Wer liegt denn da und träumt? Im Werk von Ugo Rondinone ist die Figur des Clowns ein wiederkehrendes Motiv und erscheint schillernd, geheimnisvoll und der Welt entrückt. Clown-Expertin Elodie Kalb hat eine Figur in der Ausstellung LIFE TIME genauer betrachtet.
Da liegt sie nun in Lebensgröße auf dem Boden und irritiert – zumindest auf den zweiten Blick. Auf den ersten scheint Ugo Rondinones Figur eines Clowns in der Schirn Kunsthalle Frankfurt entspannt auf dem Rücken zu ruhen. Das rechte Bein ist gestreckt, das linke angewinkelt und aufgestellt. Die Arme sind genau umgekehrt gestaltet: Der linke liegt gestreckt neben dem Körper auf dem Boden, der rechte angewinkelt auf dem Bauch. Vielleicht träumt sie ja in diesem Raum, der mit Bruchstücken des Nachthimmels übersät ist. Oder ist sie aus der Zeit, aus dem Himmel gefallen?
Beunruhigend wirkt die Figur erst bei der näheren Betrachtung: Vieles passt hier nicht zusammen. Die Figur befindet sich im vom japanischen Robotiker Masahiro Mori 1970 erstmals beschriebenen „uncanny valley“, in der Akzeptanzlücke zwischen der allzu abstrakten und der allzu realistischen menschlichen Darstellung bei Kunstfiguren. Eindeutige Gestaltungen, ob Strichfiguren oder lebensecht, akzeptieren wir. Werden jedoch die Konturen zwischen leblos und lebendig verwischt, empfinden wir die Darstellung als gruselig. Das gilt für Prothesen, Avatare, Wachsfiguren und vor allem: für Puppen. Wie hier.
Der Effekt des unheimlichen Tals
Rondinones Arbeit verstärkt den Effekt des „unheimlichen Tals“ durch mehrere subtile Verschiebungen, die gleichzeitig die Neugier der Beobachter*innen wecken: Wer liegt denn da und träumt? Wir schauen auf die unterschiedlichen Elemente und suchen Hinweise auf die Identität der Figur. Die Elemente geben uns aber Rätsel auf. So wird normalerweise ein Malervlies bei Renovierungen als Abdeckung genutzt, hier fungiert es als Kopfkissen. Korrespondierend zu den Sternen an den Wänden ist die Figur auf dem Boden mit glitzernden Partikeln umgeben, vor allem die Beine sind überzogen mit Sternenstaub. Der nackte Kugelbauch der Figur irritiert – lässt uns an Kinder, Schwangerschaft, Krankheit, aber auch den Mond denken. Die Proportionen, die nach unseren Sehgewohnheiten denen eines erwachsenen Menschen entsprechen, sind aus dem Gleichgewicht.
Die Farben des offenen Hemds und der Hose sind uns von einer weiteren Clownfigur bekannt: Von Ronald McDonald, dem Maskottchen des Fast-Food-Konzerns, das bereits 1967 vom lettisch-britischen Clownschauspieler Michael Polakovs in die Form gebracht wurde, in der wir sie heute kennen. Für die liegende Figur wirken Hose und Hemd jedoch zu klein, wie Kinderkleidung. Und wo sind eigentlich die Schuhe?
Bruchstücke aus der Geschichte des Clowns
Besonders beunruhigend und rätselhaft an Rondinones Figur ist der Kopf. Er ist voll maskiert, wobei unklar bleibt, womit. Auch hier scheinen viele Elemente, viele unterschiedliche Bruchstücke aus der Geschichte des Clowns zusammengeführt. Wir können nichts eindeutig zuordnen, sondern schauen vielmehr in ein Spektrum von Maskierungen.
Wir sehen eine rote Clownnase aus Latex, wie sie der US-amerikanische Zirkus Clown Alberto Fratellini um 1920 erstmals trug. Seitdem gehört sie zum klassischen Rollencode des „Dummen August“, des ungeschickten und an den Dingen und Aufgaben scheiternden Clowntypus. Wir sehen vielleicht auch Bühnen-Make-up, wie jenes des 19. Jahrhunderts, das die Mimik auf großer Entfernung und bei schlechter Beleuchtung vereindeutigen, also den Gesichtsausdruck bis zum „letzten Rang“ transportieren sollte. Das Make-Up gab es in weiß, im klassischen Rollencode des „White Face“, das erfunden vom britischen Clownschauspieler Joseph „Joey“ Grimaldi um 1800 enorme Popularität erlangte und stilbildend für den eitlen und szenentragende Clowntypus des „Weißclowns“ war. Das Make-Up gab es auch in schwarz, im klassischen Rollencode des „Black Face“. Diese Praxis erscheint aus heutiger Sicht als zutiefst rassistisch. Das sogenannte „Blackfacing“ war im 19. Jahrhundert gängige Praxis für Weiße und die einzige Möglichkeit für People of Colour, an den „Minstrel-Show“ oder „Blackface-Minstrelsy“ genannten Unterhaltungsshows in US-Amerika aufzutreten. Der um 1900 enorm populäre Schwarze Schauspieler Bert Williams trat mit „Black Face“ auf.
Eine Figur, die sich alles herausnehmen darf
Vielleicht sehen wir aber auch kein Bühnen-Make-Up, sondern eine Maske. In der Commedia dell’arte, dem italo-französischen Stegreiftheater erfand Tristano Martinelli 1584 den Typus des „Arlecchino“, der mit schwarzer Halbmaske mit buschigen Augenbrauen gespielt wird. Seitdem ist der Harlekin diejenige Figur, die zwischen Gut und Böse steht und die sich alles herausnehmen darf.
Vielleicht sehen wir aber auch eine Wrestlingmaske, wie sie im „Lucha Libre“-Wrestling in Mexiko seit etwa 1930 gängige Praxis war. Die Kämpfenden verdeckten von Beginn ihrer Karriere an ihr Gesicht hinter farbigen Masken und trugen sie so lange, bis sie im Kampf geschlagen und dann demaskiert wurden. Der mexikanische Wrestler Rodolfo Guzmán Juerta, genannt „El Santo“ wurde auch im hohen Alter nie ohne seine Maske gesehen. Solange die Maske getragen wird, gilt der*die Kämpfende als ungeschlagen, als unbesiegt. Die Kombination der Elemente Clown und Wrestling finden sich auch bei weiteren Clownfiguren von Rondinone in der Serie „If There Were Anywhere But Desert“.
Doch egal wie wir es drehen und wenden, wir finden keine eindeutige Antwort auf die Frage, wer sich hinter der Maske verbirgt, wer dort liegt. Die Antwort scheint über die Summe der unterschiedlichen Elemente, die wir ausmachen können, hinauszureichen. Sie bleibt in der Schwebe und ist unserem historischen Wissen oder auch einer gesellschaftlichen Fragestellung enthoben. Rondinones Clownfigur entzieht sich freundlich und traumwandlerisch eindeutiger Bestimmung, sie hat sich ruhend der Welt abgewandt. In ihrer entspannten, rezeptiven Haltung ist sie empfänglich für unsere Deutungsversuche. Diese führen uns mit ihr ins „uncanny valley“ – oder in den Sternenhimmel.