Magische Berge, Regenbögen und Sonnen: Wie kaum einem anderen Künstler gelingt es Ugo Rondinone mit seinen schlichten und doch so poetischen Skulpturen den Alltag anzuhalten. Eine Begegnung mit seinen ikonischsten Werkgruppen im öffentlichen Raum.
Kunst prägt in verschiedenster Form seit Jahrhunderten das öffentliche Leben, ob in Form von architektonischen Elementen, Bildhauerei oder eigens konzipierten Arbeiten. Seit den 1990er-Jahren schafft auch Rondinone Skulpturen für den öffentlichen Raum, er möchte so möglichst viele Betrachter*innen erreichen: Eine Kunst für alle, „für Kleinkind bis Großmutter“. Entgegen der in den 1990ern von Fluxus, Land Art oder Konzeptkunst proklamierten Grenzverwischung von Kunst und Leben unterstreicht Rondinone diesen Dualismus. Grundlegende Fragen zum Menschsein, Natur und Kultur, aber auch die inhärenten Widersprüche des Lebens stehen im Fokus seines Schaffens. Dabei arbeitet Rondinone in wiederkehrenden Serien, die er stetig weiterentwickelt. So auch bei den nun folgenden Skulpturen, verteilt in den Großstädten und Wüsten dieser Welt.
Inmitten der Rotunde der Frankfurter SCHIRN direkt vor ihrem Eingang streckt sich weiß und knöchern ein vermeintlicher Baum über sechs Meter in die Höhe. „flower moon“ (2011) ist der Abdruck eines 2000 Jahre alten Olivenbaumes aus der Basilicata, eine süditalienische Region, aus der Rondinones Vater stammt. In Aluminium gegossen und mit weißer Emaille überzogen scheint die Bedeutungsschwere und Leichtigkeit der ewigen Existenz förmlich greifbar zu sein. Neben der Herausforderung unseres zeitlichen Vorstellungsvermögens trotzt Rondinone hier mit seiner Kunst der Natur: Die angenommene Ewigkeit des Baumes aus der Basilicata ist als exakte künstliche Repräsentation in Aluminium besiegelt.
„flower moon“ ist Teil der Serie „tree“, die noch viele weitere Baumabgüsse umfasst. Zu sehen waren einige von ihnen auch schon in Paris auf dem Place Vendome oder auf dem Paradeplatz in Zürich.
Always On – 24 Stunden am Tag haben schon Worte in Regenbogenfarben über den Dächern von Städten wie Zürich, Rom, Helsinki, Moskau, Herzlia, New York Shanghai oder Sydney geleuchtet: Neben „life time“ (2022), das nun in Frankfurt zu sehen ist, gehören kurze Sätze wie “cry me a river“ (1997), „where do we go from here“ (1999) oder „hell, yes!“ (2001) zur Werkgruppe der „rainbow“.
Himmel und Erde verbindend und bunt strahlend lenken die Neonschriftzüge den Blick im geschäftigen Treiben des Alltags nach oben und geben Impulse zum Innehalten. Als kulturell wie mystisch besetztes Naturphänomen oder als Zeichen der Inklusion, Toleranz sowie der LGBTQI+-Community ist der Regenbogen gerade mit diesen vielfältigen Deutungsmöglichkeiten ein prominentes Motiv in Rondinones Bilderkosmos.
Zeitlich parallel zur diesjährigen Biennale ziert mit „sun II“ (2021) ein riesiger Goldreif den Hof der Scuola Grande San Giovanni Evangelista in Venedig. In Gold gefasst, basierend auf Abdrücken von Ästen, erinnert die strahlende Bronzeskulptur an einen Feuerring.
Im sakralen Kontext werden auch Assoziationen zur Dornenkrone laut. Titel und Künstler verweisen jedoch eindeutig auf das wohl elementare und lebensbestimmende Gestirn unseres Kosmos. 2017 entstand die erste Version der Serie „sun“ – passenderweise für den Garten von Versailles, der einstigen Residenz des Sonnenkönigs Ludwig XIV.
Magische Felsen mitten in der Wüste: In neonbunten Farben erheben sich seit 2016 die steinernen Totems von „seven magic mountains“ (2016) der Serie „mountain“ wie eine surreale Erscheinung vor der kargen Wüste Nevadas. Aus drei bis sechs Kalksteinen bestehend, verwandelt sich das einstige natürliche Element in eine künstliche Installation. Ganz klar zu erkennen ist im erdfarbenen Setting kurz vor Las Vegas Rondinones Referenz zur Land Art. Robert Smithson, Nancy Holten, Michael Heizer und Walter De Maria machten diese monumentalen, leeren Landschaften in den 1960ern zum Thema ihres Schaffens.
Gemäß seiner künstlerischen Philosophie dreht Rondinone jedoch die sich üblicherweise integrierende Formensprache der Land Art um und führt uns den Kontrast zwischen der künstlichen Intervention und natürlichen Umgebung vor Augen. Die Magie der siebenteiligen Installation lockte bereits über 16 Millionen Besucher*innen und zählt zu Rondinones bekanntesten Werken. Die Laufzeit von „seven magic mountains“ wurde um mehrere Jahre bis 2025 verlängert.
In einigen Städten dieser Welt finden sich aber auch einzelne Felsaufbauten wie beispielsweise in Medellín in Kolumbien (2019), in Liverpool (2018) oder Miami (2016).
Wie aus der Zeit gefallen, türmen sich kolossale steinerne Skulpturen („stone figure“) über den Köpfen der Betrachter*innen. Roh beschlagen tragen die megalithischen Stelzen aus Naturstein den klobigen Torso und den übergroßen Kopf. Als friedliche Riesen erinnern die Skulpturen an mystische Entsandte aus einer fernen Zeit, irgendwo zwischen Stone Hedge und den Osterinseln. 2013 stellte Rondinone erstmals diese archaischen Giganten mit „human nature“ dem „Epizentrum des modernen Urbanismus“ New York auf der Rockefeller Plaza entgegen.
Seitdem ragten die 6 bis 8 Meter großen Skulpturen auch schon in der Stadtlandschaft von Coyoacan (2014), Malta (2018) oder vor den Schweizer Alpen in Andermatt (2017) in den Himmel empor.
Ab dem Sommer 2023 werden zwölf sonderbare Wesen den Städel-Garten in Frankfurt bewohnen: Die silbernen Skulpturenköpfe gehören zur Werkserie „sunrise.east.“ Als übergroße Köpfe auf Betonsockeln blickten sie bereits im Garten des Louvre in Paris (2009), im Garten des Garage Museums in Moskau (2017) oder bei der „frieze“ in London (2016) mit comichaft reduzierten Gesichtern dem Publikum entgegen. Dabei ordnet Rondinone jeder der Figuren einen Monat zu. Verstörend grinsend, schaurig dreinschauend oder einfach nur naiv lächelnd eröffnen sie mit ihrer maskenhaften, rituellen Erscheinung eine Konfrontation mit dem zyklischen Vergehen der Zeit und all unsere daran gekoppelten Emotionen und Erwartungen.
Ob mit steinernen Riesen oder leuchtenden Regenbögen: Rondinones Skulpturen laden mit ihrer Klarheit und Deutungsoffenheit ein, den Blick nach innen zu richten. In seinem Kosmos führt uns Rondinone die kleinen Dinge und vergänglichen Momente im Leben vor Augen und wir stellen fest, dass es eigentlich die großen sind.