Das Flanieren ist nach wie vor die Bewegungsart erster Wahl, wenn es um Kunstausstellungen geht. Von den Salons der Jahrhundertwende bis hin zu unserem heutigen Verhalten im Raum.
Von uns entworfene Museumsbauten beeinflussen unser Verhalten in Ausstellungen. So kann das Gebäude den Rundgang dynamisieren oder ihm eine strikte Richtung vorgeben, wie es zum Beispiel im New Yorker Guggenheim der Fall ist. Ganz anders reagieren wir bei weit geschnittenen Grundrissen, wo die Räume übergreifende Sichtachsen freigeben. Ausstellungshaus und -inszenierung sind von Menschen gemacht und sind zugleich Affekte und Ausdruck unserer Erwartungen an Kunstgenuss und -rezeption.
Wie wir uns in Ausstellungen bewegen, ist antrainiert, gehört zu unserem sozialen Kapital und zeugt von unserer Kenntnis der richtigen Codes. Das Flanieren ist nach wie vor die Bewegungsart erster Wahl, wenn es um Kunstausstellungen geht. Dabei haben sich die räumlichen Bedingungen seit der Geburt des Flaneurs zunehmend verschoben.
Der männlich konzipierte Flaneur
Der Flaneur ist einst von den Kulturphilosophen Charles Baudelaire und Walter Benjamin rein männlich konzipiert. Er ist in Großstädten zu Hause und gehört dem wohlsituierten Bürgertum an. In unterschiedlichen Rollen trat er stets als Konsument auf. Dabei sammelte er visuelle Anekdoten und im Warenhaus Nippes. Besonders gerne besuchte er Kaffeehäuser, Ausstellungen und Kaufhäuser. Vor allem aber bestaunte er die großen Weltausstellungen, eine Mischung aus Messe, Kunst- und Warenschau, und besah sich in den eigens erbauten Glaspalästen die Wunder der Welt. In meiner Vorstellung trug er dabei einen weiten schwarzen Mantel und trat stets mit devot, neugieriger Haltung und zusammengefalteten Händen auf.
Wie wir uns in Ausstellungen bewegen, ist antrainiert
Diese Präsentationsräume der Jahrhundertwende waren für den Flaneur gemacht: Die übervollen Salons luden zum Verlieren ein, erlaubten dank eines eklektizistischen Stilpluralismus epochenübergreifende Reminiszenzen. In den Gemäldeausstellungen und Salons hingen bis zur Decke Bilder, sodass die Formate nach oben hin immer größer wurden. Dazu benachbarten sich Pflanzen und plastische Werke standen in der Raummitte, sodass ein Epochenbild entstehen konnte. Um dabei den Überblick zu wahren, mussten die Besucher*innen immer wieder in die Mitte des Raumes gehen und sich um die eigene Achse drehen. Somit wechselten die Besucher*innen permanent zwischen den Wänden, von den Raumgrenzen zur Raummitte.
Noch heute zeigt die Vorstellung des Flanierens durch eine Ausstellung, dass der Flaneur oder die Flâneuse Archetypen der Ausstellungsbesucher*innen sind. Das Flanieren als Gangart ohne ein konkretes Ziel befriedigt in unserer getakteten Gegenwart wohl das Bedürfnis nach Zerstreuung.
Im Flaneur erkennen wir die Erfüllung eine*r mündigen Besucher*in
Durch eine Ausstellung flanieren, heißt zunächst von Auffälligkeiten, Zufällen und Details angetrieben zu sein, sich frei und selbstbestimmt bewegen zu können. Dabei aber auch selbstsicher genug sein, um den roten Faden der Ausstellung zu verlassen und einen eigenen zu etablieren. Im Flaneur erkennen wir schließlich die Erfüllung eine*r mündigen Besucher*in.
Durch das Gehen erobert man sich öffentliche Räume, wie den Ausstellungsraum. Lange Jahre hat uns der Flaneur mit seinen Streifzügen sicher durch Ausstellungen gebracht. Wir wussten welche Rolle wir haben und wie sie aussieht: Den Schal warfen wir um, trugen den weiten schwarzen Mantel und so gewappnet gingen wir durch die Ausstellungsräume und konsumierten das Gezeigte. Doch ist es nun an der Zeit sich vom Flaneur zu trennen und diese Sicherheit zu befragen? Schließlich nimmt die Reflexion der eigenen Rolle auch Einfluss auf unser Verhalten im Raum. In Folge kann auch eine neue Gangart die Ausstellungsräume verändern.
Neue Gangarten, neue Gewohnheiten
Sollten wir vielleicht damit beginnen, unseren Gang einmal zu verändern? Ganz wie es in der aktuellen Schirn-Ausstellung die Arbeiten von Carmen Papalia „White Cane Amplified“ (2017) oder auch Rahima Gambos und Bani Abidis Werke vormachen. Wie diese Arbeiten zeigen, fordern wir mit neuartigen Gangarten und Gewohnheiten andere Besuchende ebenso heraus wie unsere eigenen Gewohnheiten. So lernen wir vielleicht auch neue Perspektiven kennen.
Sollten wir vielleicht damit beginnen, unseren Gang einmal zu verändern?