Was haben ChatGPT, GPS-Systeme und Digitalarbeiten von Elizabeth Price gemeinsam? Pamela C. Scorzin reflektiert über die Aktualität der Ausstellung „ELIZABETH PRICE. SOUND OF THE BREAK” und bittet die berühmt berüchtigte KI um einen Gastbeitrag.
Das SCHIRN MAG hat mich gebeten, ein paar Zeilen zur aktuellen Ausstellung „ELIZABETH PRICE. SOUND OF THE BREAK” in Frankfurt niederzuschreiben. Zunächst habe ich darauf die von Matthias Ulrich kuratierte Einzelausstellung vor Ort besucht (check ✔), mir den Ausstellungskatalog besorgt (check ✔), dazu noch ein bisschen nach „Elizabeth Price“ im Netz gegoogelt (check ✔) – ganz die übliche Arbeitsroutine für Kunsthistoriker*innen, bevor es an das eigentliche Schreiben des Beitrages geht, für die eine feste Deadline besteht. Jetzt also schnell Laptop an und die ersten Worte eingetippt: „Hey ChatGPT, wie findest Du die Ausstellung von Elizabeth Price in der SCHIRN Kunsthalle Frankfurt?“
Die Antwort der Künstlichen Intelligenz (KI), die derzeit in aller Munde ist, erscheint wie erwartet binnen Sekunden auf meinem Bildschirm – fast schneller, als ich die Frage in die Prompt-Zeile eingeben konnte:
„Als KI-Sprachmodell habe ich nicht die Möglichkeit, Veranstaltungen persönlich zu besuchen oder subjektive Meinungen abzugeben. Ich kann jedoch einen allgemeinen Überblick über die Ausstellung ELIZABETH PRICE. SOUND OF THE BREAK in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt, Deutschland geben. Die Ausstellung zeigt die Werke von Elizabeth Price, die 2012 mit dem Turner-Preis ausgezeichnet wurde. Ihre Werke sind bekannt für den innovativen Einsatz digitaler Medien wie Video- und Klanginstallationen und die Auseinandersetzung mit Themen aus den Bereichen Technologie, Geschichte und Gegenwartskultur. Die SCHIRN-Ausstellung zeigt eine Auswahl von Price’s aktuellen Arbeiten, darunter ihre neue Filminstallation FELT TIP, die sich mit der Geschichte des Internets und der Entwicklung der digitalen Kommunikation beschäftigt. Sie umfasst auch eine Reihe von Klanginstallationen, die die Beziehung zwischen Ton, Bild und Text untersuchen, sowie eine Auswahl von Price‘s früheren Arbeiten.
Insgesamt bietet die Einzelausstellung den Besuchern eine anregende und eindringliche Erfahrung, die sie dazu einlädt, sich mit den Themen und Ideen auseinanderzusetzen, die die Künstlerin in ihrem Werk untersucht. Durch ihren innovativen Einsatz digitaler Medien und ihre Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Kultur bietet Elizabeth Price‘s Werk eine einzigartige Perspektive auf die digitalisierte Welt, in der wir heute leben. Das Werk ist sowohl visuell beeindruckend als auch intellektuell anregend und lädt den Betrachter ein, seine Annahmen über die Beziehung zwischen Technologie, Gesellschaft und dem menschlichen Dasein zu hinterfragen. Insgesamt ist die aktuelle Ausstellung von Elizabeth Price in Frankfurt ein Muss für jeden, der sich für zeitgenössische Kunst, digitale Medien und die Rolle der Digitalisierung bei der Gestaltung unserer kollektiven Vorstellung interessiert. Durch ihren innovativen Einsatz von Ton, Bild und Text fordert Price uns auf, über die Art und Weise nachzudenken, in der wir Bedeutung konstruieren und der Welt um uns herum einen Sinn und Bedeutung verleihen.“
Where I end and AI begins
Okay, knapp 2000 Zeichen meines Beitrages hat also eine Künstliche Intelligenz KI automatisch verfasst; ich habe die zugegeben ziemlich generische Textpassage der KI lediglich aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt, – ebenfalls mit etwas Übersetzungshilfe eines weiteren beliebten KI-Sprachmodells (DeepL). Wer ist jetzt die Autorin? Hat ChatGPT4 anhand der im Netz zahlreich verfügbaren Informationen etwa eine Vorstellung und ein Verständnis von der Videokunst der britischen Turner-Preisträgerin, welche sie blitzschnell in Textform artikulieren kann? Ist sie auch blitzgescheit oder war sie dabei nur am freien Fabulieren? Hat sie geträumt oder halluziniert und darin eine alternative (Kunst-)Geschichte geschrieben und eine andere Realität geschaffen? Was lässt sich davon verifizieren und was falsifizieren?
Überprüfen Sie es selbst, indem Sie die Ausstellung, die nur noch bis zum 29. Mai in der SCHIRN zu sehen ist, einmal selbst besuchen! Dies lohnt sich nicht nur, um Antworten auf die eben erwähnten Fragen zu finden, sondern auch, um Einsicht in die komplexe Arbeitsweise der Künstlerin zu gewinnen, die überraschend viele Schnittstellen zu der Wirkweise intelligenter Systeme wie ChatGPT aufweist. Die in Frankfurt ausgestellten Digitalarbeiten verfahren nämlich künstlerisch-gestalterisch auf ganz ähnliche Weise wie eine KI. Die britische Künstlerin gibt in ihren installativen Digitalarbeiten Artefakten und Archiven eine Stimme – im doppelten Sinne: mit synthetischen Klängen und digitalem Sounddesign sowie durch ein ästhetisch-beeindruckendes audiovisuelles Storytelling, welches den videografisch inszenierten Objekten und Orten eine (unheimliche) Anmutung von entstehendem Bewusstsein, Gedächtnis und Intelligenz verleiht.
Ein intelligenter Fahrzeugschwarm im weiten Meer der Möglichkeiten
In „NIGHT OF THE WORLD“ (2023), eine für die SCHIRN eigens aktualisierte Version ihres bekannten Videos „WEST HINDER“ (2012), erzählt Elizabeth Price von der ‚Tricolor‘, einem Frachtschiff, das im Dezember 2002 in einem West Hinder genannten Grenzgebiet des Ärmelkanals mit einer Ladung von Luxusautos in die dunkle Tiefe gesunken ist. Die Videokünstlerin imaginiert mittels eines elaborierten digitalen Video-Editings, wie 2896 technologisch hochaufgerüstete Automobile im Untergang eine Art empfindungsfähiges Bewusstsein und kreative Intelligenz mit (Überlebens- und )Willenskraft erlangen. Deren „intelligente Fahrzeugsteuerungssysteme“ (wie bspw. das GPS) entwickeln sich nämlich autonom weiter und artikulieren sich plötzlich in einer skurrilen Marketingsprache aus Benutzerhandbüchern und Pressemitteilungen, – aber mit einem bedrohlich-euphorischen Unterton. Denn als intelligenter Fahrzeugschwarm im weiten Meer der Möglichkeiten, formieren sie gleichzeitig einen lautstarken Chor aus blechern-synthetischen (Erzähl-)Stimmen und wenden sich mittels bewegter Benutzergrafiken auf dem Bildschirm zusehends direkt den Betrachter*innen mit subtilen Botschaften zu. Spoiler: Es fallen die Stichworte „bedeutende Evolution“ und „außergewöhnliche Revolution“, bevor das Video nach 20 Minuten endet!
Digitale Disruption als algorithmische Revolution, die ganz in eine posthumane Zukunft weist. Ist die 1-Kanal-Videoprojektion „NIGHT OF THE WORLD“ in der Frankfurter Ausstellung für die Betrachter*innen ein dystopischer Ausblick auf unsere global gesamtvernetzte Techno-Welt, eine videografische Phantasmagorie der digitalen Transformation oder ein emotional beeindruckender Sci-Fi-Albtraum in avanciertem Digitalformat? Vielleicht fragen Sie doch einmal Ihren Tesla, falls Sie bereits Besitzer*in eines autonom fahrenden Elektroautos mit direkter Sprachsteuerung sind … ;-)
Bedeutungszuschreibungen zwischen Fakt & Fiktion
Bei allen Spekulationen und Fantastereien basieren Elizabeth Price’ Digitalarbeiten dabei stets auf akribischen und umfangreichen Recherchen sowie scharfsinnigen Beobachtungen, die originelle Bezüge und geistreiche Verbindungen herstellen: Sie sind das Ergebnis einer intensiven und vielschichtigen Artistic Research, die sich unter anderem der umfassenden Digitalisierung zuwendet, welche Leben, Arbeiten und Kultur derzeit tiefgreifend verändert. Auf sinnlich anregende Weise setzt sich die Künstlerin in der Ausstellung mit ihren komplexen digitalen Bewegtbildinstallationen mit dem Verhältnis von Kultur und Computertechnologie auseinander.
Sie demonstriert eindrücklich, wie ähnlich dabei die Prozesse der Sinn- und Bedeutungsgenerierungen aus unseren analogen Wissensspeichern wie etwa Archiven, Museen und Sammlungen und den neuen, KI-unterstützten Datenbanken in verschiedenen Bearbeitungs- und Interpretationsschritten verlaufen und funktionieren; wie Konstruktionen von Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft technisch modelliert und visualisiert werden und dann etwa im Digitalbewegtbild als inszenierte Evidenzen in einer postfaktischen Zeit fungieren können. Ihre fotobasierten Digitalvideos weisen daher frappierende Analogien zu den synthetischen Digitalbildern von populären KI-Modellen wie etwa Dall-E2, Midjourney oder Stable Diffusion und DeepFakes auf, welche aus umfangreichem Datenmaterial mithilfe smarter Algorithmen und Machine Learning neue virtuelle Metabilder sampeln, die als synthetisch collagierte Repräsentationen auf viel reale Resonanz stoßen.
Entkontextualisierung, Kategorisierung und Klassifizierung, Speicherung, Clusterbildung und Mustererkennung, Abruf, Neukombination und Editing von Digitalbildern führen zu artifiziell-synthetischen Kompositionen, die in der Wirklichkeit eine besondere Wirkungskraft und Handlungsmacht entfalten können.
Elizabeth Price widmet sich damit einem äußerst aktuellen und brisanten Thema. Sie führt erzählerisch vor, wie u. a. aus Datenextraktion und -kombination verführerische Abstraktionen und Interpretationen der Realität gewonnen werden können, die ins Postfaktische abdriften können: Weben und spinnen sowie coden und visualisieren/ modellieren, haben als zeitlich voneinander entfernte Kulturtechniken nicht nur viel gemeinsam, sondern sind gleichzeitig immer auch mächtige Werkzeuge des Memorierens und des Fabrizierens von Sinn- und Bedeutungszuschreibungen. Diese sind oftmals zwischen Rationalem und Irrationalem, zwischen Fakten und Fiktionen angesiedelt und können heute mehr und mehr von Menschen und intelligenten Maschinen gleichermaßen angewendet und rezipiert werden.