Die Fundació Pilar i Joan Miró auf Mallorca bietet Einblicke in das Schaffen eines Ausnahmekünstlers, der das Einfache ebenso zu schätzen wusste wie das Fantastische.
Wenn vom Art Space, dem Raum der Kunst, dem Kunstraum die Rede ist, dann geht es hierbei meist um Fragen der Präsentation: White Cube vs. Öffentlicher Raum, Galerie vs. Off-Space. Eine sehr viel mystischere Anziehungskraft geht indes von einem ganz anderen Raum aus, ohne den die Frage nach der passenden Ausstellungsarchitektur gänzlich überflüssig wäre: Das Künstleratelier. Immer wieder wurde dieser Ort von Künstlern selbst thematisiert; Gustave Courbet malte 1855 „Das Atelier des Künstlers“ und ließ die Welt gleich auf doppelter Ebene daran teilhaben, als dargestellter Protagonist auf dem mit Menschen überfüllten Atelier-Bild und später als Betrachter ebenjener Szenerie.
Jenseits der Leinwand sind diese Einblicke naturgemäß rar: Während des Arbeitsprozesses muss sich der Künstler abschirmen oder zumindest die Eindrücke und Personen, die Zutritt haben zu seiner Welt, sorgfältig auswählen. Für die Öffentlichkeit zugänglich werden Künstlerateliers daher nicht selten erst – und wenn überhaupt – posthum. Welche Faszination von diesem Dreh- und Angelpunkt künstlerischen Schaffens ausgeht, dürfte man spätestens wieder Anfang März auf der New Yorker Armory Show registrieren: Hier haben Besucher, wie zuvor bereits in London, die Möglichkeit, das nachgebaute mallorquinische Studio von Joan Miró zu besichtigen. Zutritt zu den verschiedenen Ausstellungen der Show gibt es ab 45 Dollar Tageseintritt, die Warteschlangen werden vermutlich lang sein.
Als ob die Pigmente ihm eine besondere Gunst erweisen
Indes: Es bleibt eine Rekonstruktion, mit echten Bildern und Skizzen, mit echtem Mobiliar aus dem Original-Atelier zwar, aber eben doch eine sehr sorgfältige Nachbildung. Die möge als Teaser wirken, als Appetithäppchen für einen Besuch in den echten Räumen, hofft Joan Punyet Miró. Der Enkel des großen Malers leitet die Stiftung seines Großvaters, kümmert sich um das künstlerische Erbe und die Ateliers, die an verschiedenen Standorten verteilt liegen. Besonders gern aber war Miró auf der Baleareninsel Mallorca, hier befinden sich gleich mehrere Gebäude, in denen er lebte und arbeitete.
Der Rundgang beginnt im Café der weitläufigen Anlage, die wie eine Festung über dem kleinen Badeort thront. Die Wände sind mit einer Keramikarbeit versehen, deren Vorlage Miró einst für das heutige Terrace Plaza Hotel in Cincinnati anfertigte. Allein dieser einzelne Ort konzentriert so viel über den Künstler: Mirós Vorliebe für große, für riesige Formate, seine Offenheit gegenüber Auftragsarbeiten – er liebte die Vorstellung, dass möglichst viele Menschen seine Werke sehen würden – den unorthodoxen Umgang mit Motiven und Formaten (von der Skizze jedes einzelnen Kompartiments auf die Wand), das Arbeiten in Serien und natürlich: diese kräftigen, leuchtenden Farben, als ob die Pigmente ihm eine besondere Gunst erweisen wollten.
Eine ägyptische Katzengöttin
Auf der gegenüberliegenden Seite hängt ein Bild vom jungen Joan Punyet, zusammen mit seinem Bruder und den Großeltern, Joan und Pilar Miró, an genau diesem Ort. Heute wohnt der Enkel auf dem Areal, oberhalb von Stiftungs- und Atelierräumen, und man könnte sich wohl keinen besseren Guide durch die heiligen Räume vorstellen als ihn: Noch zum Carobbaum auf dem Weg zum Atelier weiß er eine Anekdote zu erzählen, über das Leben auf Mallorca während der Franco-Diktatur im Allgemeinen und die Schokoladenherstellung im Besonderen, zu den traditionellen mallorquinischen Haushaltspinseln, die sein Großvater gern zum Malen umfunktionierte, und schließlich über die tote Katze, die nach einiger Abwesenheit des Künstlers irgendwann im Son Boter, dem großen Atelierhaus, schon mumifiziert gefunden wurde. Eine ägyptische Katzengöttin: Man bewahrte sie auf.
Überhaupt, Son Boter: Das traditionelle mallorquinische Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert befand sich gleich auf dem Nachbargrundstück, das Miró Ende der 1950er-Jahre besaß. Er wollte unbedingt noch mehr Platz für seine Arbeiten haben, und so machte er der damaligen Besitzerin, einer deutschsprachigen Pensionsbesitzerin, ein gutes Angebot. Die alte Küche ließ der Maler nahezu unberührt, und auch sonst arbeitete er lieber mit der vorhandenen Architektur und Ausstattung: Die rauen, sandfarbenen Mauern wurden zum Untergrund für Kohlezeichnungen, die Küchenausstattung zur Inspirationsquelle. Dabei hatte Miró keine Scheu vor Nippes und Trivialem: Was gefiel, fügte er seiner Sammlung hinzu – regionale Volkskunst, Fundstücke, Postkarten und Prints von ihm verehrter Künstler, Küchenschwämme finden sich bis heute im Son Boter.
Der inoffizielle "Pollock-Room"
Sein Interesse an der Welt, an der ganzen, war ein universales: „Mein Großvater war gläubig, aber er glaubte nicht an einen Gott – für ihn war alles göttlich“, erklärt Joan Punyet Miró. In diesem Kontext lässt sich auch seine künstlerische Arbeit verstehen: John Cage und Vincent van Gogh, Rimbaud und Duchamp, einige waren Begleiter, alle Inspirationsquelle für den Künstler. Ein Zimmer wird inoffiziell der „Pollock Room“ genannt, Miró bewunderte die Arbeitsweise des Drip Paintings und nutzte diese für eigene Versuche. Der scheinbar unermüdliche Schaffensdrang, diese Neugier nach allem, was neu war – und was kann undefinierter sein als die nackte Leinwand – manifestiert sich symbolträchtig im oberen Stockwerk des Gebäudes, das für Besucher sonst unzugänglich ist: Hier lehnen gleich ein Dutzend eingerollte Leinwände in der Ecke, daneben stehen unzählige bereits bespannte Keilrahmen. Mit Mitte 80 hatte er noch viel vor.
Einen architektonischen Kontrapunkt zum mallorquinischen Bauernhaus bildet das Sert Studio, welches der Maler schon einige Jahre vorher beziehen konnte. Miró wollte raus aus der Stadt, wo die Atelierräume begrenzt waren. Vor seinem Umzug nach Mallorca beauftragte er den Architekten Josep Lluís Sert mit dem Entwurf eines Atelierhauses. Der spektakuläre Bau mit seinen geometrischen Formen und den leuchtenden Farbelementen begeisterte ihn – endlich hatte er ein adäquates Studio gefunden, in dem er ausreichend Licht (dank indirekter Einspeisung über das Dach) und vor allem Platz genoss. Die Fotos vom Sert Studio, vom Maler umgeben von seinen Bildern, sind weltberühmt geworden. Unfertig, noch im Entstehen ist vieles auch hier: Etliche Leinwände sind noch unsigniert, an den Pinseln klebt noch Farbe.
Der Künstler sieht nach dem Rechten
Zur Arbeitszeit wäre ein Besuch im Atelier undenkbar gewesen: Miró brauchte absolute Ruhe, auch die geliebten Kinder und Enkel mussten draußen bleiben. Von Musik im Atelier, erinnert sich Joan Punyet, hielt der Großvater auch nicht viel. Und so wird der Besucher unweigerlich auch ein wenig zum voyeuristischen Eindringling, der sich nie ganz sicher sein kann, ob der Maler nicht gleich doch durch die Tür schreitet, um nach dem Rechten zu sehen.
Der Besuch muss an dieser Stelle noch lange nicht zu Ende sein: 1992 wurde das prächtige Moneo Gebäude nach einem Entwurf des gleichnamigen spanischen Architekten eröffnet, in dem heute wechselnde Ausstellungen mit Werken des Malers gezeigt werden – wobei der Begriff der Malerei von Miró bereits sehr früh auf unterschiedlichste Materialien und Arbeitsmethoden erweitert wurde, wovon man sich eben hier überzeugen kann. Das Stiftungsgelände soll kein unbelebtes Freilichtmuseum sein, deshalb werden – aller nötigen Konservierungsmaßnahmen zum Trotz – beispielsweise die Druckwerkstätten von Miró in Sommerworkshops bespielt. Hier können junge Künstler Lithographien anfertigen, genau dort, wo noch vor wenigen Jahrzehnten the artist himself tätig war.
Weitläufigkeit als wahrer Luxus
Irgendwann ist dann der Zeitpunkt gekommen, an dem man die Fundació wieder verlässt: Durch den steinernen Eingang, hinter dem keine bäuerliche Idylle, keine weitläufigen Felder warten, stattdessen Wohnblocks, bis ganz nah an die Stiftung herangebaut, an deren Fenstern Stofffetzen statt Gardinen im Wind wehen. Weitläufigkeit als wahrer Luxus: Im Kontrast zur erst in den letzten Jahrzehnten entstandenen Umgebung sticht die Großzügigkeit des Raumes, die Miró so wichtig war für seine Arbeit, doppelt ins Auge. Aber wer weiß: Vielleicht hätte dem Maler auch dies gefallen – weniger ästhetisch, aber doch als Ausdruck der Lebensrealität, die ihn letztlich mindestens ebenso interessierte wie die fantastische Sphäre der Ideen.