Die Künstlerin Kubra Khademi ging 2015 für ihre Performance „Armor“ in einem metallenen Brustpanzer in Kabul auf die Straße, der skulptural ausgeprägte Brüste und einen Hintern nachahmte. Ein offensichtlicher Protest. Moshtari Hilal erfährt in einem Gespräch mit der Künstlerin mehr über den Herstellungsprozess, die Performance und die Zeit danach.
Die Künstlerin Kubra Khademi ging 2015 für ihre Performance „Armor“ in einem metallenen Brustpanzer auf die Straße in Kabul, Afghanistan. Die Rüstung ahmte skulptural ausgeprägte Brüste und einen Hintern nach, während sie beide Körperstellen bedeckte und schützte. Ein eigenwilliger Schutz, der die Personen, vor denen man geschützt werden möchte, mit den Stellen konfrontiert, die man schützt. Ein offensichtlicher Protest. Kubra Khademi musste daraufhin das Land verlassen und lebt seitdem in Frankreich im Exil.
Bis zu dieser Performance kannte ich vor allem die Strategien meiner Cousinen, die auf dem Markt oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln mit einer Nadel in die Schenkel und Hände jener Männer stachen, die ihnen zu nahekamen. Aber das sind Formen des Protests, die unsichtbar, dezent und sehr vorsichtig sind. „Armor“ wollte nicht zurückstechen, sondern bloßstellen. Ein einmaliger, geradliniger, zielstrebiger Gang durch eine Einkaufsstraße in Kabul. Kubra Khademi lief nicht im Kreis, sie kehrte nicht zurück zu ihrem Ausgangspunkt und sofern es ihr physisch möglich war, schritt sie weiter voran. Einen Schritt nach dem anderen, als wäre es ihr selbstverständliches Recht hier entlang zu laufen und dem war auch so – wenn nicht die aufgebrachten Männer um sie herum gewesen wären.
Sofern es ihr physisch möglich war, schritt sie weiter voran
Im persönlichen Gespräch mit der Künstlerin konnte ich mehr über den Herstellungsprozess, die Performance und die Zeit danach lernen:
„Ich hatte keine eigene Metallwerkstatt in meiner Wohnung in Kabul, aber wollte mit Metall arbeiten. Ich hatte bereits alle Skizzen und die Maße meines Körpers detailliert aufgezeichnet und kannte mich in der Stadt aus. Ich wusste, wohin ich musste. In Kote-Sangi (Anm. eine Nachbarschaft im Westen Kabuls) gibt es in den Seitenstraßen viele kleine Werkstätten, die zum Beispiel Heizöfen herstellen, mit denen in Kabul geheizt wird. Ich habe mir dort eine diskrete Werkstatt ausgesucht, die klein und bescheiden war. Ich würde selbst Hand anlegen müssen und wollte nicht zu viel Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Ich musste den Besitzer der Werkstatt erst überreden, aber für 100 Dollar stellte er mir schließlich seine Werkzeuge und einen Meter Metall zur Verfügung. Bevor er es sich anders überlegen konnte, schnitt ich direkt mein Material zurecht, um dann an den folgenden Tagen bei ihm zu arbeiten.“
nach und nach kam die Form ihres metallenen Objekts zum Vorschein und die Anspannung wuchs
Kubra Khademi erzählt, wie sie fast einen Monat lang jeden Tag nach der Arbeit so lange sie konnte in der Werkstatt mit ihrer Rüstung beschäftigt war. Es war eine ungewöhnliche Konstellation und vielleicht deshalb auch zeitweilig amüsant für beide Seiten. Doch nach und nach kam die Form ihres metallenen Objekts zum Vorschein und die Anspannung wuchs. Sie sah den Besitzer der kleinen Werkstatt besorgt einen großen Schritt zurückgehen, während seine jungen Lehrlinge kicherten und schmunzelten.
„Am letzten Tag kam ich mit einem großen Sack und dem Geld, um meine Arbeit diskret zu transportieren und ihn abschließend zu bezahlen. Da sah ich, wie sie die Rüstung prominent auf einem Tisch platziert, aber auch gleichzeitig mit einem großen Stoff verdeckt hatten. Die Rüstung sah aus wie eine verhüllte Person. Es war interessant zu sehen, wie sie sie behandelten, als wäre sie wertvoll, aber auch mit der Sorge, dass jemand mein Objekt beim Vorbeigehen erkennen könnte.“ Direkt am nächsten Tag entschied sie, die Performance umzusetzen: Ein achtminütiger Gang mit einer Rüstung, die fast einen Monat Herstellung und 100 Dollar kostete – und einen weiteren Preis, den Kubra noch mit ihrem Exil zahlen würde.
Im selben Jahr am 19. März, nur kurz nach Kubras Performance, wurde Farkhunda Malikzada, eine 27-jährige Afghanin, mitten in Kabul und am helllichten Tag unter den Augen hunderter Männer gelyncht. Sie trug keine Rüstung. Die angehende Religionslehrerin war fälschlicherweise beschuldigt worden einen Koran verbrannt zu haben, als der Mob entschied, sie zu bestrafen. In Folge ihres grausamen und auf Handy-Videos dokumentierten Lynchmords, wurden 49 Männer verhaftet, darunter Minderjährige und Polizisten, die es versäumten, sie zu schützen.
Nach diesem Mord entstand eine weltweite Protestwelle: Tausende Menschen gingen in Kabul auf die Straße, liefen den selben Weg , den Farkhunda vor ihren Peinigern geflohen war. Sie liefen denselben Weg entlang, auf dem Farkhunda gezwungen war zu flüchten. Vom Anfangspunkt des Angriffs bis hin zur Stelle am ausgetrockneten Kabul Fluss, wo ihr Körper öffentlich verbrannt wurde. Dort steht heute ein bescheidenes Denkmal für sie. Die protestierenden Frauen trugen Masken von ihrem Blutüberströmten Gesicht, ein letztes Foto von ihrem verzweifelten Ausdruck, das auf den sozialen Medien geteilt wurde.
Ich habe versucht die sozialen Medien zu meiden, weil ich so viele Drohungen erhalten habe
Es ist viel passiert in diesem Frühling in Kabul 2015. Als ich Kubra darauf anspreche, ob sie sich dem Ausmaß des Risikos bewusst war, der Gefahr, der sie sich ausgesetzt hatte, stelle ich mir vor, wie uns beiden die Nackenhaare abstehen. Der Gedanke, Kubra hätte an Farkhundas Stelle sein können, ist beängstigend.
Der Grund, weshalb nach ihrem Mord so eine Protestwelle entstand, auch in meiner Heimatstadt in Hamburg, wo die größte afghanische Diaspora Europas lebt, war ihre Unschuld – sie hatte den Koran nicht verbrannt. Eine vergleichbare breite Solidarität im Fall einer Performance-Künstlerin wie Kubra Khademi, die nicht nur der strukturell marginalisierten Ethnie der Hazara angehört, sondern auch noch feministisch und hier explizit sexuell konnotiert arbeitet, wäre unwahrscheinlich.
„Als das mit Farkhunda passiert ist, war ich bereits in meinem Versteck. Ich habe versucht die sozialen Medien zu meiden, weil ich so viele Drohungen erhalten habe. Es war ein schrecklicher Alptraum. Mit so viel Wut konfrontiert zu werden, mehrheitlich von Männern, aber auch von Frauen. Zu Beginn dachte ich, diese wütenden Reaktionen vergehen nach einer Zeit. Angebrüllt werden und beleidigt werden als Frau, das kannte ich bereits aus meinem Alltag in Afghanistan. Aber das ging darüber hinaus. Ich war schockiert. Irgendwann habe ich mich gefragt: Was habe ich getan? Was ist das?“
Zweifellos hat jede*r Künstler*in Angst vor einer Performance. Jede neue Performance macht einen verwundbar
Kubra erzählt, wie Menschen schrieben, darunter auch eine prominente Kollegin, dass sie verantwortlich sei für das, was Farkhunda angetan wurde. Sie hätte mit ihrer Performance erst die gereizte Stimmung und Wut geschaffen, die zu diesem Lynchmord geführt habe. Anstatt Kubra hätten sie Farkhunda getötet. Sie hatte diese Reaktionen nicht erwartet. Ihr war bewusst, dass die Gesellschaft ihre Performance als beleidigend auffassen würde. Damit hätte sie umgehen können, aber es war mehr als sie erwartet hatte.
Ihr war bewusst, dass die Gesellschaft ihre Performance als beleidigend auffassen würde
„Zweifellos hat jede*r Künstler*in Angst vor einer Performance. Jede neue Performance macht einen verwundbar. Das bedeutet aber nicht, dass Künstler*innen vorab die Reaktionen auf ihre Arbeit kalkulieren und bemessen sollten. Wir planen natürlich voraus, aber vieles lassen wir auch geschehen. Wir schaffen eine Situation.“
Für Kubra Kademi gibt es kein „außerhalb des Persönlichen“. Ihre künstlerische Arbeit ist persönlich, sie entsteht unmittelbar als Reaktion auf Erfahrungen, die sie gemacht hat. Und ebenso unmittelbar erfährt sie die Konsequenzen, die Folgen ihrer Arbeit. Abschließend frage ich Kubra, ob sie “Armor” zu ihrer einflussreichsten Performance zählen würde. Sie lacht: “Nun ja, ich würde sagen, ich war am verwundbarsten. Die Performance führte zu sehr viel Leid. Ich musste mein Land verlassen. Ich habe vieles verloren. Aber ich hatte Glück, denn ich überlebte sie. Und dennoch, bis heute zahle ich für die Performance.”