit schlägt uns in Basquiats Arbeiten entgegen, die, von oben bis unten mit Wörtern, Symbolen und Bildern bedeckt, eine ungemeine Energie spürbar werden lassen. Basquiat schöpfte dabei aus seinem direkten Umfeld: Stets umgeben von Quellenmaterial, an dem er sich abarbeiten konnte, finden sich die Elemente assoziativ und spontan im Malprozess zusammen.
Cut-Ups auf der Leinwand
Der Vergleich von Basquiats Werk mit der von Burroughs populär gemachten Cut-up-Technik liegt nahe. Beim Cut-up wird ein bestehender Text in kurze Abschnitte zerteilt und im Anschluss nach dem Zufallsprinzip neu arrangiert. Burroughs verstand das Cut-up als eine Form der literarischen Collage, ein Hybrid, der gleichermaßen Text und Bild war. Selbst Musik-Größen wie David Bowie ließen sich in Songs wie „Sweet Thing” (1974) von der Technik inspirieren. Basquiats Cut-Ups setzten sich direkt auf der Leinwand zusammen, sei es buchstäblich als Collage oder assoziativ während des Prozess des Zeichnens.
Als ob er die Welt um sich herum auseinander geschnitten und neu geordnet hätte, verband Basquiat Textfragmente, Wörter, Symbole und Bilder aus den unterschiedlichsten Quellen. Wie Burroughs selbst postulierte, spielte die Originalität dieser Versatzstücke keine Rolle – es ging um die überraschenden Momente, in denen sich aus zuvor Unzusammenhängendem ein nicht intendierter, aber bedeutungsvoller Sinn ergab. Basquiat bediente sich dabei gleichermaßen aus Geschichtsbüchern, der Bibel und der griffbereiten Cornflakes-Packung; er enthierarchisierte seine Quellen und brachte sie in neuen, überraschenden Konstellationen zusammen.
Fragmentierte Identitäten
Kurz vor seinem Tod ließ sich Basquiat demonstrativ mit Kerouacs „The Subterraneans“ (1958) fotografieren. Das Buch fest vor die Brust gepresst, lässt das Porträt erahnen, wie sehr er sich mit der Literatur der Beats identifizierte. In ihrem Schreiben sind Kunst und Leben stets eng verwoben: Es trägt die Vision eines selbstbestimmten Lebens in sich und zelebriert ihr soziales Außenseitertum, das sie der gesellschaftlichen Anpassung vorziehen. Autobiographische Szenen verschmelzen mit fiktiven Ergänzungen; reale Protagonisten werden zu Vorbildern für Romanfiguren.
Auch für Jean-Michel Basquiat war die Verhandlung der eigenen Identität und Biografie ein andauernder Antrieb: Mal verbindet er sein Selbstporträt mit den Geschichten schwarzer Jazzgrößen oder Sporthelden, mal spielt er mit seiner vieldeutigen Alter-Ego-Figur „Aaron“. In dem ambivalenten Umgang der Beats mit der eigenen Identität, aber auch in ihrer Kompromisslosigkeit und in ihrem Existentialismus erkannte sich Basquiat wieder – durch eine Generation getrennt, aber im Geiste verwandt.
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