Kunststoffe und Frauenbilder sind spätestens seit der Einführung der Barbiepuppe eng miteinander verbunden. Doch während ein vermeintlich feministisches Make-Over in Gestalt von Greta Gerwigs Barbiefilm bis 2023 auf sich warten ließ, zeigt der Blick auf die Pop Art, dass Plastik auch in den 60er-Jahren bereits das Potenzial hatte, zum Stoff feministischer Gegenmodelle zu werden.

Ein modernes Designhaus, die Einrichtung: Pink und vollständig aus Plastik. Jedes Detail, angefangen bei Tür, Tisch, Lampen, Rutsche und Bar, bis hin zu den aufblasbaren Figuren und Pflanzen besteht aus dem formbaren Material. Inmitten der Szene befindet sich die wohl bekannteste Puppe der Welt: Barbie. Sie führt uns in ihr Barbieland, ein Traumort voller Barbies, die alle erdenklichen Professionen ausüben und sogar den Supreme Court vollständig besetzen. Die Barbies sind divers – nicht nur weiß, blond und schlank –, gewinnen Auszeichnungen und leben sorgenfrei an einem perfekten Ort. Konträr hierzu verkörpert die Hauptprotagonistin Margot Robbie in der Rolle der stereotypischen Barbie allerdings noch immer das normativ schöne, quasi klassische Bild der Puppe. Die unzähligen (und weit weniger diversen) Kens sind hier nur Zierde. Jeder Tag ist der beste Tag auf Erden – und das für immer, so lautet der Leitsatz der glücklichen Puppen. Doch die Idylle ist trügerisch, denn das Patriarchat herrscht nicht unweit entfernt in der realen Welt.

It is the best day ever. So was yesterday and so is tomorrow… from now until forever.

Barbie (by Greta Gerwig)

Greta Gerwig: Barbie, 2023, Filmstill, Image via graziamagazine.com

Plastik und Barbie sind in Greta Gerwigs gleichnamigen Film „Barbie“ unweigerlich miteinander verbunden. Der Film orientiert sich an unserer Realität, in der die Puppe, ihre Accessoires und selbst ihr Haus aus ebenjenem Material bestehen. Plastik erfuhr am Ende der 1950er-Jahre einen beispielhaften Aufstieg und wurde zum Zeichen der gesellschaftlichen Konsum-Sehnsüchte. Es machte zuvor exklusives Design allgemein erschwinglich und die Gesellschaft ging in der Plasticmania auf. Die industrielle Produktion des 20. Jahrhunderts veränderte auch die Spielzeugbranche nachhaltig, die durch die weiterentwickelten Kunststoffe Puppen und andere Produkte zu einem günstigen Preis verkaufen konnte. Zu einer ihrer größten Erfolgsgeschichten gehört Barbie. Nach ihrer Markteinführung 1959 wurde der Spielzeugkonzern Mattel Inc. in den folgenden Jahren zu einer einflussreichen Marke mit eigener Film-, Serien-, Computerspiel- und Buchproduktion. Die blonde Barbiepuppe aus Polyvinylchlorid übernahm in kürzester Zeit die Kinderzimmer und wurde zur Protagonistin vieler Kinderträume.

Eine Puppe zwischen Emanzipation und Objektifizierung

Welchen positiven Einfluss Barbie insbesondere in ihren Anfängen hatte, zeigt Gerwigs Film den Zuschauer*innen zu Beginn. Der von Mattel co-produzierte Film beginnt in einer kargen Landschaft, in der einige Mädchen spielen. In ihren Händen: klobige Porzellanpuppen. Sie werden gewickelt oder zum Tee an einen imaginären Tisch gesetzt. Dramatische Musik setzt ein und eine überlebensgroße Barbie gleich des Monolithen aus Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ erscheint. Begeistert von der neuen, erwachsenen Puppe zerstören die Kinder ihr altes Spielzeug gewaltsam. Eine Stimme aus dem Off erzählt die Entstehungsgeschichte der Barbiepuppe: Waren Mädchen früher gezwungen mit baby-ähnlichen Puppen zu spielen, um ihre Gesellschaftsrolle der Mutter und Hausfrau zu erlernen, ermöglichte Barbie die Identifikation mit einer modernen, selbstbewussten und modischen Frau.

Greta Gerwig: Barbie, 2023, Filmstill, Image via graziamagazine.com

Doch wenngleich Barbie in ihren Anfängen emanzipatorisch wirkte, sahen Kritiker*innen in ihr auch die Vermittlung eines unrealistischen und einseitigen Schönheitsideals und konfrontierten Mattel mit dem Vorwurf der Objektifizierung und Sexualisierung des weiblichen Körpers. Barbies wie die 1965 erschienene Slumberparty Edition, die mit dem Miniaturbuch „How to Lose Weight?“ und der Antwort „Don’t Eat!“ herausgegeben wurde, trugen darüber hinaus zu dem ungesunden Ideal bei. In der aktuellsten Mode zurechtgemacht und in einer glänzenden Verpackung präsentiert, entsprach Barbie dem Plastikfetisch der Zeit.


Frauendarstellungenen in der Pop Art

Auch die Kunstwelt ließ sich von der kollektiven Begeisterung über das innovative Wundermaterial  Plastik anstecken, dessen Farb- und Formenvielfalt viele Künstler*innen zu beispiellosen Werken anregte. Experimentierfreudige Künstler*innen aus der Pop Art, die mit ihren bunten, glänzenden Objekten die Konsumlust und Warenästhetiken spiegelten, aber auch die Nouveaux Réalistes, die die Trivialitäten des Lebens reproduzierten, setzten das massenhaft produzierbare Material freudig ein. Zwar war die Pop Art ein globales Phänomen, doch dominieren bis heute insbesondere männliche US-amerikanische und britische Künstler das Bild der Bewegung. In vielen ihrer Arbeiten: der weibliche Körper. Werbeästhetik und Konsumkultur verbinden sich in diesen Werken analog zu Barbie mit der Repräsentation von Frauen, während sich die Plastikfaszination u.a. in Beispielen von Tom Wesselmann prominent niederschlägt.

'Slumber Party Barbie', 1965, Image via nowtolove.com

Tom Wesselmann: CUT-OUT NUDE, 1965, Image via davidsongallery.com

Neuste Forschungsansätze, Publikationen und Ausstellungen brechen mit dieser vermeintlichen Homogenität und beschreiben den Einfluss von Künstlerinnen auf die Bewegung, die gegenüber ihren Kollegen unterrepräsentiert oder systematisch vergessen wurden. Im Fokus ihrer aus Plastik gefertigten Kunst: die Emanzipation von Frauen. Mit ihren bildlichen Gegenentwürfen von weiblichen Körpern und Sexualität hinterfragten junge Künstlerinnen wie Evelyne Axell, Niki de Saint Phalle, Kiki Kogelnik und Nicola L. geschlechterspezifische Rollen der 1960er- und 1970er-Jahre. Häufig von einem subjektiven Standpunkt (dem von weißen, europäischen Frauen) aus, kritisierten sie begrenzende Gesellschaftsnormen und dekonstruierten Stereotype. Dabei traten sie als Entwicklerinnen von neuen Techniken auf und experimentierten mit Materialien wie zum Beispiel verschiedenen Kunststoffen. Welche Strategien nutzten sie um Rollen- und Frauenbilder zu überwinden, die sich in Objekten wie der Barbiepuppe manifestierten?

My dream: … A factory at the service of imagination, fantasy, eroticism …

Evelyne Axell

Bevor sie sich der Kunst zuwandte, wirkte Evelyne Axell als Schauspielerin in Filmen und Theaterstücken mit. Das Film-Klischee der Femme Fatale und andere erotische Konstrukte betrachtete sie in ihrer künstlerischen Arbeit kritisch. Meist zeigen ihre Werke Aktdarstellungen von Frauen in jenen medial vermittelten erotischen Posen, häufig auch Selbstporträts wie die Arbeit „Buste de femme aux yeux fermés (self-portrait)“ von 1969. Mit dem Ziel der visuellen Neubewertung des weiblichen Körpers nutzte Axell transparente Platten, die sie mit Emaillelack und Sprühfarbe bemalte. Die Formen sägte sie aus und legte sie übereinander. Indem sie den männlich geprägten Blick der Medien spiegelte, ermächtigte sie sich ihrer Rhetorik und entwarf ein selbstbestimmtes, vielschichtiges Bild der weiblichen Sexualität.

Niki de Saint Phalle, Nana rouge jambes en l'air, um 1968 © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris
Plastic World, Ausstellungsansicht, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2023, Foto: Norbert Miguletz

Mit ihren „Nanas“ schuf Niki de Saint Phalle hingegen eine neuartige Figur, die durch ihre bunten, voluminösen Formen provokativ das Schönheitsideal der Zeit angriff und Weiblichkeit neu definierte: ein Gegenentwurf zu Figuren wie der Barbiepuppe. In ebenfalls farbenprächtiger Ästhetik brachte die Künstlerin die „Nana“-Skulpturen 1968 als aufblasbare Objekte für den sommerlichen Strandbesuch heraus. Als Editionen aus Plastik wurden sie auf einem größeren Markt erschwinglich und im Alltag nutzbar.

Die vielfältigen Transformationsmöglichkeiten von Plastik wusste auch die österreichische Künstlerin Kiki Kogelnik zu nutzen, die mit ihren „Hangings“ Bekanntheit erlangte. Ab den 1960ern schnitt Kogelnik Körpersilhouetten aus, die sie in Materialien wie Schaumstoff oder Vinyl übertrug und über Bügel drapiert ausstellte. Diese knallbunten „Cut-outs“ wurden häufig von den Körpern ihrer Künstlerkollegen angefertigt, deren Abbilder durch den Prozess an Individualität verloren und zu geschlechtslosen Hüllen wurden. Dieser Tätigkeit sprach sie einen besonderen Effekt zu: „When I peeled off a figure I had the feeling that I did not possess this person but the form, and that I could now do whatever I liked with that form. […] I had the feeling that that was now something I had in my powers.“

Kiki Kogelnik, Man with Ingredients, um 1970, Mixed media, Vinylfolie und Aufhänger aus verchromtem Stahl, 150 x 50 x 4 cm, Kiki Kogelnik Foundation, New York, © Foto: 1970 Kiki Kogelnik Foundation. All rights reserved / VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Plastic World, Ausstellungsansicht, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2023, Foto: Norbert Miguletz

Einen humoristischen Ansatz, Geschlechterstereotype aufzuzeigen, wählte die französische Künstlerin Nicola L., die mit ihren Sitz- und Liegemöbeln in Form von Körpern „Functional Art“ schuf. In der Arbeit „Femme“ von 1968 transformiert die Künstlerin einen schematisierten Frauenkörper in ein Sofa. Gefertigt aus dehnbarem Kunststoff, können die Körperteile vielfältig arrangiert werden. Nicola L. verweist damit ironisch auf die Objektifizierung von Frauen und ihre auf die häusliche Sphäre begrenzte Rolle in der Gesellschaft.

Ein feministisches Make-Over ohne Folgen

Auch wenn Plastik heute zu Recht als umwelt- und gesundheitsschädlich in Verruf geraten ist, ist es zugleich ein Material der Sehnsüchte. Es kann in nahezu jede Form gebracht werden, ist vielseitig einsetzbar und kostengünstig in der Produktion. Vielleicht macht das den Reiz für all jene Künstler*innen aus, die sich seit Jahrzehnten der Kunststoffe bedienen? In den Werken der Pop-Art-Künstlerinnen wird der Körper selbst zu einem multifunktionalen Stoff, der jede Gestalt annehmen kann. Keine starre Puppe aus Plastik, sondern vielfältige Formen zelebrierten Niki de Saint Phalle, Evelyne Axell, Kiki Kogelnik und Nicola L. in ihren Arbeiten. Selbstbestimmt nutzten die Künstlerinnen Plastik zur provokativen Auseinandersetzung mit Schönheitsidealen und Gesellschaftsnormen der 1960er- und 1970er-Jahre – und wirkten gegen eine visuelle Kultur, die unter anderem bereits durch Barbie in den Kinderzimmern etabliert wurde.

Nicola L., Women Sofa, 1968, Vinyl, 208 x 85 x 31 cm, the Plastic Design Collection, © Design Museum Brussels

Heute bemühen sich die Macher*innen des Barbiefilms zwar um ein feministisches Make-Over der Puppe, doch bleiben viele ihrer Ansätze inhaltsleer. Gegenmodelle zu patriarchal geprägten Schönheitsidealen und Medienkritik, wie sie die Pop-Art-Künstlerinnen mit Hilfe von Plastik äußerten, gelingt den Produzent*innen beispielsweise kaum. Mit seinen großangelegten Werbekampagnen, Merchandiseprodukten und unzähligen Internet-Trends fügt sich der Film stattdessen nahtlos in die kommerzielle Popkultur ein und sorgt wohl dafür, dass die Stereotyp-Barbie auch in Zukunft eine Königin der Kinderzimmer bleibt – „Life in Plastic, isn’t it fantastic?“

Neue Barbie-Kollektion von Mattel anlässlich Greta Gerwig's "Barbie", Image via bullfrag.com

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22. JUNI – 1. OKTOBER 2023

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