Ein Blick auf zehn besondere Regenbogen in der Kunst: Was vor vielen Jahrhunderten als künstlerische Reflexion eines Naturphänomens begann, hat für Künstler*innen der Moderne und Gegenwart oft eine tiefe persönliche Bedeutung, die in neuen Zugängen und Materialien ihren Ausdruck findet.
Regenbogen entstehen, wenn weißes Licht auf einen Regentropfen trifft. Soweit, so physikalisch. Es ist die einzigartige Erscheinung, die Transluzenz und das plötzliche Auftauchen und Verschwinden, weshalb das siebenfarbige Lichtband in allen Kulturen unzählige Legenden und Mythen hervorgebracht hat und Künstler*innen seit jeher fasziniert. Wir verstehen und bewerten den Regenbogen als Verbindung zwischen Himmel und Erde, Geistigem und Natürlichem und als Symbol für Frieden, Toleranz, Multikulturalität und Inklusion. Als Logo und Symbol ist er eines der wirkungsvollsten visuellen Elemente unserer Zeit.
Ugo Rondinone, life time, 2022
Schon jetzt leuchtet Ugo Rondinones Regenbogen über der SCHIRN. Er ist die erste Arbeit, die Besucher*innen bei ihrem Ausstellungsbesuch erblicken, und bildet gleichzeitig den thematischen Abschluss der Schau. In großen, bunten, geschwungenen Neonlettern erstrahlen die titelgebenden Worte LIFE TIME über der Stadt. Eine knappe Botschaft, mit der Rondinone so viele Menschen wie möglich erreichen möchte.
Die Leuchtskulptur in Form eines Regenbogens ist nicht nur ein Abzeichen des Respekts und der Inklusion, sondern auch ein archaisches Symbol, das seit Menschengedenken alle Kulturen dieser Erde fasziniert. life time gehört zu Ugo Rondinones Werkgruppe RAINBOW, in der er sich in poetischen Wortkombinationen mit inneren Stimmungen und zeitlosen Wahrheiten auseinandersetzt und diese in den öffentlichen Raum transportiert. Homosexualität, Freiheit und Toleranz, Tag und Nacht sind Themen, die für den Schweizer Künstler unweigerlich mit dem Symbol des Regenbogens zusammenhängen. Der Regenbogen strahlt Tag um Tag, Nacht um Nacht, Stunde um Stunde. Als gleichzeitiger, wirkungsmächtiger Verweis auf die Gay Pride ist die Präsenz von life time ein wunderbares Zeichen, dessen Lesart sich Rondinone absolut bewusst ist.
Homosexualität, Freiheit und Toleranz, Tag und Nacht sind Themen, die für den Schweizer Künstler unweigerlich mit dem Symbol des Regenbogens zusammenhängen
Sol LeWitt, Wall Drawing #1136
„Wall Drawing #1136“ wird als „curved and straight coloured bands“ beschrieben und eigentlich ist damit auch alles gesagt: Geschwungene und gerade Farbbänder in allen Primär- und Sekundärfarben sowie Grau werden direkt auf die Wandoberfläche gemalt und schaffen eine die Betrachter*innen einhüllende, chromatische Umgebung. Während die ersten Wall Drawings aus den 1960er Jahren monochromatisch waren, führte LeWitt später farbige Untergründe und schließlich bunte Acrylfarbe in sein Werk ein. Damit eröffnete er neue Möglichkeiten und experimentierte mit leuchtenden Farbpaletten und kühnen, grafischen Formen. „Wall Drawing #1136“ versammelt alle Farben des Regenbogens – ein Phänomen, das LeWitt sehr faszinierte, da es die Natur und das Besondere verbinde. Die Kurve kann als fortlaufender Regenbogen gelesen werden, der die Grenzen zwischen Abstraktion und Darstellung verwischt.
Judy Chicago, Rainbow AR, 2020
2020: Das öffentliche Leben steht weitgehend still. In dieser Zeit bringt uns die US-amerikanische Künstlerin Judy Chicago virtuell zusammen. Eigentlich ist die physische Erfahrung ihrer Werke ein wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit, die App „Rainbow AR“ markiert nun einen neuen Abschnitt in ihrer langjährigen Arbeit mit Pyrotechnik, die nun um die AR-Technologie erweitert wird. Chicago verbrachte viel Zeit mit der Entwicklung von Farbsystemen und der Idee, dass Farben emotionale Zustände vermitteln können.
In den 1960er Jahren zündete die Künstlerin ihre ersten „Smoke Sculptures™“ in der kalifornischen Wüste, um „die Landschaft weicher zu machen“ und um an historisch weibliche konnotierte Tätigkeiten wie das Feuermachen zu erinnern. In ihren Arbeiten bemüht sich Judy Chicago seit vielen Jahren darum, die harte, patriarchalische Welt aufzuweichen und zu feminisieren. Mithilfe von Farben und Rauch gelingt ihr das mindestens als visuelle Metapher für einen positiven Wandel und mit Rainbow AR erhält nun jede*r die Möglichkeit, ihre Werke virtuell in dem Raum zu erleben, in dem man sich gerade befindet.
Melissa Cody, I am Navajo Barbie, 2016 und Good Luck, 2014
An ihrem Webstuhl führt Melissa Cody traditionelle Muster mit geometrischen Überlagerungen und bunten Farbschemata zusammen. In den Teppicharbeiten der Textilkünstlerin aus der Navajo-Nation im Norden von Arizona, USA, tauchen Navajo-Motive, wie die Schutzfigur Yeei (Regenbogenmensch) oder das Glückssymbol Whirling Log (Wirbelnder Baumstamm) auf, das wir vor allem als Hakenkreuz kennen. Vor der Aneignung der Nationalsozialisten, war die Swastika bereits Jahrtausende in vielen Teilen der Welt als Zeichen für Glück bekannt. Im Teppich „I Am Navajo Barbie“ kombiniert Cody die Symbole mit dem Titel der Arbeit, der in einer Schrift ausgeführt ist, die an Videospiele der 1980er Jahre erinnert: „Ich bin ein Kind der Videospielkultur der 80er Jahre: Pac-Man, Frogger, Nintendo“, erklärt Cody, „ich bin mit dieser Welt der Verpixelung aufgewachsen.“ Die beschriebenen Symbole sind wiederkehrende Motive in ihren Teppichen. In „Good Luck“ sind sie in strahlenden Regenbogenfarben ausgeführt.
Sebastião Salgado, Rainbow over the Tucuxim area. Parima Forest Reserve. Yanomami Indigenous Territory, state cloud. State of Acre, 2016
Sechs Jahre lang bereiste Sebastião Salgado das brasilianische Amazonasgebiet und hielt die Schönheit dieser einzigartigen Region fotografisch fest: Den Regenwald, die Flüsse, Berge und Menschen. In eindrucksvollen Schwarzweißfotografien dokumentiert er seit den 1970er Jahren nicht nur das Leben von Menschen am Rande der Gesellschaft, sondern auch die erhaltenswerten, aber oft bedrohten Landschaften unserer Erde. Seine Fotografien zeugen häufig von großer Dramatik, wie auch diese Aufnahme eines Doppelregenbogens inmitten der imposanten Wolkenlandschaft zeigt.
Olafur Eliasson, Your Rainbow Panorama, 2006-2011
Eines darf bei einer Reise ins dänische Aarhus nicht fehlen: Der Besuch der Installation „Your Rainbow Panorama“ von Olafur Eliasson, die sich seit 2011 auf dem Dach des ARoS befindet. Kein geringeres Werk als die „Göttliche Komödie“ von Dante soll als Leitbild für den Museumsbau gedient haben, der vom Paradies in Form des Regenbogens gekrönt ist. Auf schlanken Säulen über dem Dach erstreckt sich der Panoramaweg von einem Ende der Fassade des würfelförmigen Gebäudes zum anderen.
Die Installation bietet einen Rundumblick auf Aarhus und die angrenzende Landschaft – in allen Regenbogenfarben. Die helleren Farben legen einen Weichzeichner über die Stadt, die dunklen Farben heben die Kontraste hervor. Eliasson selbst sagt über das Werk: „Ich habe einen Raum geschaffen, von dem man fast sagen könnte, dass er die Grenze zwischen Innen und Außen aufhebt – einen Ort, an dem Sie unsicher sind, ob Sie nun ein Kunstwerk betreten haben oder einen Teil des Museums. Diese Unsicherheit ist mir wichtig, da sie Menschen anregt, über die Grenzen hinaus zu denken und zu fühlen, innerhalb derer sie zu funktionieren gewohnt sind.“
Candice Breitz, Rainbow Series, 1996
Zwei Jahre nach dem Ende der Apartheid und den ersten demokratischen Wahlen in Südafrika, zeigte die südafrikanische Weiße Künstlerin Candice Breitz ihre „Rainbow Series“. Mit den umstrittenen Collagen abstrakter Frauenfiguren, die sie aus Fragmenten aus (Porno)Zeitschriften und Postkarten neu zusammensetzte, untersuchte sie rassistische und geschlechterspezifische Stereotype und kommentierte auf ironische wenngleich kontroverse Weise die „Regenbogennation“ Südafrika. Dieser Begriff wurde von Erzbischof Desmond Tutu und Nelson Mandela geprägt und bezieht sich unter anderem auf die neue, vermeintlich friedliche Einheit des Multikulturalismus in einem Land, das noch bis vor kurzem von strikter Rassentrennung geprägt war. Die Künstlerin zählt zu den Kritiker*innen der „Rainbowism“-Ideologie, die Breitz vielmehr als Utopie bezeichnet, da sie die wahren innenpolitischen Probleme wie das Erbe des Rassismus unter dem Deckmantel des Regenbogenfriedens beschönige. Die Collagen sind unangenehm und schwer aushaltbar – hinterfragen aber visuelle Konventionen, in dem sie gängige Annahmen kritisch beleuchten.
Max Beckmann, Mainlandschaft mit Regenbogen, 1923
Wie kaum ein anderer Künstler ist Max Beckmann mit der Stadt Frankfurt verbunden. Traumatisiert von seinen Erlebnissen als Sanitätshelfer im Ersten Weltkrieg, kam Beckmann 1915 in die Mainmetropole und schuf hier einen Großteil seiner zentralen Werke, unter ihnen Selbstbildnisse, Portraits und zahlreiche Frankfurt-Ansichten. Zu diesen zählt auch die Radierung „Mainlandschaft mit Regenbogen“, die vermutlich die Maininsel und das nördliche Ufer aus Sachsenhäuser Perspektive zeigt. Dort wohnte und arbeitete Beckmann 17 Jahren lang unweit der Städelschule (damals Kunstgewerbeschule), an der er von 1925 bis 1933 eine Meisterklasse leitete. Mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten verlor er seine Stellung, ging zunächst nach Berlin, emigrierte 1937 nach Amsterdam und 1948 in die USA.
Zakariya ibn Muhammad Qazwini, Illustration of a Rainbow, The Wonders of Creation, 13. Jh
Im 13. Jahrhundert erschien die zweiteilige illustrierte Kosmographie „Wunder der Schöpfung und einzigartige [Phänomene] des Daseins“ des persischen Gelehrten Zakariyya' al-Qazwini (Abu Yahya Zakariya' ibn Muhammad al-Qazwini). Das Werk war jahrhundertelang eines der meistgelesenen Bücher in der islamischen Welt, wurde vielfach kopiert und übersetzt. Schon im Titel klingt an, dass der Autor keine naturwissenschaftliche Arbeit verfasste, sondern vielmehr die erstaunliche Vielfalt der (göttlichen) Schöpfung zeigen wollte. In der ersten von zwei „Maqalas“ (Reden) schreibt Qazwini über Planeten, Sternbilder und Engel. Im zweiten Teil beschreibt er das Irdische und geht auf die vier Elemente, die Meere, Lebewesen, Pflanzen und Wetterphänomene ein. Zu diesen zählt auch der Regenbogen, der hier für die vielen Wirkungsweisen Gottes steht.
Der Regenbogen, der hier für die vielen Wirkungsweisen Gottes steht
Caspar David Friedrich, Gebirgslandschaft mit Regenbogen, 1809
Rätselhaft, romantisch, religiös – und bis heute nicht eindeutig dechiffriert ist der Regenbogen in Caspar David Friedrichs „Gebirgslandschaft mit Regenbogen“. Schnell ist man dazu geneigt, das Werk als ein für den Künstler typisches Gemälde abzutun, doch dann hält man plötzlich inne: Wieso durchzieht ein Regenbogen die vermeintlich nächtliche Szene? Haben wir es etwa mit dem seltenen Phänomen des Mondregenbogens zu tun oder handelt es sich um ein religiöses Symbol? Wissenschaftler*innen deuten den Regenbogen oft als persönliches religiöses Bekenntnis oder als Zeichen des Friedens zwischen Gott und Mensch aus der alttestamentarischen Geschichte von Noah. Eines ist in jedem Fall klar: Naturwissenschaftlich lässt sich dieser Regenbogen wohl nicht belegen. Doch vielleicht gibt es zwischen Himmel und Erde eben doch Dinge, die man sich kaum erklären kann…